Zwischen Archiven und Action
– Harry Bosch is back – Michael Connellys Detective für komplizierte Fälle soll einen alten, unerledigten Fall aus der Zeit der Rassenunruhen in L.A. lösen. So wühlt er als akribischer Aktenhuber in vergilbten Unterlagen aus der „Black Box“, bis er schließlich eine heiße Spur findet und sich die Spannung im rasanten Showdown entlädt. Eine Rezension von Peter Münder
Neben Michael Connelly, 58, verblassen die meisten Bestseller-Big-Boys: Er kann nicht nur wahnwitzig hohe Auflagen seiner Krimis vorweisen (Gesamtauflage inzwischen ca. 50 Millionen), er operiert auch in mehreren Serien wie den eher drögen Justiz-Krimis mit dem Anwalt Mickey Haller, der Harry-Bosch-Reihe und schreibt außerdem Drehbücher. Brillant und von bestechender Aktualität war Connellys Aufarbeitung der Medienkrise und die Darstellung eines beängstigenden Szenarios krimineller Internetmachenschaften in „The Scarecrow“ (2009, vgl. Rezension von Peter Münder in culturmag.de, wo er den Reporter Jack McEvoy in den Mittelpunkt stellte. Connelly als ehemaliger Polizeireporter der Los Angeles Times hatte die Profitgier von Investoren, die Medienkonzerne wie Wurstfabriken ausschlachten, akribisch und mit drastischer Eindringlichkeit auf den Punkt gebracht und einen extrem spannenden Plot entwickelt. Für lange Besinnungs- und Recherchepausen im Archiv blieb da keine Zeit.
Vergilbte Notizen
Das läuft in „Black Box“ allerdings völlig anders: Man kann sich Bosch hier fast wie weiland den Zettelkastenzar Arno Schmidt vorstellen: Permanent in alten Notizen wühlend, vergilbte, kaum noch lesbare Infos, Aussagen, Telefonnummern dechiffrierend, um dann doch ohne schnelle Ergebnisse in die Röhre zu gucken.
Dass Bosch sich mit alten Fällen beschäftigt, die Hinweise auf aktuelle Verbrechen liefern, ist ja nichts Neues: In „Echo Park“ (2006) führt die Spur einer zehn Jahre zuvor verschwundenen Frau zu mehreren aktuellen Mordfällen, schon in „The Black Echo“ (1992) lieferten die „Tunnelratten“ aus der Zeit des Vietnamkriegs, zu denen Bosch selbst ja auch gehört hatte, Hinweise auf aktuelle Delikte. Aber die „Black Box“ mit ihren spärlichen, 20 Jahre alten Notizen ist eine eher undurchsichtige Ansammlung fragmentarischer Bruchstücke, durch die sich Bosch ziemlich lange und ratlos eine Orientierungsschneise freikämpfen muss. Die Querelen mit seinem karrieregeilen profilneurotischen Vorgesetzten O’ Toole, der sich an den politischen Richtlinien aus der Chefetage orientiert und sich beim Boss anbiedert, nerven Bosch dermaßen, dass er sich an diese kleinkarierten Schikanen nicht hält und nach seiner Suspendierung frei nach eigenem Gusto auf einem riesigen Landgut etliche Autostunden von L.A. entfernt im Dunstkreis ehemaliger „Desert Storm“-Soldaten ermittelt.
Erst dann kann er den Fall der bei den Rassenunruhen zwanzig Jahre zuvor erschossenen dänischen Reporterin aufklären. Da entlädt sich dann der bei Bosch aufgestaute Frust in einer fulminanten Befreiungsorgie im Kugelhagel: Die skrupellosen Täter werden zur Strecke gebracht und dem vorgesetzten Wichtigtuer O’ Toole hat er gezeigt, wie man mit frettchenhafter Verbissenheit trotz bürokratischer Schikanen aus kaum noch dechiffrierbaren Zettelkastenfragmenten ein stimmiges Puzzle zusammensetzt und einen komplexen Fall löst.

Eine „Tunnelratte“ der 1. US-Kavalleriedivision steigt in ein Tunnelsystem (Wikimedia commons)
Zähes Zappeln
Ziemlich zäh lässt Connelly den am liebsten in freier Wildbahn ermittelnden Bosch allzu lange im Polizeibürokäfig herumzappeln. Wir blicken dem in bester Chandler-Manier gegen aufgeblasene Bürokraten und heimtückische Dumpfbacken kämpfenden Bosch bei seinen Ermittlungen zwar interessiert über die Schulter und sympathisieren auch mit den Alltagsproblemen des alleinerziehenden Vaters, der sich so rührend um seine Tochter kümmert. Doch bis der mühsame Ermittlungsprozess Schwung aufnimmt und Bosch sich aus seinem Bürokratenverhau befreien kann, hat Connelly 240 von insgesamt 430 Seiten benötigt. „Black Box“ wirkt aber angesichts des pulverisierenden Ballermanndebakels von Don Winslows „Vergeltung“ (zur Rezension bei CulturMag) wie ein intelligenter, spannender Entwurf einer altmodisch-humanen Gegenwelt: Denn Connelly will weder Waffenfetischisten mit der minutiösen Beschreibung technischer Details im typischen Tom-Clancy-Stil zur Ekstase treiben noch wird uns suggeriert, dass das Abschlachten terroristischer Unholde im großen Stil als universelle Problemlösung empfehlenswert wäre.
Detaillierter Mikrokosmos
Es ist schon bemerkenswert, dass Harry Bosch (die düstere Konnotation des alten Hieronymus möchte man ja gerne ausblenden) uns seit seinem Debüt in „The Black Echo“ 1992 immer noch so faszinieren kann. Das liegt natürlich an Connellys unbändigem Interesse an der Welt da draußen, an Details eines Mikrokosmos, die für die Lebensqualität entscheidend sind. Im ausführlichen New York Times-Interview (siehe hier) erklärte Connelly, er würde heute am liebsten noch Raymond Chandler nach dem 13. Kapitel von „Little Sister“ fragen:
„Da beschreibt er eine Autofahrt durch das L.A. von 1940, und diese Beschreibung ist heute immer noch absolut aktuell. Wunderbar. Ich würde ihn gern fragen, wie er das fabriziert hat. Und ich würde ihm auch erklären, dass dieses kurze Kapitel von ihm mich dazu brachte, Schriftsteller werden zu wollen. Außerdem würde ich ihn fragen, ob man nur nach einem Leben voller Leiden und Mühsal so etwas schreiben kann. Ray, würde ich fragen, kann ein Autor glücklich sein und trotzdem ein guter Autor sein?“
Wir wollen hier nicht allzu kräftig auf die Nostalgietube drücken, doch Michael Connelly muss man sich wohl als glücklichen Autor vorstellen, der mit „Black Box“ sicher nicht seinen besten Krimi geschrieben hat, aber immer noch einen sehr gelungenen.
Peter Münder
Michael Connelly: Black Box (The Black Box, 2012) Roman. Deutsch von Sepp Leeb. München: Droemer Knaur 2014. 430 Seiten. 19,99 Euro.
Zu CULTurMAG-Texten von Peter Münder. In seinem CulturBooks-Essay „Feldspiel und Weltspiel, Batter und Bowler: Über Baseball, Cricket und Literatur“ (CulturBooks Single, Oktober 2013) setzt sich Peter Münder mit den „nationaltypischen“ Sportarten Baseball und Cricket auseinander und geht auf die Sportromane von Chad Harbach („The Art of Fielding“) und Joseph O’Neill („Netherland“) ein, deren Hauptfiguren Baseball-, bzw. Cricket-Spieler sind.