Geschrieben am 15. August 2016 von für Bücher, Crimemag

Roman: Donald Ray Pollock: Die himmlische Tafel

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„Die himmlische Tafel“ von Donald Ray Pollock ist ein Meisterwerk. Und ziemlich tricky gemacht. Thomas Wörtche hat sich das mal genauer angeschaut.

Man könnte Donald Ray Pollock mit einiger Berechtigung als Nachfolger von Jim Thompson bezeichnen. Pollocks neuer Roman „Die himmlische Tafel“ erinnert wegen seines settings und wegen seiner einlässlichen und genüsslichen Thematisierung von Widerwärtigem, Ekelhaften und Schmutzigem an den Altmeister des Noir. Auch Pollocks Welt – die amerikanische Countryside im Jahr 1917 – ist bevölkert von brutalen, oft dummen, pathologischen, zutiefst ungebildeten, rassistischen und mörderischen Leuten. Viele sind bitterarm, der hygienische Standard ist mehr als beklagenswert, die Ernährung karg bis lebensgefährlich (krankes Schwein!), die Kleider oft nur Lumpen, der Sex extrem abstoßend.

Es ist die Zeit von „The Wild Bunch“, die neuen Technologien – Autos, Flugzeuge, Telefone – brechen massiv in als atavistisch ideologisierte (oder verklärte) Welt ein. Amerikanische Truppen werden für den Einsatz an der Westfront trainiert, wobei niemand auch nur die geringste Ahnung hat, wo Frankreich liegt, warum der Krieg überhaupt tobt und wer gegen wen kämpft. Die USA, zumindest die ländlichen Teile abseits der Metropolen, befinden sich keinesfalls in einer splendid isolation, sondern im Zustand ignoranter Selbstgenügsamkeit. Sie werden, wie Sam Peckinpah angesichts seines Filmes sagte, von „Hunger und Gewalt“ dominiert.

Donald Ray Pollock

Donald Ray Pollock

Pollock geht an diesen Stellen (fast?) wollüstig bis ins ekligste Detail. Selbst der negative Heroismus von Peckinpahs Spätzeithelden ist bei ihm buchstäblich im Dreck ersoffen.  Pollock schreibt so gesehen an der Demontage des amerikanischen Traums weiter, in dem er sich die Tradition einklinkt, die, nicht wie der Californian Noir der Nathaniel West, James W. Cain und Co. in der jeweiligen Gegenwart einsetz, sondern zurück in die Geschichte geht. Wider die multimedial hergestellten Gründungs- und Pioniernarrative, sozusagen, die die technologisierte Moderne und deren Optimismus konterkarierten und gleichzeitig „Gewalt und Hunger“ als konstitutive Elemente der sich formierenden Gesellschaft beschrieben.

Neben Peckinpahs „Wild Bunch“ (1969) könnte man an der Stelle Arthur Penns „Bonnie und Clyde“ nennen, Altmans „Thieves like us“ (1972) oder, was die schlamm- und blutbesudelte Körperlichkeit angeht, „McCabe and Mrs. Miller“ (1974) oder Stan Dragotis „Dirty Little Billy“ (1972). Narrative also, die literarisch von James Carlos Blake, Cormac McCarthy, Daniel Woodrell, Joe Lansdale, Bruce Holbert und anderen fortgeführt wurden.

13645099_1207238619326175_3403465229036895677_nDer groteske Leib

Pollock geht noch eine Ebene tiefer und akzentuiert die „Leiblichkeit“, den „grotesken Leib“ (nach Bachtin) derer, die diesen Verhältnissen ausgesetzt sind – die Wunden und Schwären, die Verstümmelungen, die nicht nur ein barkeepender Serialkiller anrichtet, die komisch-unappetitlichen Sexusancen in der „Hurenscheune“, das gigantische Geschlechtswerkzeug des Scheißhaus-Aufsehers.

