Geschrieben am 27. September 2014 von für Bücher, Crimemag

Bruce Holbert: Einsame Tiere

bruce_holbert_einsame_tiereSterben ist nicht einfach

– Düstere Neo-Western sind schwer en vogue. Das ist nicht nur der übliche Hype und der Drang zu Me-too-Büchern, sondern hat mit der Suche einer sehr verunsicherten und destabilisieren Nation nach dem eigenen Herkommen zu tun. Und weil davon die ganze westliche Wertewelt nicht untangiert bleibt, interessieren wir uns auch für dieses Genre. „Einsame Tiere“ von Bruce Holbert ist ein besonders spannendes Beispiel – findet Thomas Wörtche.

„Es gibt keine einfachen Erklärungen“, sagte der amerikanische Autor Bruce Holbert in einem Interview, in dem er über seinen Debütroman „Einsame Tiere“ spricht. Einfach ist an diesem Buch überhaupt nichts. Was ist es überhaupt: Ein Serialkiller-Roman, der in den 1930er Jahren im Nordwesten der USA, wo es am Unwirtlichsten zugeht, spielt? Ein Neo- oder Spätwestern, weil es zwar Autos und Technologie gibt, aber die Hauptfiguren sich auf Pferden durch die Berge bewegen und die Tötungsarten – sagen wir – arg atavistisch sind? Oder einfach ein historischer roman noir, so schwarz, dass Düsternis hell erscheinen würde?

Don Siegel_The ShootistDer Roman, auf den Plot reduziert, erzählt eine „Standardsituation“ des Spätwesterns seit Sam Peckingpahs „Ride the High Country“ oder Don Siegels „The Shootist“: Ein Sheriff im Ruhestand macht sich noch einmal auf, um einen Schurken zu jagen und zur Strecke zu bringen, aber er passt in die „neue Welt“, die auch die Natur verändert, nicht mehr hinein.

Der Schurke wiederum folgt dem narrativen Muster des Serialkillers als irren Künstlers: Er arrangiert grauenhaft abgeschlachtete, zerstückelte und bizarr zu Tode gebrachte Menschen als ob es Kunstwerke mit einer message wären, weil er in einem „höheren Auftrag“ handelt.

Das soziokulturelle Milieu ist das des Country Noir – die Zeit der Depression. Die Behörden, hier das Bureau of Indian Affairs und die Tribal Police agieren willkürlich, mit brutaler Gewalt. Man darf dieses Setting durchaus als Gegenrede zu den Ethno-Krimis von Tony Hillerman etwa verstehen, der diese Art Polizeiarbeit gefeiert hatte. Aber bei Holbert gibt es zwischen Gesetz und Verbrechen keine trennscharfen Unterscheidungen mehr.

Dämon Story

Diese Überblendung verschiedener Grundnarrative der Populären Kultur hat ihren guten Sinn – denn es geht um die Story, um das Narrativ als „demon“, wie Holbert in dem o.a. Interview ausführt. Der Killer mordet, weil er bestimmte „Erzählungen“ vom richtigen und falschen Leben auslöschen resp. korrigieren möchte.

Und sieht man den Roman im Kontext anderer, radikaler Versuche, die amerikanische Geschichte neu zu sehen, dann wird ein Trend, eine Linie deutlich: TV-Serien wie „Deadwood“, Romanciers wie Daniel Woodrell und James Carlos Blake (mehr dazu hier) gehen radikal an die Wurzeln der heutigen USA, die mit ihren überhöhten „Werten“ nicht nur außenpolitisch, sondern auch innenpolitisch in die Krise geraten sind. Schusswaffen, neuer Rassismus, Hinrichtungen, christliche Fundamentalismen, Mitleidlosigkeit und Gleichgültigkeit gegen Mensch und Natur, überhaupt alle Sünden einer auf Gewalt basierten Kultur werden von diesen „neuen Western“ reflektiert. Holbert geht nicht nur auf die „Werte“ ein, sondern gräbt noch tiefer: Er problematisiert und demontiert die Grundnarrative dieser Gesellschaft und zeigt, wie dennoch schmerzhaft ihre Ausrottung sein könnte. Der Roman erschreckt durch extreme Gewaltschilderungen. Exzessive Gewalt, very graphic, scheint überhaupt ein Merkmal des „Western noir“ zu sein: vermutlich immer noch als Reaktion auf die „alten Bilder“ der alten Filme und anderer Narrative, denen zufolge die Erschossenen elegant vom Pferd segeln, oder bei denen wie im Italo-Western das Abschlachten als Todesballett inszeniert ist. Gewalt ist hier atavistisch, schmutzig, völlig unsexy und abstoßend.

Tony_Hillerman_skeleton_manVeritabel irr

Ganz im Sinne des klassischen Westerns imponiert „Einsame Tiere“ durch die Inszenierung von „erhabener“ Natur (im Sinne Burkes) mit all ihrer Grausamkeit und verblüfft weniger mit dem Figurenensemble, das wir alle zu kennen glauben. Aber, und das ist dann verblüffend, Holbert dreht und beleuchtet seine Figuren so sehr gegen den Strich und lässt sie denken, empfinden und handeln wie wir es, im Gegensatz zu den eingeschliffenen Narrativen, so noch selten gelesen und gehört haben. Quer, störrisch, verschlossen, kryptisch und manchmal auch veritabel irr. Und man hat immer das Gefühl, dass Holbert, dessen Urgroßvater seinen Großvater ermordet hatte, und der selbst angeblich einen Studienfreund erschossen hat, ganz genau weiß, wovon er redet, sobald extreme Positionen ins Spiel kommen. Aber das ist nur eine weitere Ebene der Verwirrung, die der Roman letztendlich stiftet. Keine einfachen Erklärungen eben. Ein faszinierenden Roman, der in keiner Hinsicht einfach ist.

Thomas Wörtche

(extended version eines Textes, der hier zu lesen und zu hören ist)
Bruce Holbert: Einsame Tiere (Lonesome Animals, 2012). Roman. Deutsch von Peter Torberg. München: Liebeskind. 303 Seiten. 19,80 Euro. Verlagsinformationen zu Buch und Autor.

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