Der Heimatdichter vom Glockenbach
‒ Martin Arz segelt immer haarscharf unter dem Radarschirm der breiteren Wahrnehmung. Das ist ganz und gar falsch und schade, weil er zu den interessantesten deutschen Kriminalautoren gehört. Klaus Kamberger erklärt, warum …
Es kann ja nie falsch sein, wenn einer nur über das schreibt, was er auch wirklich kennt. Und wenn er dann auch noch liebt, worüber er sich auslässt, muss das auch kein Schaden sein. Allerdings sollte das Verhältnis zwischen dem Autor und seinem Gegenstand wiederum nicht so innig werden, dass am Ende der Leser, so willig er auch sein mag, einfach außen vor bleibt. Wie einem das ja bei den „Duineser Elegien“ passieren kann. Ein ordentliches Verhältnis von Distanz und Nähe muss schon sein, damit die Symbiose klappt.
Der in und von München lebende Martin Arz bekommt das beispielhaft hin. Er liebt seine Stadt, genauer und vor allem: besonders charakteristische Teile von ihr. Und über die schreibt er und bleibt dabei doch stets ein Grenzgänger zwischen Realität und gemaltem Bild ‒ sei es, wenn er den mit allen historischen Wassern gewaschenen Fremdenführer spielt, sei es, wenn er den kritischen Heimatdichter gibt. Wie bitte? Heimatdichter? Ja, warum nicht? Auch wenn und gerade weil der Begriff diesen Hautgout an sich hat. Vertiefen können wir das hier nicht, aber vielleicht hilft ein kleiner differenzierender Schritt weiter: Arz’ Schreibe hat absolut nichts Regionales an sich, aber auch gar nichts …
Regional ist nicht immer „Regio-Grimmi“
Der Hirschkäfer Verlag, in der fast alle Arz-Titel erscheinen, nennt seine Romane zwar „München-Krimis“, aber mal abgesehen davon, dass ein Krimi halt immer irgendwo spielen muss, ist das hier mitnichten ein Etikett, das nun alle „Regio-Phobisten“ unter den geneigten Lesern sofort zu Fluchtreflexen animieren sollte: Arz treibt nämlich keineswegs dieses viral sich ausbreitende Schindluder mit dem Genre, indem er irgendeine Pseudo-Folklore bedient. Er findet und erfindet seine Plots, Szenare und Charaktere ganz weit weg von allen gängigen Klischees.
Aber eines ist dabei unbestritten: Arz liebt seine Heimat, und die ist das Münchener Glockenbachviertel (mit seinen Anrainern, als da wären: Gärtnerplatz, Schlachthof, Isarvorstadt). Dort spielt seine inzwischen auf fünf Bände angewachsene Krimireihe um den samtäugigen Ermittler Max Pfeffer, und in dieser Gegend (wenn nicht in ganz München) treibt man sich mit seinen inzwischen auf drei Bände angewachsenen Stadt- und Stadtviertelführern („Isarvorstadt“, „Maxvorstadt“ und „It’s So Munich“, gehörig auf die Altstadt und Schwabing etc. erweitert und auf Englisch präsentiert) herum ‒ was man übrigens auch und gerade Nicht-Münchnern wärmstens empfehlen kann und nicht nur allen Eingeborenen der Weißwurstmetropole, auch wenn der Verlag „Isarvorstadt“ und „Maxvorstadt“ „Reiseführer für Münchner“ nennt. Allerdings, einen gewissen Anspruch haben sie schon: statt formelhaften Überblicken jede Menge historische Einblicke, statt immergleichem Sightseeing-Aufwasch jede Menge Neuigkeiten, statt weißblauer Klischees jede Menge kritisches Für und Wider.