Das weist deutlich auf ein „karnevalistisches“ Konzept Pollocks hin, eine Vermutung, die weiteren Nährstoff bekommt:

Denn die Story ist alles andere als gutlaunig, aber komisch: Erzählt wird der kurze Aufstieg und Fall der „Jewett“-Bande, bestehend aus drei Brüdern, die nach dem Tod ihres veritabel irren Vaters beschließen, wenn sie schon nicht an die „himmlische Tafel“ im Jenseits kommen, so doch wenigstens an die Fleischtöpfe des Hier und Jetzt. Und so beginnen sie höchst effektiv zu rauben und morden, was zumindest am Anfang ganz leicht zu funktionieren scheint.

Ihr Weg kreuzt sich mit dem anderer wunderlicher und bizarrer Gestalten. Darunter ein todessehnsüchtiger, schwuler Leutnant, der vom heldenhaften Sterben in fast Jünger´schen „Stahlgewittern“ schwärmt, ein sadistischer Serialkiller, ein Millionenerbe, der mit seiner Fokker aus der Luft Jagd auf die Banditen macht, einem buchstäblich in Scheiße wühlenden „Inspekteur für Städtische Sanitäranlagen“ und ein schwarzer Gigolo mit einem Rasiermesser. Dazu jede Menge Kretins und Mordsgesindel, zu denen Pollock jeweils abwegige Hintergrundgeschichten liefert. Ein riesiges Figurenensemble also, das im Grunde genug Stoff für ein paar Dutzend weiterer Romane liefert.

Pollock führt diese Geschichten aber nicht aus – der arrogante Pilot, zum Beispiel, wird erst erzählerisch aufgepumpt und dann, klassische Fallhöhe, bautz, abgeschossen – , belässt sie fragmentarisch und deutet ihren Generierungsalgorithmus nur an: Er muss sie auch nicht jedes Mal auserzählen, was ein Bruch mit einer der Vormoderne verhafteten, letztendlich 19. Jahrhundert-basierten Breitleinwandästhetik markiert und sich im Grunde über die bleischweren, heftig bedeutungsschwangeren Epen eines James Lee Burke und anderen einschlägigen „Giganten“ lustig macht.

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US-Erstausgabe

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UK-Ausgabe

Das Tragische ist komisch

Anders als Thompson – und da enden schon die Parallelen – hält Pollock, auch weil er der bedeutend bessere Schriftsteller ist,  bei allem Mäandern die Fäden des Hauptplots fest in der Hand. Was bei Thompsons frühen Romanen aus dem amerikanischen Elend eher unintentional ausfranst, ist bei Pollock als Konzept konsistent. Und, noch wichtiger: „Die himmlische Tafel“ ist ein großer, komischer Roman, eine Qualität, die Thompson völlig abging, denn Pollock inszeniert das Schlimme, Miese und Tragische seiner Geschichte als groteske, bizarre Komödie, gespickt mit wunderbaren Dialogen. Die Komik, die parodistischen Züge, die akzentuierte Körperlichkeit, der Verzicht auf Erzählmechanismen und auf pedantisch ordentliche literarische Rasterbarkeit sind Pollocks ästhetische, brillant gehandhabte Werkzeuge, die erhebliche erkenntnisfördernde und gleichzeitig unterhaltende  Wirkung haben.

Pollock_Knockemstiffpollock Knockemstiff-Donald-Ray-PollockAber …

Ein tiefschwarzes, ein deprimierendes und auswegloses Szenario aus Blut, Körperflüssigkeiten und Exkrementen dreht sich bei Pollock, ganz gegen die üblichen Konventionen, die natürlich im Hintergrund präsent bleiben. Und auch dem üblichen Noir verpasst Pollock eine Watsch´n:  Ganz hoffnungslos ist die Angelegenheit dann doch nicht, denn mitten im Rott und Elend gibt es auch anständige Leute, wie das Farmer-Paar Fiddler, die zwar nicht die Hellsten in der Birne sind, aber das Herz am rechten Fleck haben. Zu zeigen, dass das auch im größten Dreck sein kann, macht unter anderem die Größe von Pollocks Roman aus.

Thomas Wörtche

David Ray Pollock: Die himmlische Tafel (The Heavenly Table, 2016). Roman. Deutsch von Peter Torberg. München: Liebeskind 2016, 429 Seiten, € 22,00.

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