„Als man noch aus persönlichen Gründen gelebt hat.“
– Alf Mayer über ein Buch mit Briefen und Zeichnungen von Vlado Kristl.
„Auf dem Schild steht ‚Junger Deutscher Film‘. Auf der Wiese, hinter einem Haus, drehen einige Jungens und sprechen ständig vom alten Film. sie beschuldigen sich pausenlos, alte Filme zu drehen. als das Geld kommt, beginnt die Messerstecherei.“ So lautet einer der Einträge in Vlado Kristls „Sekundenfilme“ (Edition Suhrkamp, Frankfurt 1971). Der in Zagreb geborene Vlado Kristl (1923 – 2004) war der kompromissloseste Filmemacher, den man sich in deutschen Gefilden nur vorstellen kann. Wer sich bei Christoph Schlingensief erschreckt hat (CM-Hinweis auf ein aktuelles Buch hier und hier), dem bleibt bei Vlado der Atem stehen. Dieser Mann war der Zorn Gottes, was Mitläufer, Duckmäuser, Bürokraten, Arschkriecher, Feiglinge und normale „Filmemacher“ anging. Sein Hohn, seine Verachtung und seine Phantasie, solche Leute zur Verzweiflung zu bringen, waren grenzenlos.
Nieder mit der Jugend, die nicht revoltiert!
„Nieder mit den falschen Menschen! Mit den in Institutionen verbarrikadierten Menschen! Mit den verlogenen Menschen! Mit den Erfolgsmenschen! Mit den Obrigkeitshörigen! Mit den Gehorsamen, Ehrfurchtsvollen, Ängstlichen und Reichen, religiösen Menschen! Nieder mit der Frau die mit diesen Menschen schläft, lebt oder ihn liebt! Nieder mit dem Mann der dieser Frau Freund ist! Nieder mit den Eltern, die ihre Kinder in Ordnungsliebe zum Gesetz kaputterziehen! Nieder mit der Jugend, die nicht revoltiert! Nieder mit den Alten, die so konservativ geworden sind, dass sie sich mit Sehnsucht an die Zeit des Dienens und des Arschleckens erinnern! Es lebe die Anarchie!“ So heißt es in einer frühen Korrespondenz mit Dieter Reifarth. Der notiert einmal, 1975: „Komischer Typ, dieser Vlado Kristl. Schickt eine Rechnung für Filmmiete. Absender, Betrag, Mehrwertsteuer, alles korrekt – aber dann ist da ein Kugelschreibereintrag quer übers Blatt: „Was macht die Liebe ????“ Oben drüber zwei nackte Mädchen, darunter eine wehende Fahne. Der Rechnungsprüfer im „Amt für Wissenschaft und Kunst“ verweigert die Auszahlung, weil diese Art Rechnung „nicht gültig“ sei. Auf meine Bitte nach einem neuen Schrieb (diesmal leider ohne Zeichnungen!) kontert Kristl: „Warum erklären wir nicht einfach diesen Rechnungsmann für ungültig?““
Vlado, der Anarchist. Und das volle Kanne. Wen er aber respektierte – wie etwa meinen Freund Dieter Reifarth, damals der Leiter des Kommunalen Kinos in Frankfurt -, der hatte seine lebenslange Hochachtung, was das Leben und den Umgang mit ihm zwar nicht immer zum Zuckerschlecken, aber unterm Strich zu einem sehr privilegierten Zustand machte.