Jenseits der Klischees
Da lernt man dann, wie sehr das Gärtnerplatzviertel, bevor es zur Schwulenhochburg wurde, schon mal Münchens „Schtetl“ wurde für alle jene Juden, die nicht wohlhabend genug waren, sich in den feineren, bürgerlichen Gegenden anzusiedeln; dass im benachbarten Schlachthofviertel der Münchner Schulbub Albert Einstein in der „Electrodynamischen Fabrik“ seines Onkels erste physikalische Praxisanwendungen einüben durfte (die Firma Einstein hat z. B. das erste Oktoberfestzelt elektrifiziert); und dass auf dem Alten Südfriedhof dazwischen viele Münchner Berühmtheiten wie Carl Spitzweg, Justus von Liebig und Adele Spitzeder, die moderne Stamm-Mutter aller betrügerischen Finanzjongleure, beerdigt liegen.
Arz lenkt auch in seinen anderen Stadtführern gern den Blick weg von den abgenudelten Highlights (Frauenkirche, Hofbräuhaus, Feldherrnhalle etc.) hin auf Betrachtens- und Studierenswertes zur Geschichte und zu den Eigenheiten seiner Stadt(-Teile). Und wer sich überraschen lassen und erfahren möchte, was sonst noch in München passiert ist, wovon so mancher noch nie ein Wort gehört haben dürfte, sollte unbedingt noch sein unter dem Pseudonym Max Hirschkäfer angerührtes „München-Sammelsurium“ zur permanenten Zusatzlektüre erheben. Lernt man da doch, dass ausgerechnet das Hofbräuhaus-Lied („In München steht ein …“) das Werk eines „Preiß’n“ ist; dass die Welt der bayerischen Hauptstadt die allgemeine Führerscheinpflicht verdankt (wahrscheinlich fürchtete man schon beim Auftauchen der ersten Automobilkutschen eine Dezimierung der allemal unverzichtbaren städtischen Dackelpopulation); dass der Kreiselkompass nicht etwa in Hamburg oder Southampton erfunden wurde, sondern an der Isar; und dass auch das Elfmeterschießen, das erste raketengetriebene Auto und Europas erste Drehbühne hier ihren Ursprung haben.
Gewalt & Brandschatzung & Kriminalromane
Doch auch als eine wahrliche Metropole für kriminelles Treiben spielt München ja schon lange in der Ersten Liga mit. Und das nicht etwa nur in der einschlägigen TV-„Fiction“-Abteilung. Auch die Wirklichkeit hat es durchaus in sich, und dieser hat Arz ein schönes Denkmal gesetzt, das bis in die Tage der Stadtgründung zurückweist. Denn schon vor knapp 1000 Jahren brachte man hier so etwas nicht ohne ein Wirtschaftsverbrechen, begleitet von Gewalt und Brandschatzung, zustande. Und dann lässt er sie alle Revue passieren, die bis heute berühmten und berüchtigten Täter und Opfer ‒ von der armen Agnes Bernauer bis zur (schon erwähnten) Großbetrügerin Adele Spitzeder, von Kurt Eisner, dem gemeuchelten ersten Ministerpräsidenten Bayerns, bis zur „schönen Mörderin“ Vera Brühne, vom Oktoberfest-Attentat bis zur Oetker-Entführung, vom Mord am Volksschauspieler Sedlmayr bis zum jämmerlichen Ende des Mode-Gurus Moshammer. Man darf sich also gut aufgehoben fühlen im Todsicheren München ‒ vor allem, wenn man das „d“ im Titel ernst nimmt
Indessen weiß man im Grunde: Erst durch Überhöhung des Realen kommt man der Realität am nächsten. Nicht zuletzt deswegen schreibt Martin Arz wohl mit Begeisterung Kriminalromane. Ob der vom Glockenbach stammende Kriminalrat Pfeffer dabei auch so etwas wie sein Alter Ego ist, lassen wir mal dahingestellt. Ein etwas ungewöhnlicher Kerl ist er schon. Beliebt bei Frauen wie Männern. Drum war er auch mal verheiratet und ist inzwischen (fast) allein erziehender Vater von zwei pubertierenden Söhnen. Und schwul ist nun auch in Münchner Polizeikreisen sicher noch nicht die Regel. Vor allem dann nicht, wenn man nicht in die höheren Etagen abhebt, sondern ‒ bekennend – „vor Ort“ bleibt.
