Geschrieben am 3. Juni 2018 von für Litmag, News, TABUMAG

Hazel Rosenstrauch: Gesetzgebers und Volkes Stimme

Bild: Christian Rudolf Noffke

 

Hazel Rosenstrauch: Gesetzgebers und Volkes Stimme

Der Beitrag entstand, als der „Echo-Preis“ gerade erst verliehen war, und die Debatte um einen neuen Antisemitismus erst begonnen hatte. Kurz danach war ich auf einer Tagung, ich dachte an das Vorurteil, „die Juden“ würden aus dem Holocaust ein Geschäft machen. Da waren ganz viele nichtjüdische Deutsche, die ihre Kunst & Karrieren mit dem Thema Holocaust und Verfolgung etc. machen.

Meine Hausaufgabe war die Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus. Aber ist der ein Tabu? Oder ist das mehr und weniger flegelhafte Schimpfen über Juden, Anspucken, Bedrohen, einen Schweinekopf vor die Tür legen, und was es an solchen tief in der Tradition verankerten Sitten noch gibt, nur verboten? Tabus beziehen sich auf Worte, die nicht ausgesprochen werden dürfen, wie Juden den Namen ihres Gottes nicht nennen, auf Handlungen, wie Inzest oder Kannibalismus, die nicht überall, aber in unseren Gesellschaften tabuisiert sind. Und wie der Kannibalismus oder die Ketzerei verändern sich Gebote mit den Umständen.

Beim Antisemitismus geht es nicht um ein Tabu, sondern um ein in Gesetzesform gegossenes Gebot, das (manchmal) strafrechtlich geahndet wird. In Deutschland, sogar in Österreich, waren Gesetze gegen Judenhass eine moralische Lehre aus dem Genozid, die Gesetze, ein bisschen auch deren Ahndung, waren zudem opportun. Zur Moral gesellten sich pragmatische Überlegungen: Deutschland hätte sich nie in die Weltgemeinschaft reintegrieren, Handel und Diplomatie treiben können, wenn sich die Nachkriegspolitiker nicht deutlich von den Nationalsozialisten abgegrenzt hätten. Bekanntlich nicht alle, und es hat auch ein paar Jahrzehnte gedauert, bis diese Ansicht in die Poren der Gesellschaft gedrungen ist. Auch Angst vor Göttern, und seien es die Alliierten, hat eine Rolle gespielt, obwohl in deren Ländern Rassismus durchaus breite Gefolgschaft hatte. Ich wundere mich oft, wie ernst antisemitische Vorfälle jetzt genommen werden, weil ich erinnere, dass in den 1980er Jahren ein Drohbrief als Kavaliersdelikt behandelt wurde, in den 60er und 70er Jahren waren völkisches Denken samt verdrucksten Bemerkungen ohnehin weit verbreitet. Jahrhunderte alte Vorurteile, seien sie abend- oder morgenländisch, verschwinden nicht, wenn der Gesetzgeber es fordert. Aber die Umerziehung der Biodeutschen hat weitgehend funktioniert. Inzwischen ist Deutschland eine Ausnahme, in Ungarn, in Polen, auch in Frankreich und England ist man nicht so empfindlich, wenn Juden beschimpft und jüdische Einrichtungen bedroht werden.

Der Kampf gegen Antisemitismus schließt nicht aus, dass immer noch die Meinung verbreitet ist, alle Juden seien reich und besonders intelligent und hätten zu viel Macht. Nicht in der Übereinkunft eingeschlossen war seit jeher, dass Leute, die meinen Namen hören, sofort von ihrem guten Verhältnis zu Juden oder auch Israel erzählen, von jüdischen Freunden, die außergewöhnlich intelligent sind. Ein Tabu verletzt es eher, wenn ich sage, dass derlei Liebe zu Juden antisemitisch ist. Um Unheil zu vermeiden spreche ich das meist nicht aus. Manchmal sage ich, dass die Rede von Halb- und Vierteljuden NS-Jargon ist, nicht alle Juden merkantil begabt sind, und ich auch dumme Juden kenne.

Ich höre öfter, man dürfe Israel nicht kritisieren. Auch das ist kein Tabu, es passiert nichts, wenn man Israel kritisiert, vielleicht ergibt sich eine heftige Diskussion, aber man wird weder eingesperrt noch umgebracht. Die deutsche Loyalität gegenüber Israel ist politisch gewollt, sie ist kein Ge- oder Verbot, sondern eine Folge der deutschen Verbrechen bzw. der Verbrechen von Deutschen.

