Geschrieben am 4. November 2015 von für Bücher, Crimemag, KickAss, News

KickAss: Autorenverstümmelung

kickassKickAss – Bloody Splinters aus dem täglichen Wahnsinn

Nicht „gekürzt“ – mehr als halbiert:
Die Cop-Memoiren von Edward Conlon auf Deutsch

Erst hatte er sich über ein schön gestaltetes Nonfiction-Buch gefreut und dass die Erinnerungen des New Yorker Polizisten Edward Conlon nach mehr als zehn Jahren endlich auf Deutsch erscheinen. Dann sah Alf Mayer sich das Buch näher an und ist seither anhaltend geschockt. Klarer Fall von Autorenverstümmelung und Grund genug für ein KickAss.

Das, Ihr wilden Kerle vom Ankerherz-Verlag, dem für echte Männer, Seebären und Piraten aller Art, ist dann denn doch eine Kaperschote zu dicke, um es unwidersprochen zu lassen – Eure Aneignung von Edward Conlons „Blue Blood“. Zwar steht da im Impressum „Gekürzte Ausgabe der englischsprachigen Originalausgabe“, aber was Ihr und „Übersetzer“ Olaf Kanter mit „In den Strassen der Bronx. Detective Edward Conlon über Leben und Sterben in New York“ veranstaltet, das schlägt jedem Rumfass den Boden aus. Ja, auch Euer Buch hat einen Hardcoverumschlag wie das Original, sogar wunderbar haptisches Papier und prima Reportagefotos von Antonio Bolfo, ist gewiss auch für viele Leser zum Freuen und Ergötzen, aber wenn man das Original von 2004 kennt und etwas vom Autor weiß, dann präsentiert Ihr hier ein prächtig aufgemotztes, nichtsdestoweniger erbarmungslos ausgeweidetes Gerippe.

Bronx ConlonDie besten Cop-Memoiren ever

Gewiss, man kann froh sein, dass ein Klassiker der Cop-Literatur es nun wenigstens 2015 als Karkasse ins Deutsche schafft. Immer noch besser als vieles andere an „True Crime“ auf dem Markt. Aber hier geht es um ein Buch, das in den USA mit Michael Herrs Vietnambuch „Dispatches“ (An die Hölle verraten) verglichen wurde, das der damals noch zurechnungsfähige Joseph Wambaugh, selbst einst Polizist, so charakterisierte: „Superb. The most stunning memoir ever written about the cop world.“
Autor Edward Conlon, ein Harvard-Absolvent, 16 Jahre Polizist, dessen Artikel über Polizeiarbeit in Magazinen wie „Harper’s“ und „The New Yorker“ erschienen, dessen Arbeit in „The Best American Essays“ aufgenommen wurde, braucht gewiss keine über den Daumen gepeilte, ganze Absätze, Buchseiten und Zusammenhänge unter den Tisch kehrende „Übersetzung“, die man wohl weithin als Reader’s-Digest-Zusammenfassung klassifizieren sollte, jedenfalls wird der Sprachmacht dieses Autors eher nur zufällig und nur manchmal Genüge getan. Ich muss sagen, solche Umgangsweise deutscher Verlage mit dem Original – der Fama nach von Werbetextern in der Mittagspause auf dem Klo erledigt – hatte ich seit den schändlichen Kürzungsjahren der Ullstein-Krimis für erledigt gehalten, als jeder Ross-Thomas-Roman, gleich wie lang, auf 132 oder bestenfalls 144 deutsche Seiten kam. So auch sein „Unsere Stadt muss sauber werden“ (The Fools in Town Are on Our Side), das im Hardcover-Original 383 Seiten stark ist und immer noch einer vollständigen Übertragung harrt. Was hier den Hinweis auf die verdienstvolle Arbeit des Alexander Verlages und seine Ross Thomas-Edition erlaubt. Gerade ist „Dornbusch“ (Briarpatch) erschienen, zeitgleich der zweite Hoke-Mosely-Fall von Charles Willeford: „Neue Hoffnung für die Toten“. Beides Klassiker, beide sorgsam editiert.

cover conlon_blueBlood_jacketEigentlich 562, 356, 282, 274, am Ende halt nur 250 Seiten Text

