Terror-Anschläge auf Brücken, Fähren und den Eurotunnel: Was Ist die Botschaft? Irgendwas mit Wasser?
Mit seinem dritten Band um Kommissar de Both liefert Christian von Ditfurth nach „Heldenfabrik“ und „Zwei Sekunden“ wieder einen gelungenen Thriller: So eigenwillig, brillant und originell wie seine Hauptfigur ist auch „Giftflut“ angelegt. Von Peter Münder
Besonders zimperlich bei der Beschreibung mörderischer Gemetzel war Christian von Ditfurth, 64, noch nie: Sieben Vorsitzende eines Chemiekonzerns werden bei einer Sitzung von einem angeheuerten Killerkommando ermordet; ein Bombenattentat wird auf den Konvoi der Kanzlerin und des russischen Präsidenten mitten in Berlin verübt – so begannen die beiden Thriller „Heldenfabrik“ und „Zwei Sekunden“. Die dadurch ausgelösten Panik-Attacken bei den Sicherheitsbehörden soll Kommissar de Bodt vom LKA mit seinem Team in den Griff bekommen und natürlich auch diese undurchsichtigen Fälle lösen. Es geht hier aber nicht um den größtmöglichen pyrotechnischen Budenzauber, sondern um den Kontrast von amtlich suggerierter Sicherheit und einer fragilen gesellschaftspolitischen Alltags- Stabilität, die jederzeit kollabieren kann. Ditfurths Alleinstellungsmerkmal besteht darin, dass er mit seinen differenziert verästelten Plots und seinen Figuren keine Klischees oder liebgewordene Feindbilder bedient: Sein stoisch-kritischer Anti-Held de Bodt wirkt wie ein bornierter Schnösel auf seine profilneurotischen Kollegen und Vorgesetzten, wenn er Zitate von Hegel, Kant, Aristoteles oder Rousseau absondert, die blasiert vorgetragen wie eine vernichtende Demaskierung debiler Dumpfbackigkeit in seinem gesamten Umfeld wirken. Wie ein Mathe-Lehrer begriffsstutzige Schüler abkanzelt, die Pythagoras für einen Torwart von Hellas halten, so belehrt de Both seinen vorgesetzten Kriminalrat Tilly (ja, wie der aus dem 30jährigen Krieg) über die Tücken logischer Schlußfolgerungen:
„Meine Ahnungen sind Vermutungen, die auf logischer Ableitung beruhen. Ich gehe davon aus, dass die Täter einem Plan folgen. Ich versuche, von dem Plan auf die Absichten zu schließen. Das zum einen …“ Und damit der behäbige Bürokrat auf die richtige intellektuelle Schiene geschoben wird, gibt de Bodt ihm als Bonus noch ein Zitat auf den Weg: „Eine hypothetische Behauptung wird immer nur dann wahr sein, wenn die Schlußfolgerung richtig ist“, sagte de Bodt. Tilly hob die Augen. Musterte de Bodt. „Interessant“. Verachtung in der Stimme. Und Angst. „Hobbes“, sagte de Bodt. Fand es jetzt sadistisch. Aber Tilly hätte Derberes verdient“.
Diese Erkenntnisse hochkarätiger Luftschiffer des Geistes sprudeln de Bodt auch in alltäglichen Situationen von den Lippen, was sein brillanter, quirliger Sidekick, der „Zappel-Türke“ und IT-Nerd Yussuf, mit dementsprechend sarkastischen Repliken garniert. Die kapriziöse, attraktive Kollegin Salinger, genauso beziehungsunfähig wie de Bodt, kann nur noch mit den Augen rollen, wenn diese Zitatenflut auf sie losrollt. Und ihren genialen Chef, der nach dem Willen seines Vaters eigentlich Professor werden sollte und nur aus Trotz Polizist geworden ist, bewundernd anstarren.
Diese Konstellation des originellen Trios ist ebenso faszinierend wie die Verknüpfung der Handlungsstränge.
Mit Badewannenmorden in Berlin und Paris beginnt „Giftflut“: Angestellte der Wasserwerke werden tot in der Badewanne aufgefunden – sie waren offenbar betäubt und ertränkt worden – aber was sind die Hintergründe? Was wollen die Täter signalisieren? Die Spekulationen werden immer abstruser und gehen in Zeiten der überall agierenden Global Player auch in Richtung Öko-Terrorismus: Wollen sich Terroristen aus Ländern der Dritten Welt für den vom Westen verursachten Klimawandel rächen? Wollen die Russen Europa vernichten oder etwa die Chinesen? Nachdem dann aber im Viertage-Takt die Berliner Oberbaumbrücke mit einem Sprengstoffanschlag zerstört ist, eine Fähre versenkt wird und im Eurotunnel ein mit Semtex beladener Lkw explodiert, fragen sich die Experten vom LKA und ihre Soko-Mitarbeiter, wie Terroristen etwa von den Malediven die Mittel für eine solch aufwendige Logistik beschaffen konnten. Auch de Bodt stochert lange im Nebel diffuser Spekulationen; selbst Hegel oder Lukrez führen ihn jedoch nicht sofort zum richtigen Lösungsansatz.
Souverän verknüpft Ditfurth mit diesem Berliner Ermittlungs-Plot inklusive neurotischer Profilierungsübungen des de Bodt-Gegenspielers und Intimfeindes Krüger den Rachefeldzug des Hamburger Computer-Experten Jan, der auf Palau sein traumatisches Erweckungserlebnis hat und schließlich wie ein entfesselter Mad Max in Australien die Bösen zur Strecke bringen will. Und dass de Bodt noch einen Bruder im Geiste findet, als er mit dem Rotwein-affinen Pariser Kollegen Leblanc diesen rätselhaften „Giftflut“-Fall in Angriff nimmt, ist eine weitere schöne Pointe dieses Thrillers. Mag ja sein, dass Christian von Ditfurth mitunter zu viele Figuren über die Klinge springen lässt. Aber diesen Mix aus absoluter Hochspannung, faszinierenden Protagonisten und Schwachpunkt-Diagnosen hochgerüsteter Sicherheitsapparate mit so unvergleichlich lässig-ironischen Dialogen zu präsentieren – das macht ihm hierzulande kein anderer Autor nach.
Zum Dessert noch eine kleine „Giftflut“- Kostprobe:
„Denen geht der Arsch auf Grundeis“, murmelte Yussuf. “Hasen, alles Hasen“.
„Du solltest an deiner Ausdrucksweise arbeiten“, sagte Salinger. „Das ist Chefsache“, erwiderte Yussuf, während er auf den Tasten klapperte.
„Darum definiert man auch die Furcht als die Erwartung einer bevorstehenden Schädigung“.
„Aha“, sagte Yussuf. „Darauf wäre ich nie gekommen. Danke, Meister, und von wem stammt es?“
„Aristoteles“, sagte de Bodt.
Peter Münder
Christian von Ditfurth: Giftflut. Carl´s Books, München 2017. 479 Seiten, 15,00 Euro.
Thomas Wörtche zum Vorläufer-Roman „Zwei Sekunden“ hier.
Zu „Labyrinth des Zorns“ (2009) bei CrimeMag siehe hier.