Geschrieben am 15. November 2017 von für Bücher, Crimemag

Hannah Coler: Cambridge 5. Zeit der Verräter

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Die Universität von Cambridge und speziell das ominöse College der „Cambridge Five“ kennt Bodo V. Hechelhammer persönlich, zuletzt zum Easter Term 2016 hat er dort am Intelligence Seminar einen Vortrag gehalten, bezeichnenderweise zum Thema KGB-Spione/Doppelagenten. Er war auch im wissenschaftlichen Beirat  des „Journal of Intelligence and Terrorism Studies“, jener Zeitschrift aus Cambridge, die im letzten Jahr wegen angeblicher Moskau-Kontakte von heute auf morgen eingestellt werden musste. Wir freuen uns, den Chefhistoriker des Bundesnachrichtendienstes (BND) im Kreis unserer Rezensenten begrüßen zu können.

Der Spionageroman »Cambridge 5. Zeit der Verräter« spielt im Umfeld der Universität von Cambridge in Großbritannien. Er greift dabei im Titel den berühmten gleichnamigen Fall des Spionagerings um den britischen Doppelagenten Kim Philby (1912–1988) und seiner vier Kommilitonen vom dortigen »Trinity College« als zeitlichen Ausgangspunkt auf und wurde von einer Autorin unter Pseudonym geschrieben, deren Vater sogar selbst für amerikanische Geheimdienste gearbeitet haben soll. Und zwar für den »Counter Intelligence Corps« (CIC), den Spionageabwehrbereich der US-Armee, möglicherweise sogar auch für die »Central Intelligence Agency« (CIA). Womit schon einmal ganz besondere Voraussetzungen für einen bemerkenswerten Lesestoff gegeben sind.

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Schon nach wenigen Seiten ahnt der aufmerksame Leser, dass hier eine profunde Kennerin vor allem der historischen Materie ihr Erstlingswerk als Roman vorlegt. Hinter dem Pseudonym Hannah Coler verbirgt sich die renommierte deutsche Historikerin Dr. Karina Urbach (*1971), die sich sehr gut sowohl mit der Geschichte Großbritanniens als auch mit der dortigen Universitätslandschaft auskennt und zahlreiche historische Fachbücher verfasst hat. Urbach, geboren in Düsseldorf und aufgewachsen in München, hat selbst lange Zeit in Cambridge gearbeitet. Sie hat dort 1996 über den britischen Botschafter in Berlin, Lord Odo Russell (1829–1888), promoviert und 2009 über die politischen Verbindungen des europäischen Adels im 20. Jahrhundert habilitiert. Zudem arbeitete sie nicht nur für historische Dokumentationen von BBC und ZDF, sondern gab auch 2013 ein Buch über die Rolle des britischen Geheimdienstes in Europa mit heraus. Eine renommierte Historikerin und Englandkennerin verlässt somit ihr vertrautes wissenschaftliches Umfeld und versucht sich als Romanautorin: zwar ganz ohne Fußnoten, jedoch nicht ohne einen minimalen wissenschaftlichen Apparat am Ende des Buches. Nur so ist wohl auch die Nutzung ihres Pseudonyms zu verstehen, denn ein Roman unter ihrem in der Fachwelt bekannten Namen wäre sogleich »anders« bewertet und eingeordnet worden. Karina Urbach schlüpft so als Hannah Coler in eine andere Identität, so wie es auch jene Spione und Maulwürfe tun, über die ihr Roman geht.

Grabstein Philbys mit seinem Porträt auf dem Kunzewoer Friedhof in Moskau (Quelle: wikipedia, © A.Savin)

Grabstein Philbys mit seinem Porträt auf dem Kunzewoer Friedhof in Moskau (Quelle: wikipedia, © A.Savin)

