Geschrieben am 6. August 2011 von für Bücher, Crimemag

Adrian Hyland: Kaltes Feuer

Nein, ich will nicht.

– Kann ein Satz ein ganzes Buch vermiesen? Ja, kann er! Warum, das begründet Henrike Heiland an einem Satz von Adrian Hyland.

Ich will nicht weiterlesen. Ich habe etwas über eine halbe Seite geschafft, und dann habe ich das Buch weggelegt. Ich weiß, es ist eigentlich Gunter Gerlachs Aufgabe,  Bücher nicht zu Ende lesen und dann zu erklären, warum er sie nicht zu Ende gelesen hat, aber heute bin ich mal dran, heute mache ich den Gerlach.

Dabei fing alles ganz gut an: Den ersten Hyland habe ich gelobt! Und wie! Deshalb freute ich mich darauf, den „neuen Fall für Emily Tempest“ zu lesen. Was muss ein Autor anstellen, um nach einer halben Seite weggelegt zu werden, obwohl ihm größtes Wohlwollen entgegengebracht wird, zumal noch von einer Namensvetterin (das ist ein mieses Wort, Namensvetterin)? Er schreibt einen falschen Satz. Und ich meine jetzt falsch im streng handwerklichen Sinne. Der Satz heißt:

„Als ich mich umsah, bewegten sich sanft meine Brüste, die mit einem ockerfarbenen Gitter bemalt waren.“

Okay, es geht um rituelle Tänze da draußen im australischen Outback, die Frauen sind nackt und bemalt, soweit alles im Rahmen. Aber widmen wir uns der Erzählhaltung. Die Ich-Erzählerin spricht von ihren eigenen Brüsten, die sich sanft bewegen. Warum? Es ist nicht handlungsrelevant, die Brüste sind kein wichtiges Element, es ist nur ein richtig blöder Satz, um dem Leser mitzuteilen: Hey, die Frau ist nackt. Das ist unelegant und anbiedernd, das ist schlechter Stil und damit schlechtes Handwerk.

Autoren schlampen gern …

Es ist ja immer so ein Problem mit der Ich-Erzählung, oder auch mit der personalen Erzählsituation, da schlampen Autoren und Autorinnen gerne mal und packen Dinge rein, die jetzt so gar nicht wirklich dort stehen dürften. Norbert Horst hingegen ist den radikalen Weg gegangen und hat sich für eine Ich-Erzählhaltung ohne das Wort „ich“ entschieden, weil er sinngemäß sagt: Kein Mensch denkt „Ich gehe“ oder „Ich setzte mich“ oder „Ich fragte ihn“. Da hat er recht. Aber so erzählt nun mal nur Horst, und die konventionelle Weise, mit der Ich-Perspektive umzuspringen, ist nun mal „Ich setzte mich“ und „Ich fragte ihn“. Das lässt sich auch schön hübsch weglesen. Aber „Meine Brüste bewegten sich sanft“?

Bild: Awelye © 2011 Central Art)

Nackt und bemalt

Die Emily Tempest aus dem ersten Band, die würde so vermutlich nicht ihre Geschichte aufschreiben. Die wäre da etwas nüchterner und klarer und würde sich nicht mit solchen Details aufhalten. Die würde ohne Umschweife erklären: Wir sind nackt, wir sind bemalt, fertig. Ich frage mich auch, welche Frau überhaupt in dieser Situation von ihren sanft schwingenden Brüsten reden oder denken oder erzählen würde, es sei denn, der Satz steht in der verpilcherten Variante einer erotischen Erzählung. Nein, der Satz passt nicht zur Figur, er passt nicht in die Szene, er passt nicht in die Erzählsituation, er passt nicht ins Buch. Obwohl, vielleicht passt er ins Buch, und ich müsste nur weiterlesen, aber dann wäre das Buch nicht die Sorte Kriminalroman, auf die ich mich nach dem letzten Hyland gefreut hatte.

Bin ich unfair? Ja. Bestimmt. Jeder Autor darf mal einen miesen Satz schreiben. Oder zwei oder drei. Aber manchmal, wenn so ein Satz auf der ersten Seite steht, dann darf man das Buch ruhig schon mal weglegen. Finde ich. Und es denen überlassen, die sich nicht daran stören, dass da so holprig die Erzählhaltung hingebogen wird, wie es dem Herrn Hyland gerade passt, weil er nicht weiß, wie er seine Infos sonst unterbringt. Nein, nicht schön, eher schade.

Henrike Heiland

Adrian Hyland: Kaltes Feuer (Gunshot Road, 2010). Deutsch von Peter Torberg. Berlin; Suhrkamp 2010. 9,95 Euro.
Verlagsinformationen zum Buch

Homepage von Henrike Heiland