Der Kampf um Wien beginnt erst!
– Kriminalliteratur hat viele Quellen und Facetten – die gute alte Kolportage gehört zum festen Bestand. Im feinen Wiener Milena Verlag wird lobenswerterweise ein Großmeister der Zunft gepflegt: Hugo Bettauer. Ein paar einordnende Worte von Klaus Kamberger.
Eigentlich ganz schlau: Wenn man schon nicht zu den literarischen Großkalibern seiner Zeit zählt, lieber in seichteren Gewässern fischt, kann es nur nützen, sich trotzdem mit der Elite gemein zu machen, zumindest sich an sie ran zu wanzen. Wie das besonders tricky geht, lehrt uns der mit allen Wassern des Boulevards gewaschene Hugo Bettauer, Wiens Meister der großen Kolportage in Fortsetzungshäppchen. Er vereinnahmt sie alle, spannt sie sozusagen vor den eigenen Karren. So lässt er den unvergleichlichen Anton Kuh und auch Egon Friedell, zwei Protagonisten aus Wiens ruhmreicher Feuilletonistengarde seiner Zeit, kaum kaschiert in seinem 1922/23 erschienen Roman „Der Kampf um Wien“, ihr Wesen resp. Unwesen treiben, und ganz nebenbei wird noch Karl Kraus mit wahren Lobeshymnen zugedeckt (wohl gerade weil man sich schon denken kann, was einer wie Kraus so, ohne lange zu fackeln, über einen Bettauer für Verrisse geschrieben hätte, wenn er ihn denn überhaupt zur Kenntnis genommen hätte); und um möglichen Sottisen aus der Feder des gleichfalls bewunderten Zeitgenossen Anton Kuh vorzubeugen (der an Bettauers früheren Büchern bislang kein gutes Haar gelassen hatte – was dieser wieder durchaus zu verstehen scheint), lässt er auch gleich mal noch die Marlitt hochleben …

Karl Kraus
Zeitgeschichte
Nun ja, ganz ohne Augenzwinkern geht es auch sonst nicht ab, denn Bettauer wusste natürlich, was für einen „Schund“ er da eigentlich absonderte. Schund allerdings, den man heute ganz anders goutieren darf, nicht zuletzt als eine köstlich leicht verdauliche „Sekundärquelle“ aus jenem großen Topf namens „Zeitgeschichte“. Der Plot: Ein steinreicher Mister O’Flanagan, amerikanischer Milliardenerbe, dessen Mutter mal ein armes, aber liebes Wiener Mäderl gewesen war, hört vom Elend, in welches das gegenwärtige Wien der Zwanziger Jahre durch Krieg und Inflation geraten ist, und beschließt so naiv wie hochherzig, die Heimat seiner Mutter mit all seinem Geld zu retten. Klar, dass er da von einer Intrige in die andere stolpert, angebettelt und umschleimt wird, dass er trotz allem auch ein armes, aber engelgleiches Wiener Maderl kennenlernt. Von verarmtem Adel ist sie. Und dass die beiden sich – nach gehörigen Irrungen und Wirrungen – kriegen, des walte die Marlitt.
Umwerfend, wie Bettauer abkupfert, dass sich die Balken biegen. Denn wer denkt bei dieser Geschichte nicht gleich an eine gewisse Operetten-Witwe, die ihre bankrotte pontevedrinische Heimat mittels ihres wohlgefüllten Portefeuilles retten soll? Und von einem gewissen Bestsellerfabrikanten aus Sachsen weiß unser Autor, wie man Alter Egos placiert. Nur dass Bettauer sich eben nicht Old Shatterhand oder Kara Ben Nemsi nennt, sondern den Ralph O’Flanagan gibt.

Hugo Bettauer in den 1910er Jahren
Wühlen mit Bettauer
Alles klar? Und wie man bis heute auf Karl Mays Spuren durch Prärien und Wüsten reiten kann, streift man mit Bettauer durch das gute, alte, elende, wunderbare Wien und wühlt sich mit ihm durch eine üble Melange von korrupten Politikern, geldgierigen Bankern, frivolen Damen, Schiebern, Dieben und Huren. Doch nicht zu vergessen: Da gab es ja auch noch diese unschuldig verarmte, hemmungslos ausgenutzte, hungernde und frierende Bevölkerung der vormals Kaiserstadt. Und die träumt sich schließlich einen Retter aus der Not herbei, tapfer und aufrecht, meinetwegen auf einem weißen Pferd, aber immer unbestechlich und das Herz auf dem rechten Fleck …
Bettauers Roman war damals hochaktuell und ganz „aus dem Leben gegriffen“, lebte von tausend Anspielungen, ließ reale Personen auftreten – bis hin zum Bundeskanzler Ignaz Seipel –, und versuchte so an den Mann und die Frau zu bringen, was ein Pazifist, Sozialist und Weltverbesserer namens Bettauer sich als das wahre Programm zur Rettung seiner Heimatstadt ausgemalt hatte. Und das sind am Ende natürlich nicht etwa aus Amerika herabregnende Millionen … Sondern? Der letzte Satz in seinem Roman heißt jedenfalls: „Der Kampf um Wien beginnt erst!“
Klaus Kamberger
Hugo Bettauer: Der Kampf um Wien. Roman. Mit einem Nachwort von Murray G. Hall. Wien: Milena Verlag 2012. 296 Seiten. 22,90 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Mehr zu Betttauer auch hier.
Bettauer- und Krausfoto: wikimedia commons, gemeinfrei.