Nun aber sind die alten Schandzeiten zurück. Original Edward Conlon: 562 Seiten, in der US-Originalausgabe von 2004.
In der Ankerherz-„Bearbeitung“ von 2014: im downloadbaren Pressekit angegeben mit 356 Seiten, auf der Verlags-Webseite angekündigt mit 282 Seiten, tatsächlich ausgeliefert mit 274 Seiten, davon 32 Fotoseiten. 250 von 562 Textseiten also. Wow! Nicht „gekürzte Ausgabe“ müsste also im Impressum stehen, sondern „mehr als halbierte Restausgabe“.

Wie immer dieser Kürzungsprozess gelaufen ist, welche Überlegungen und Zwänge es gab (Übersetzung Olaf Kanter, Lektorat Patrick Schär) – etwa auch den, den Anfang von Kapitel 6 bei Conlon einfach zum Buchprolog umzufälschen – , das macht mich alles ziemlich fassungslos. Respekt, das ist doch eigentlich ein Wort, mit dem Ankerherz gerne Werbung macht. Aber eben halt wohl nur Werbung. Fängt man an, die Übersetzung Absatz für Absatz mit dem Original zu vergleichen, wird einem bald schwindlig. Natürlich lässt sich übers Übersetzen trefflich streiten, aber die Konvention ist doch eigentlich, möglichst an der Vorlage zu bleiben. Gleich am Anfang „brummt von irgendwoher eine tiefe Stimme: „Leute, guckt mal. Wir haben einen neuen Sheriff.“ Im Original heißt es: „… a deep voice called out, „There’s a new sheriff in town!“ Die Abweichungen werden immer größer, die Auslassungen erst recht. Manchmal geradezu schwindelerregend.
Absätze und Kapitel werden nach eigenem Ermessen gesetzt, ganz so, als hätte der Autor nichts zu melden. Da wundert es schon beinahe nicht mehr, dass auch an einer der emotional wichtigsten Stellen gehörig geschnippelt und collagiert wird. Auf Seite 498 im Original (bei Ankerherz auf Seite 243!, nach der Faustregel für Übertragungen aus dem schlankeren Englisch müssten wir bei etwa Seite 640 sein) ist es der 10. September 2001, an dem nach langer Ausbildung und viel Straßenerfahrung der künftige „Detective Conlon“ seinen ersten eigenen Fall bekommt. Am nächsten Tag fliegen die Terroristen ihre Flugzeuge in das World Trade Center, stürzten die Türme und für die Amerikaner eine ganze Welt ein. Auch hier werden ganze Absätze gestrichen, dabei solche, die von Conlons persönlicher Beziehung zum Wolrf Trade Center erzählen.

conlon_redonredKein Respekt vor einem Autor, der zu schreiben versteht, der innen im Buch kastriert und ausweidet, auf dem Umschlag aber als starker Maxe präsentiert wird, die Arme verschränkt.  Was nicht passt, wird schon passend gemacht? Man muss sich Ankerherz-Bücher wohl mit neuen Augen anschauen.
Als Wiedergutmachung fordere ich, nun Edward Conlons hochgerühmten Polizeiroman „Red on Red“ (von 2011) herauszubringen. Ungekürzt und anständig übersetzt. Thematisiert wird darin übrigens Lügen und Flunkern und die richtige Art, eine Geschichte zu erzählen, die Deutungshoheit zu haben.

Alf Mayer

Edward Conlon: In den Strassen der Bronx. Detective Edward Conlon über Leben und Sterben in New York (Blue Blood, 2004). Gekürzte Ausgabe, aus dem Englischen von Olaf Kanter. Hardcover, Leinenbändchen. Ankerherz Verlag, Hollenstedt 2014. 274 Seiten, mit einer Fotoreportage von Antonio Bolfo. 29,90 Euro.
Informationen zum Buch hier.
Ein Interview mit Edward Conlon und seine Internetseite hier und hier.

PS. Die Fernsehserie „Blue Bloods“ mit Tom Selleck behandelt zwar auch eine Polizistenserie, hat aber mit Edward Conlons „Blue Blood“ nichts weiter zu tun.

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