Klassisches Rekrutierungsgebiet

Keiner, der an den 31 verschiedenen Colleges in Cambridge studiert hat, kommt an den berühmten Spionagegeschichten vorbei, die sich an der dortigen Eliteuniversität abgespielt haben oder haben sollen. Die elitäre Bildungsstätte brachte nicht nur zahlreiche Nobelpreisträger hervor, sie ist auch klassisches Rekrutierungsgebiet für die britische Wirtschaft, für Regierungskreise und auch der Geheimdienste MI5 oder MI6; aber historisch ebenso auch anderer nationaler Geheimdienste. So interessiert sich auch die deutschen Studentin Wera wissenschaftlich für den bekanntesten Spionagering ehemaliger Cambridge-Studenten, den »Cambridge Five« (Kim Philby, Donald Maclean, Guy Burgess, Anthony Blunt und John Cairncross), die während ihrer Studienzeit in den 1930er Jahren vom sowjetischen Geheimdienst angeworben wurden und später als britische Geheimdienstmitarbeiter den KGB mit Informationen versorgten. Wera gehört selbst einer Gruppe von jungen Studenten an (zusammen mit Jasper und David) und will ihre Doktorarbeit zum Thema bei ihrem Geschichtsprofessor Hunt schreiben. Doch Hunt, in den 1970er Jahren natürlich auch als Student in Cambridge und einer eigenen Gruppe (zusammen mit Jenny, Stef, Georgina und Denys) zugehörend, wird im Verlauf des Romans in einen mysteriösen, offenbar politischen Mordfall verwickelt. Während Wera zu ihrem Spionage-Thema weiter forscht und recherchiert, stößt sie auf sensible Informationen und wird selbst Teil einer Spionagegeschichte. Denn offenbar rekrutiert der russische Geheimdienst weiterhin Spione an der Universität. Die Geschichte nimmt ihren Lauf.

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Spionage über drei Zeitebenen

Da die Handlung an einer britischen Universität spielt, ordnet die Autorin ihre Geschichte zeitlich entlang der Studieneinteilungen in Cambridge an; beginnend mit dem »Michaelmas Term«, Oktober bis Dezember 2014, unterteilt in 20 Kapitel, dem »Lent Term«, Januar bis März 2015, auf 23 Kapiteln, und dem abschließenden »Easter Term«, von April bis Juni 2015, auf zwölf Abschnitten. Das besondere Moment ihrer Erzählung ist jedoch, dass Hannah Coler dabei immer wieder zwischen drei Zeitebenen wechselt: den 1930/60er und den 1970er Jahren sowie der Jetztzeit. Geschickt werden Erzählstränge dreier Generationen von Cambridge-Studenten miteinander verknüpft und Bilder über deren jeweilige Vorstellungswelten, ihren Idealen und vor allem dem Verrat dieser Ziele entworfen. Der Ort der Handlung, die englische Kleinstadt mit ihrer weltbekannten Universität, bleibt dabei stets als Bezugsrahmen identisch und die entstehende Doktorarbeit der Romanfigur Wera zum Spionagering um Kim Philby verknüpft die einzelnen Geschichten der verschiedenen Zeitebenen miteinander.

Neben dem generationsüberschreitenden Plot liegen die Stärken des Buches besonders in den feinen Charakterbeschreibungen und in den Motivsträngen der mitunter exzentrischen Wissenschaftler bzw. Wissenschaftlerinnen der einzelnen Jahrzehnte. Gerade bei der Gruppe aus den 70er Jahren, die sich alle mehr oder weniger offensichtlich von ihren ehemaligen hohen Idealen verabschiedet haben, kommt man beim Lesen zahlreicher Stellen nicht an einer Erheiterung vorbei. Alle scheinen auf der einen oder anderen Weise ein dunkles Geheimnis oder sogar eine Beziehung zum Geheimdienst zu haben. Jeder scheint verdächtig: wie im richtigen Leben. Oder auch nicht.

Ein flüssig geschriebenes Buch einer gut im ganz speziellen Biotop der Universitätslandschaft beheimateten Autorin und absoluten Englandkennerin und eine auf mehreren Erzählebenen angelegte und sich entwickelnde Spionagegeschichte. Fiktion und Realität vermischen sich zudem am Ende auf interessante Weise. Wer gerne Spionageromane mit Bezug zu wahren historischen Begebenheiten liest, die sich stärker an Sozial- und Milieubeschreibungen und weniger an den eher bekannten Action-Verfilmungen des Themas orientieren, der trifft mit Hannah Colers alias Karina Urbachs »Cambridge 5. Zeit für Verräter« die richtige Wahl. Lesenswert!

Bodo V. Hechelhammer

Hannah Coler: Cambridge 5. Zeit der Verräter. Limes Verlag, München 2017. 416 Seiten, 19,99 Euro.

Anm. d. Red.: Siehe auch die CrimeMag-Besprechung von Robert Littells Kim Philby-Studie „Porträt des Spions als junger Mann„.
Zu Bodo V. Hechelhammer das Gespräch mit Alf Mayer: „Ich denke, Geheimdienst ist besonders spannend unter kulturhistorischer Sicht“ (Sept 2017).

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