Keiner sagt offen, dass er Juden nicht mag … wollte ich noch vor ein paar Wochen schreiben, inzwischen häufen sich Berichte über antisemitische Vorfälle. Die meisten handeln von unseren neuen Bürgern oder Noch-nicht-Bürgern, die sich an die Vereinbarung der Nachkriegsdeutschen nicht halten. In dieser Debatte geht vieles durcheinander: Israelkritik, Antizionismus, ererbter und erlernter Hass, Verschwörungstheorien. Das alles ist kompliziert und das Konglomerat lässt sich in Kurznachrichten kaum entwirren. Rechte Vorurteile, linke Schnellurteile, Solidarität mit Palästinensern, Kritik an Israels Politik, Lust an Provokation, Macho-Gehabe, Kalkül, hirnlos benutzte Schimpfworte und wohlüberlegte Ausnutzung von Ängsten bündeln sich rund um den Judenhass, der immer schon ein Seismograph für Enge und Dummheit war. Ich will das Problem nicht verharmlosen, zumal ich ja auch Nachrichten aus Frankreich höre, die uns da ein paar Jahre voraus sind. Quasi rassisch bedingt machen mich Pauschalierungen misstrauisch. Wäre es nicht so traurig, wäre es ja fast lustig, dass der Vorwurf des Antisemitismus nun benutzt wird, um Vorurteile gegen Muslime (die ja, rassisch gesehen, auch Semiten sind) zu schüren.

Differenzieren ist anstrengend und man kann damit keinen der Blumentöpfe gewinnen, die in Zeiten wie diesen von Quoten, um nicht zu sagen, von „peuple“, Populismus abhängen. In überschaubaren Gemeinschaften konnten Tabus den Zusammenhalt befördern, dahin führt kein Weg zurück. Aber man kann erzählen, Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund zusammenbringen, genaues Hinschauen üben, um den Weg nach vorne zu ebnen. Die Schulen darf man dabei nicht überfordern, sie sind bekanntlich in schlechtem Zustand – wie die Straßen, die Gerichte, Krankenhäuser, Musikschulen, auch die Polizei … All die öffentlichen Einrichtungen, die den Staat ausmachen, und für die es zu wenig Geld und Personal gibt in diesem schönen reichen Land, das schon wieder Überschüsse erzielt hat.

Soweit war ich gekommen, als mir die Nachricht einer Kollegin in mein Postfach flatterte. „Der „Echo“-Preis der deutschen Musikindustrie könnte in diesem Jahr ein Zeichen setzen: gegen Toleranz, gegen Juden, gegen Gesetzestreue“ las ich und las gegen meine sonstige Gewohnheit (mein eingebauter Schutz gegen Panik) weiter [https://www.cicero.de/kultur/echo-kollegah-farid-bang-fard-celos-abdi-rapper-antisemitismus#main-content]. Nach ein wenig Recherche stellte ich fest, dass vor zwei Jahren eine nicht offen, aber verdächtig „patriotische“ – damals sehr deutsche – Gruppe für diese Auszeichnung der Musikwirtschaft nominiert war, was ein bisserl Skandal ausgelöst hatte. Ich beschäftige mich sonst wenig mit Gangsterrap, bin nicht auf Schulhöfen, um zu hören, was da gesagt und geschimpft wird, verstehe die Sprachen nicht, die in Neukölln und in den Subkulturen ganz Europas gesprochen werden. Was ich verstehe ist, dass Hass, Verachtung, Wut aus den Liedern spricht, und dass die Verknüpfung von Auschwitz, Holocaust, Juden mit Texten übers Zuschlagen und der Aufforderung, Bomben zu werfen, ein gutes Geschäft geworden ist. Der „Echo“ wird auf der Basis von Verkaufszahlen und Publikumsbegeisterung vergeben. Wenn solche „Gesänge“ von einer durchaus als ehrenwert geltenden Jury nominiert werden können, ist der Beweis erbracht, dass Antisemitismus kein Tabu ist – unabhängig davon, ob solche nun an die Öffentlichkeit gekommenen Äußerungen letztlich verboten und geächtet werden.

PS: Nächstes Mal denk ich darüber nach, ob das Thema Überbevölkerung ein Tabu ist.

 

Hazel Rosenstrauch, geboren in London, aufgewachsen in Wien, lebt in Berlin. Schreibt, lehrt, denkt und faulenzt gelegentlich. Schreibt Aufsätze, Bücher (über die Zeit um 1800, über Henker, Frauen, Kommunisten, Juden u.ä.), in letzter Zeit u.a. Rezensionen für CulturMag. hazel.rosenstrauch.com
https://de.wikipedia.org/wiki/Hazel_Rosenstrauch,

Blogbeiträge u.a. unter https://m-i-ma.de/category/glosse
Ihr Buch „Karl Huß – Der empfindsame Henker“ bei CulturMag besprochen.

 

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