Geschrieben am 16. Januar 2013 von für Bücher, Litmag

Lorenz Jäger: Signaturen des Schicksals

MSB_Jaeger_Schicksal_Umschlag.indd„Ein rechtes Auge blitzt“

Von Jürgen Habermas einst als „Rechtsaußen der Feuilleton-Redaktion [der FAZ]“ bezeichnet, in der Jungle World als jankertragender Reaktionär und Autor einer Kulturgeschichte des Hakenkreuzes veralbert, als Fürsprecher Martin Mosebachs aktenkundig – manchem mag das vielleicht als Empfehlung genügen. Doch auch, wer Lorenz Jäger damit vielmehr erledigt sieht, sollte sich diesen kleinen Essayband näher anschauen. Denn Lorenz Jäger ist als einer der geistreicheren Feuilletonisten deutscher Sprache immer für eine Überraschung gut. Von Joe Paul Kroll.

Erledigt ist Lorenz Jäger anscheinend auch für seine einstigen „Kameraden“, seitdem er sich als „Gutmensch“ outete und sich von so ziemlich allen gängigen Varianten des politischen Konservatismus verabschiedete. Wohlgemerkt: von allem organisiertem Konservatismus. Denn die Missstände, die Jäger in seinem Abschiedsbrief anklagt – insbesondere Populismus vermittels rabiater Islamkritik und vermeintlicher „Skepsis“ gegenüber dem Klimawandel – treffen kaum den Kern dessen, was ihn über die Jahre beschäftigt hat. Dass sich manche als ‚rechts‘ wahrgenommenen Politiker und Publizisten nun in ihrer strammen Parteinahme für Israel mit der ‚antideutschen‘ Linken treffen und in ihrer Kriegsrhetorik mit den amerikanischen Neokonservativen (mithin also mit Ex-Trotzkisten), bräuchte ihn eigentlich nicht anzufechten.

Insofern ist Jägers Suada Blendwerk, zielt sie doch darauf, eine eigene, unabhängige Position zu umreißen, auf der sich weiterhin ein intellektuelles Rechtssein pflegen lässt. Dass sie dies offenbar nicht begriffen haben, spricht nicht gerade für die politische Integrität seiner einstigen Kameraden, um von ihren hermeneutischen Fähigkeiten zu schweigen. Stattdessen fantasiert sich gerade das Umfeld der Jungen Freiheit zwischen Stauffenberg und Sarrazin, zwischen Arnold Gehlen und Geert Wilders eine Art „Dreampolitik“ (Joan Didion) zusammen, die opportunistisch zu nennen wäre, wenn man denn nicht konsequent im eigenen Saft schmorte.*

Gerade dieser ist für Lorenz Jäger offensichtlich kein befriedigender Aufenthaltsort. Da wären seine (durchaus umstrittene) Beschäftigung mit Säulenheiligen der Linken wie Theodor W. Adorno und Walter Benjamin zu nennen, oder die intellektuelle Auseinandersetzung mit seinem Kollegen bei der FAZ, Dietmar Dath. Doch der eigentliche Grund, weshalb Jägers Wandlung zum „Gutmenschen“ (einen Linken schimpft er sich deshalb noch lange nicht) trügt, ist, dass sein Rechtssein immer einen eher metapolitischen Bezugsrahmen hatte: Die politischen Kämpfe werden für ihn nicht um tagespolitische Anlässe herum ausgetragen, sondern um Begriffe und um Fragen, die sich über Jahrzehnte, Jahrhunderte gar, entfalten.

Nun scheint das Prosafragment „Notizen über Namen“, der den vorliegenden Band eröffnet, zunächst nicht mit der ideenpolitischen Tür ins Haus zu fallen. Blickt man ins Inhaltsverzeichnis, rechnet man damit, auf S. 23 (Edmund Burke) oder S. 75 (Ernst Nolte) eher vertrautes Terrain zu erreichen. Aber für Jäger ist das Rechtssein in letzter Konsequenz eine Frage des Stils oder besser: der Haltung, und diese Haltung könnte ‚heiliger Ernst‘ heißen. Damit ist weder der Heilige Ernst Jünger gemeint noch derjenige heilige Ernst, der Johan Huizinga zufolge die menschliche Begeisterung für das Spiel charakterisiert.

Der spezifisch konservative Sinn dieser Wendung liegt im zum Tautologischen tendierenden Nexus, den er zwischen dem Heiligen und dem Ernsten stiftet, dergestalt, es könne nur das Heilige wirklich ernst genommen werden und das wirklich Ernste habe schon Teil an der Heiligkeit. Hans Blumenberg schrieb einmal, es sei „jeder Schritt der Arbeit am Mythos Abtragung des alten Ernstes“ und meinte damit den Ernst jener Absolutismen, einschließlich der monotheistischen Religionen, die dem Menschen seit jeher zusetzten. Carl Schmitt hatte seinen Feind richtig erkannt: Denn der Konservative, der Verteidiger alter (Herrschafts-)Ordnungen, umgibt diese mit der Aura eines Ernstes, der dem ganzen Leben die nötige Schwere gibt und diese Schwere, Mangel, Not und Entbehrung wiederum heiligt.

Wenn Lorenz Jäger also eine Figur nachsinnen lässt:

Auf dem Heimweg verdichte sich ihm der Abend zum Bild einer bestimmten deutschen Intelligenz. Diese Intelligenz ist nicht dumm, ja sie ist mit allen Wassern der Theorie gewaschen. Aber es schien ihm, sie habe kein Gefühl für das Gewicht der Dinge, mit denen sie arbeitet, sie wisse buchstäblich nicht, mit welchen Mächten sie Tag für Tag umgeht und welche fördernden oder erschütternden Kräfte sie dabei freisetzt.