Vlado, der Poet mit dem Flammenschwert. Der Situationsbombastiker. Was bin ich, alleine vom Erzählen, vor Lachen seinetwegen schon unterm Tisch gelegen. Begegnen wir ihm schriftlich, in seinen wunderbaren Briefen und Zeichnungen und Filmentwürfen. Im Verbrecherverlag – welch treffliche Heimat für einen Mann seines Kalibers – ist jetzt eine von Wolfgang Jacobsen getroffene Auswahl erschienen. Filmideen, Treatments, Skizzen, Geschäfts-, Liebes- und Unsinnsbriefe, Dokumente und Skizzen zeichnen ein Leben neben aller Spur und vor allen einen großen Künstler nach. Der Titel: „Noch– immer nichts.“ Innen fortgesetzt mit: „… immer weinen kann man wieder nicht.“
Keine Scheu vor Königsthronen
Vlado, der mit 19 Partisanenkämpfer gegen die Nazis wurde, schrieb zu jugoslawischen Ostblockzeiten, am 5.9. 1962, ohne die übliche Anrede „Genosse Präsident“ an Tito, beschwerte sich über die Behinderungen seiner Arbeit als Kurzfilmer und bat ihn, sich die Zeit zu nehmen, doch seinen Film „Don Kihot“ anzusehen, in dem er den Staatsführer angeblich beleidige. „Ich aber habe den Eindruck“, schreibt er, „dass diejenigen Ihren Namen benutzen, die weniger Gewissen haben als ich.“
Natürlich half das nichts, war aber eine Haltung. Vlado ging nach München. 1971 nahm er in einem seiner Bücher Kontakt zu einer obersten Bundesbehörde auf: „Sehr geehrter Herr Bundesgerichtshofpräsident, ich kann den Verdacht nicht loswerden, dass ich Ausländer bin.“
Kristls Filme seien „destruktiv“ und „anarchistisch“, wird ihm aus Kreisen der Zeitschrift „filmkritik“ vorgeworfen, die ihn andererseits das ganze Heft Mai 1976 gestaltet lässt. 1975 hat er die „Die Verhaftung von Ulrike Meinhof“ gemalt, Öl auf Leinwand, 70 x 100, für Kenner sein vielleicht schönstes Bild. Die sind ab irgendwann beinahe unzählbar. Er malt, er zeichnet, er schmeichelt, schwärmt und wütet, alles wie im Rausch, und ab und zu kann er einen Film machen.
100 Minuten auf 60 m²
Die Filme heißen: „Capriccio“, „Der Damm“, „Der General“, „Das Autorennen“, „Der Brief“, „Madeleine Madeleine“, „Sekundenfilme“, „Obrigkeitsfilm“, seine Bücher haben Titel wie „Geschäfte, die es nicht gibt“ oder „Kultur der Anarchie“. Er macht Video-Theater, publiziert im Münchner S!A!U!-Verlag ein Heft mit Karikaturen, Gedichten und Aphorismen. Er ist unglaublich vielseitig, aber mit kaum etwas verdient er Geld. Überhaupt Geld. Scheiß Geld. Scheiß Geldverdienen. „Tod dem Zuschauer“ ist sein Konzept. Sagt er. „Ich muss höllisch aufpassen, dass mir nicht wieder ein Film gelingt“, betont er des Öfteren. In „Tod dem Zuschauer“ stehen auf Spielfilmlänge einzelne Menschen auf 60 m² Marktstraße München herum, 100 Minuten lang.
Als er sechs Jahre lang keinen Film macht, ein Sozialfall wird, will die Ausländerpolizei in Bayern ihn ausweisen. Es ist das Jahr 1979. Die Hamburger Hochschule für bildende Künste am Lerchenfeld verhindert die Ausweisung, indem sie Kristl als Professor an die Hochschule holt. Professor Vlado Kristl. Da lachen alle Hühner. Er will seine Studenten töten. Sagt er. Wer mit ihm zu tun hat, muss radikalen Ideen etwas abgewinnen können. Einer, der das kann, ist Dieter Reifahrt, vom Programmacher des Frankfurter Kommunalen Kinos selbst zum Produzenten und Regisseur geworden, zum Ermöglicher. „strandfilm“ heißt seine Firma, für Vlado liegt unter den Frankfurter Pflastersteinen mancher Film.