Und auch seine Fälle spielen alle „vor Ort“. Was seinen Erfinder Martin Arz allerdings bei allem damit fällig werdenden Lokalkolorit nicht daran hindert, immer mal wieder über den urbanen Tellerrand hinaus zu schauen. Und so tauchen wir schon mal tief in die deutsche Kolonialgeschichte ein („Das geschenkte Mädchen“) oder bekommen es mit den Auswüchsen beim katholischen Klerus zu tun bis hinauf in vatikanische Sphären („Reine Nervensache“). Was ‒ das muss hier angemerkt werden ‒ denn doch bisweilen etwas überfrachtet wirkt und der Linie der erzählten Geschichte nicht immer ganz bekömmlich ist.
Arz lesen!
Aber Schwamm drüber, und zwar deswegen, weil „Die Knochennäherin“ und „Pechwinkel“ ganz ohne solche Ausflüge auskommen, auf die Weise um einiges konziser ausgefallen sind und überdies ausgesprochen originelle Plots bieten. Gewiss, um Leichen geht es auch hier wie dort. Aber wie versteckt man schon so ein Corpus delicti derart perfekt, dass es einerseits da ist, sichtbar, erfahrbar, und doch zugleich dem ermittelnden Blick entzogen? Eine „Knochennäherin“ kann das; aber bei dieser Andeutung muss es hier auch bleiben. Und wie bringe ich Raubkunst (Gurlitts etwas langweilige Lager- und Verkaufsmethode war bei der Niederschrift von „Pechwinkel“ noch nicht im Gespräch, also musste sich Arz etwas mehr anstrengen) wieder so unter die Leute, dass es keinen Wirbel gibt? Bis auf, wie gesagt, ein paar Tote.
Es scheint, dieser Martin Arz muss jenseits der Münchner Stadtgrenzen erst noch so richtig entdeckt werden und gehört noch viel mehr auch in Hamburg, Berlin und der Uckermark gelesen. Seine Bücher sind einfach zu klug und witzig und mit zu viel Erfindungsgabe geschrieben, als dass man sie auf ihren lokalen Bezug reduzieren dürfte.
Klaus Kamberger
Martin Arz: Isarvorstadt. Reiseführer für Münchner. München: Hirschkäfer Verlag 2012. 144 Seiten. 16,90 Euro.
Martin Arz: Maxvorstadt. Reiseführer für Münchner. München: Hirschkäfer Verlag 2012. 160 Seiten. 16,90 Euro.
Martin Arz: It’s So Munich. Your Key to Munich’s Centre an the Districts of Glockenbach, Schwabing, Haidhausen, Maxvorstadt, Neuhausen etc. München: Hirschkäfer Verlag 2013. 160 Seiten. 16,90 Euro.
Max Hirschkäfer (=Martin Arz): Absolut München. Das München-Sammelsurium. München: Hirschkäfer Verlag 2011. 224 Seiten. 19,90 Euro.
Martin Arz: Todsicheres München. Die spektakulärsten Kriminalfälle. München: Hirschkäfer Verlag 2009. 208 Seiten. 24,00 Euro.
Martin Arz: Das geschenkte Mädchen. Ein Fall für Max Pfeffer. Roman. München: Hirschkäfer Verlag 2011. 253 Seiten. 12,90 Euro.
Martin Arz: Reine Nervensache. Max Pfeffer ermittelt wieder. Roman. München: Hirschkäfer Verlag 2010. 295 Seiten. 12.90 Euro.
Martin Arz: Die Knochennäherin: Kriminalroman. Berlin: Querverlag 2009. 339 Seiten. 12,90 Euro.
Martin Arz: Pechwinkel. Max Pfeffers 4. Fall. Roman. München: Hirschkäfer Verlag 2012. 208 Seiten. 12,90 Euro.
Martin Arz: Westend 17. Max Pfeffers 5. Fall. Roman. München: Hirschkäfer Verlag 2014. 240 Seiten. 12,90 Euro.
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