– dann darf man diese Ansicht wohl dem Autor selbst zuschreiben, auch wenn hier wider alle Gepflogenheiten zuerst eine Definition des ‚Rechtsseins‘ an einen kurzerhand als ‚rechts‘ identifizierten Autor herangetragen worden ist. Die Kritik ist in Jägers Augen eine zu tödliche Waffe, um bedenkenlos geführt zu werden. Denn – und dies ist eine klassisch konservative Ansicht – dass es überhaupt so etwas wie Ordnung und Stabilität gibt, im Leben und in der Gesellschaft, ist ein so gefährdeter Umstand, dass er nicht leichtfertig kritisiert werden darf. Der Konservative ist, wie Thomas Hobbes von sich sagte, als Bruder der Furcht geboren.

Jäger ist aber zu sehr Intellektueller, um sich nicht doch zum Kritizismus hingezogen zu fühlen – und gerade zu jener Schule desselben, die der Rechten stets als die gefährlichste galt: zum Judentum. Daher nicht nur die Beschäftigung mit Adorno und Benjamin, sondern auch mit explizit religiösen Denkern wie Gershom Scholem und – in diesem Band – Franz Rosenzweig. Denn hier näherten sich Gelehrte dem Absoluten mit Scharfsinn und doch, wenn nicht immer mit Ehrfurcht, dann doch mit einem Bewusstsein dessen, mit dem sie es zu tun hatten.

Es ist bezeichnend, dass Jäger Rosenzweig zunächst ‚konservativ‘ liest: Rosenzweig sprach zwar von der Erlösung und stand in der messianischen Tradition, das Ziel seines philosophischen Systems sei jedoch gewesen, „eine Ordnung“ zu finden, „die den Mächten der Kunst , der Wissenschaft, des Staates und der Beziehung zu anderen Religionen, ja eigentlich dem gesamten kulturellen Inhalt der Welt, Festigkeit zu geben vermag.“ Jäger betont Rosenzweigs Verwurzelung im deutschen Idealismus und findet „de[n] Grund für seinen [sc. seines Hauptwerks „Der Stern der Erlösung“] geistvoll-lebendigen Charakter“ im Umstand, dass es „im Krieg von einem Soldaten“ geschrieben wurde. Ungerecht aber wäre es, diese Aspekte überzubetonen, da Jäger nach solchen biografischen Binsenweisheiten interessante Überlegungen zum Verhältnis von Theologie und Ästhetik bei Rosenzweig anstellt, wobei auch dieser Verbindung wiederum eine konservativ-religiöse Tendenz innewohnt, nach der Kunst erst im heiligen Ernst des Gottesbezugs zu sich finde.

Doch insgesamt fehlt es in diesem Bändchen weitgehend an explizit politischen Äußerungen, auch wenn man – wenn man es denn so wollte – kaum eine Akzentsetzung nicht politisch deuten könnte. Wer hier nach Orakelsprüchen für den Weltbürgerkrieg sucht, wird das Buch aber enttäuscht aus der Hand legen. Stattdessen gibt es Betrachtungen über Kurt Schwitters, Sigmund Freud, Franz Kafka, Friedrich Glauser und andere, lose zusammengehalten von der Klammer des Schicksalhaften, den Augenblicken, in denen Licht auf Lebensläufe fällt und in denen Jäger hier die Zeit noch einmal stillstehen lässt.

Was es mit dieser Abstandnahme vom Politischen auf sich hat, deutet vielleicht der Schluss einer Betrachtung über Edmund Burke an: „Burke jedenfalls und seine Ideen über das Schöne und das Erhabene legen den Gedanken nahe, dass eine politische Theorie von der Ästhetik nur gewinnen kann. Große Theoretiker haben das immer gewusst.“ Es ist diese ästhetisch-literarische Seite seines Denkens, die Lorenz Jäger hier pflegt und mit der er zeigt, wie weit er seinen ehemaligen Kameraden voraus ist. Dass die Ästhetik Burkes um den Begriff des „Erhabenen“ kreist, sollte aber jeden Verdacht ausräumen, Jäger gebe sich nun dem postmodernen Spiel mit der Unverbindlichkeit hin. Im Ernst bleibt sich der Konservative treu.

(Ganz zum Schluss noch ein allgemeines Lob der Reihe „Fröhliche Wissenschaft“ aus dem Verlag Matthes & Seitz Berlin, in der dieses Buch erschienen ist. Die Auswahl der Titel und Autoren zeigt auf ein Neues die Eigenwilligkeit und das Desinteresse an politisch-ideologischen Grenzziehungen, für die der Verlag steht. Der hohe ästhetische Anspruch des Hauses Matthes & Seitz wird auch in der Buchgestaltung verwirklicht: Die Klappenbroschur mit fadengeheftetem Buchblock ist ein robustes und hochwertiges Format; innen machen schmale Seiten und ein lichter Satzspiegel die Lektüre angenehm. Schließlich handelt es sich hier um echte Taschenbücher, solche nicht für die absurd überdimensionierte Hand- oder Reisetasche, sondern als Begleiter für die Jackentasche.)

Joe Paul Kroll

* Über die Ratlosigkeit sowohl des heutigen Konservatismus als auch derjenigen, die ihn auf den Begriff zu bringen versuchen, habe ich bereits an anderer Stelle geschrieben.

Lorenz Jäger: Signaturen des Schicksals. Berlin: Matthes & Seitz 2012. 139 Seiten. 12,80 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.

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