Ein Mensch-Versuch
Da ist er wieder, so ein Alles-oder-Nichts-Begriff. „Vlado Kristl – Ich bin ein Mensch-Versuch“ heißt einer seiner Filme. „Liebe Gabi, bin gerade fertig, satt und bereit mich zu entschuldigen“, schreibt er im März 2000. „BITTE, BITTE …!!!“ Er verehrt Achternbuschs „Bierkampf“, sieht sonst „alles Würmer, Anpassungsergebnisse schleimigster Sorte“, hat einen roten „DRINGEND“-Stempel für seine Briefe, die überbordend bemalt und verziert sein können. Malen ist ihm „ein Wegwerfen von Gefühlen, das Konzentrieren auf eine Revolte“. Mit Dietrich Kuhlbrodt (siehe dessen Vorwort für das Schlingensief-Buch hier) entwirft er für die „Frankfurter Rundschau“ ein „Festival des genialen Werks“, gründet 1990 eine Partei der Intelligenz. Er ist sich sicher, dass das 21. Jahrhundert ein menschenfeindliches sein wird. „Ja, habt Ihr nicht bemerkt, dass eigentlich nur Platz ist für den, der selbst den Platz mitbringt“ – diese Worte von Vlado Kristl nahm Handke als das Schlusszitat der „Linkshändigen Frau“. Kristl hasste den Film. Siehe oben.
Ein Autor wird vermisst
Die Doppel-DVD „Der Damm & Film oder Macht“ des Filmmuseums München versammelt zehn Filme von Vlado. „Als Vlado gestorben war“, erinnert sich Dieter Reifarth, „zögerte ich manchmal, ans Telefon zu gehen, weil er ja nicht am Apparat sein konnte. Eigentlich hatte ich mich damit abgefunden, dass jemand nicht mehr anruft, wenn er tot ist. Eigentlich.
Seither vermisse ich Gespräche, die mit den Worten beginnen: „Heut‘ nacht ist mir aus Versehen das allerschönste Gedicht gelungen, ein Wunderwerk.“ Oder: „Das Gedicht von vorgestern musste heut‘ früh vernichtet werden. Wer so etwas aufschreibt, gehört zu den Feinden der Menschheit.“
Ich bin nie einem Maler begegnet, der seine Bilder so sehr geliebt hat ohne je mit ihnen einverstanden zu sein. Manche hat er dutzendfach übermalt. Elf Jahre hat es gedauert, bis etwas aus „Handwerker schlägt Hölderlin, den größten Dichter Europas, zusammen“ über „Kreislaufkollaps am Frankfurter Hauptbahnhof“, „Mein Gesicht“, „Tod der Kunst“ „Circulation en sense inverse“ der „Blumenstrauß“ wurde.
Alle Bilder lebten in Vlados ästhetischer Gegenwart, alle waren ihm präsent, die sichtbaren ebenso wie die unsichtbaren. Und keines war vor ihm sicher.
Ich vermisse Autoren, deren Filme mit dem Motto beginnen „Keiner weiß, wer befiehlt. Alle gehorchen!“ Und solche, denen Titel einfallen wie „Die Hälfte des Reichtums für die Hälfte der Schönheit“ oder „Als man noch aus persönlichen Gründen gelebt hat.“
(Aus Dieter Reifarths „Erinnerungen an einen Freund“ im sehr schönen Band „Vlado Kristl / Der Mond ist ein Franzose“, Maske und Kothurn, Band 57/3-4, Böhlau Verlag 2011.)
Alf Mayer
Wolfgang Jacobsen (Hg.): Vlado Kristl: Noch – immer nichts. Briefe und Zeichnungen. Verbrecher Verlag, Berlin 2015. Broschur, 128 Seiten, farbige Abbildungen. 26,00 Euro. Verlagsinformationen zum Buch hier.
Vlado Kristl: Der Damm & Film oder Macht. Doppel-DVD. Hg. vom Filmmuseum München, Zagreb Film, Slovenski filmski center und Goethe-Institut München. Inhalt: Kradja dragulja; La peau de chagrin; Don Kihot; General i resni clovek; Madeleine, Madeleine; Der Damm; Prometheus; Italienisches Capriccio; Film oder Macht; Tigerkäfig. Länge 138 und 143 Minuten. ROM-Bereich mit zahlreichen Dokumenten, Skizzen, Scenarios und Zeichnungen, sowie 20-seitiges dreisprachiges Booklet mit Texten von Vlado Kristl, Eckhart Schmidt, Dietrich Kuhlbrodt, Jörg Peter Feurich und Barbara Bronnen. 29,95 Euro. Weitere Informationen hier.
Uwe Nettelbeck (hier) und Helmut Schödel (hier) über Vlado Kristl.