Geschrieben am 14. Februar 2015 von für Bücher, Crimemag

Bloody Chops

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Bloody Chops – lesen, denken, wooosh …

Heute am Beil Joachim Feldmann (JF) und Thomas Wörtche (TW), auf dem Block „Der Herr auf der Galgenleiter“ von Hugo Bettauer, „Vaters unbekanntes Land“ von Bernhard Stäber und „Control“ von Daniel Suarez.

Hugo Bettauer_Der Herr auf der GalgenleiterVielleicht doch Raubmord?

(TW) Deutschsprachige Kriminalliteratur hat keine konsistente „Tradition“, die irgendwie ästhetisch oder sonst wie programmatisch wirkmächtig gewesen wäre. Sie hatte aber Solitäre, Einzelgänger und -kämpfer, denen Formen und Regeln ziemlich egal waren: Friedrich Glauser, Walter Serner und – eben – Hugo Bettauer, um dessen Werk sich der Wiener Milena-Verlag verdienstvollerweise kümmert, wir haben immer wieder darauf hingewiesen. Z. B. hier und hier.

Jetzt also der schmale Roman aus dem Jahr 1992, „Der Herr auf der Galgenleiter“, mit dem Untertitel „Ein Tag aus dem Leben eines Normalmenschen“, wobei das Normale an der Hauptfigur Dr. Lothar Leichtwag dessen Überlegungen zu Mord und Raub sind, mit denen er pausenlos zugange ist. Zwei Optionen in einer ausweglosen persönlichen Situation, die im Kontext der Nachkriegsgesellschaft – Töten war zu Großtechnologie geworden, die Zivilgesellschaft noch lange nicht etabliert – völlig plausibel gewesen wären. Und die angehängten „7 Geschichten“ sind sieben Miniaturen über Wünsche, Träume, Hoffnungen, Tragödien und Komödien ganz „normaler“ Menschen. Literatur mit „Sitz im Leben“.

Hugo Bettauer: Der Herr auf der Galgenleiter. Und 7 Geschichten aus dem Alltag. Mit einem Nachwort von Murray G. Hall. Wien: Milena Verlag 2014. 139 Seiten. 19,90 Uhr. Verlagsinformationen zum Buch.

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U_9579_1A_LYX_VATERS_UNBEKANNTES_LAND.IND9Beliebte Elemente

(JF) Arne Eriksen, Berliner Psychologe mit norwegischen Wurzeln, reist in das Heimatland seines Vaters, um Ruhe zu finden. Die hat er seit einer traumatisierenden Begegnung mit einem psychisch kranken Gewalttäter auch bitter nötig. Dass noch mehr hinter seinen Panikattacken steckt, wird ihm allerdings erst in einem schamanistischen Ritual bewusst. Wie weiland Gregory Peck in Hitchcocks „Ich kämpfe um Dich“ (Spellbound, 1945) leidet Eriksen unter verdrängen Schuldgefühlen, doch statt mit einer zünftigen psychoanalytischen Sitzung beginnt der Heilungsprozess, indem der Patient eine gehörige Dosis getrockneter Fliegenpilze einnimmt. Leider wurde im Falle des psychopathischen Mörders, den es in Bernhard Stäbers Thrillerdebüt „Vaters unbekanntes Land“ zu stellen gilt, auf jedwede Behandlung verzichtet.

Also fantasiert er sich selbst in die Rolle des Minotaurus, jenes aus der griechischen Mythologie bekannten Ungeheuers mit menschlichem Torso und Stierkopf, das im Labyrinth des Königs Minos auf Kreta auf immer neue Menschenopfer wartet, bis ihm der Held Theseus den Garaus macht. Die Heldenrolle übernimmt in diesem Falle Arne Eriksen, der der norwegischen Kriminalpolizei bei der Mördersuche als Profiler beiseitesteht. Wir haben es also mit einem Thriller zu tun, der einerseits weitgehend auf die bewährten Ingredienzien skandinavischer Spannungsprosa setzt, andererseits aber die Fremdheitserfahrung seines Protagonisten als zusätzlichen Reiz zu nutzen versteht. Und da Bernhard Stäber, der selbst seit einigen Jahren in Norwegen lebt, ein zwar konventioneller, aber ziemlich effektiver Erzähler ist, darf man diesen Roman guten Gewissens zum Konsum ohne Reue empfehlen.

Bernhard Stäber: Vaters unbekanntes Land. Thriller. 403 Seiten. Köln. Lyx bei Egmont 2014. 9,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.

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Daniel Suarez_ControlSchöne neue Welt

(TW) Auf dem Buch klebt ein farbenfrohes Zettelchen, auf dem Frank Schirrmacher den guten Daniel Suarez als den „Jules Verne des digitalen Zeitalters“ bezeichnet. Da ist was dran: Mit Jules Verne teilt Suarez nicht nur die grenzenlose technologische Interpolationsfähigkeit, sondern auch die Neigung zu quälend langweiligen Exkursen in ausgefuchste Bereiche von Technik und Machbarkeit – die nur absolute Spezialisten für das jeweilige Fachthema von Nanotechnologie bis zu Gravitationstheorien o. ä. auf ihre Plausibilität überprüfen können – und die nur für eher ästhetische Grobmotoriker erträgliche Prosa. Romane sind keine Sachbücher mit ein wenig Handlung, aber das stört Suarez nicht. Und oh Wunder, das macht auch gar nix. Ähnlich wie Jules Verne rechnet Suarez Trends und Tendenzen der Gegenwart in eine nicht allzu ferne Zukunft hoch.

Hier geht es um den Kontrollwahn eines Supergeheimdienstes namens „Bureau of Technology Control“, das fortschrittliche Technologie nebst ihren Erfindern unter Verschluss hält, aus dem angeblich benevolenten Grund, der eigentlich noch mittelalterlich tickende homo sapiens sei für wirkliche Hightech noch nicht reif und müsse fürsorglich bevormundet werden. Das BTC, das natürlich mit allen „abgeernteten“ Techniken arbeitet, ist mächtiger als jeder Staat und völlig außerhalb jeder demokratischen (oder sonstigen) Kontrolle – passt ein Politiker nicht, kommt er weg. Die Bevölkerung wird belogen und betrogen, die Genies des Planeten entweder zur Kooperation gezwungen oder korrumpiert oder in hermetischer Gefangenschaft gehalten und gequält. Wir müssen jetzt nicht betonen, warum auch futuristische Romane immer Romane über das Hier und Heute sind. „Control“ ist die logische Weiterentwicklung des Paranoia-Thrillers à la „Die sechs Tage des Condor“, weshalb die Hauptfigur auch sinnvollerweise Grady heißt. Und schön ist auch, dass die wichtigen AIs (=Artificial Intelligence, bei uns KI) humaner sind als viele Menschen, die den Roman bevölkern. Nettes Spektakel, auf jeden Fall.

Daniel Suarez: Control (Influx, 2014). Roman. Deutsch von Cornelia Holfelder-von der Tann. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag 2014. 495 Seiten. 12,90 Euro. Verlagsinformationen zu Buch und Autor.

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