Die Bärentatze
Von Null auf Platz Eins ist Josh Bazells Debütroman in der KrimiWeltbestenliste gesprungen. Zu Recht, weil witzig und spannend, wie Michael Wuliger findet.
Peter Brown ist das geworden, was sich viele jüdische Eltern von ihren Söhnen wünschen: Arzt. Damit knüpft er an eine Familientradition an. Auch sein Großvater, ein Schoah-Überlebender, bei dem Peter aufwuchs, war Mediziner.
Zum Arztberuf ist der Sohn eines Sizilianers und einer polnischstämmigen Jüdin allerdings nicht direkt gekommen, sondern als Seiteneinsteiger. Bevor er sich als Dr. Peter Brown dem Retten von Leben verschrieb, war der Held von Josh Bazells Thriller Schneller als der Tod unter dem Namen Pietro Brnwa mit deren Beseitigung befasst – als Mafiakiller. Bis er bei einem Mord gefasst wurde, seine Auftraggeber verpfiff und zum Lohn eine neue Identität im Zeugenschutzprogramm bekam. Die Kosten für sein Medizinstudium übernahm die Regierung auch. Jetzt ist Peter Internist an einem heruntergekommenen Krankenhaus in Manhattan. Alles könnte gut sein (sieht man einmal von den katastrophalen Zuständen im Hospital ab), wäre da nicht der neue Patient, der ihn aus alten Zeiten wiedererkennt und bei der Visite mit seinem Mafia-Spitznamen anspricht: „Bärentatze“. Und schon ist das Leben, das der Assistenzarzt am dringendsten retten muss, sein eigenes.
Komisch & brutal
Josh Bazell, selbst studierter Mediziner, hat einen ebenso komischen wie brutalen Roman geschrieben, der den Leser in zwei Welten entführt, von denen man nicht weiß, welche die zynischere und blutigere ist: Das Krankenhauswesen und die Organisierte Kriminalität. Dabei hält der Autor 300 Seiten lang ein so atemberaubendes Tempo durch, dass der Leser sich fühlt, als habe er selbst eine Überdosis der Aufputschmittel eingenommen, die der Romanheld massenhaft einwirft. Unfähige und korrupte Chefärzte, geile Pharmavertreterinnen, Mafiosi samt Familienanhang, zugedröhnte Jungmediziner, fragwürdige Vertreter des Gesetzes – sie alle mixen mit an diesem Cocktail aus Blut, Sperma und Kotze. Zwischendurch besuchen wir mit dem Helden noch ein nicht im geringsten metaphorisches Haifischbecken sowie die Gedenkstätte Auschwitz, die Bazell angenehm unsentimental als das beschreibt, was sie ist, ein heruntergekommener, kommerzialisierter Touristenhotspot.
Spätestens als der Thriller zu seinem wirklich sehr blutigen Höhepunkt kommt, dreht der Autor allerdings komplett ab, verlässt den Boden aller Plausibilität und läuft literarisch Amok. Man verzeiht es ihm dennoch, weil diese Kreuzung aus Dr. House und Texas-Kettensägenmassaker sich bis zum Schluss wunderbar spannend und witzig liest.
Ach, die Übersetzung
Es stört dabei nur die Übersetzung. Mehrmals tauchen zum Beispiel die Begriffe „Blödarsch“ und „Klugarsch“ auf. Im Deutschen gibt es diese Wörter nicht. Wortwörtlich ins Englische rückübersetzt wird daraus „dumbass“ und „wiseass“, was „Trottel“ beziehungsweise „Schlauberger“ bedeutet. Leser, die halbwegs Englisch beherrschen, sollten sich überlegen, gleich die amerikanische Originalversion des Buches zu kaufen (Beat the Reaper), die mit 10,99 Dollar zudem um rund die Hälfte billiger ist als die deutsche Fassung.
Dieser Text ist in der JA erschienen.
Michael Wuliger
Josh Bazell: Schneller als der Tod. (Beat the Reaper, 2009).
Aus dem Amerikanischen von Malte Krutzsch.
Franfkurt am Main: S.Fischer Verlag 2010. 304 Seiten. 18,95 Euro.
| Focus-Interview mit Josh Bazell
| Josh Bazell bei S. Fischer
| Michael Wuliger bei S. Fischer
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