Geschrieben am 15. November 2016 von für Bücher, Crimemag

Roman: Jon Bassoff: Zerrüttung

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Finstere Bücher in finsteren Zeiten. Oder für finstere Zeiten? Schon okay, denn ausgerechnet Kriminalliteratur ist für Bespaßung eher wenig geeignet. Einen ziemlich extremen Dunkelwert bietet „Zerrüttung“ von Jon Bassoff.  Eine Rezension von Thomas Wörtche.

Das Drama fängt mit einer Charles-Williams/Jim-Thompson-artigen Standardsituation: Ein Veteran mit entstelltem Gesicht und Schrottkarre bleibt in einem runtergeranzten Kaff in the middle-of-nowhere hängen. Er beschützt die auch nicht mehr gerade taufrische Dorfschönheit vor ihrem Brutalinski von Ehemann, hüpft mit ihr in die Kiste und soll, solchermaßen umgarnt, den fiesen Gatten aus dem Weg räumen. Aber die Lady ist natürlich eine üble Schlampe, die den Blick starr auf den Dollar gerichtet hat und mit Töten keine allzugroßen Probleme hat.

So weit, so topisch. Und im Grunde: Gähn. Aber Bassoff, lange Jahre Verleger der großartigen „New Pulp Press“, repetiert natürlich nicht einfach eine beliebte Formel, sondern treibt sein Zersetzungswerk an Sitte, Anstand und Moral radikal weiter. Zur Stimmung in bestimmten Teilen der USA passend, die Bassoff als eine Art riesigen Schrottplatz zeichnet. Kalt, übersät mit Autowracks, bevölkert von heruntergekommenen Wahnsinnigen, Abgehängten, Verzweifelten, Maroden, Fanatikern, Zugedröhnten und Gefährlichen, die in unbehausten Gegenden herumvegetieren, umgeben von einer feindlichen Natur oder einer Art landschaftlichem Nichts.

Oh, my lord

Und logischerweise mit Hilfe des HErrn. Denn der nette, vom Leben und Krieg arg gerackelte und gebeutelte Veteran ist alles andere als das. Er ist nicht nur Joseph Downes, der desillusionierte Soldat mit Trauma und schweren Wunden an Körper und Seele. Er ist auch Benton Faulks, der gequälte, aus einem irren, von Ratten wimmelndem Elternhaus stammende Jüngling mit seltsamen Illusionen und Träumen. Ein Doppelscheusal,  Mr Hyde & Mr Hyde, noch nicht mal ein Dr Jekyll in Sicht. Und er hat auch noch  eine schwerreligiöse Macke, die allerdings beim Personal des Buches kein Alleinstellungsmerkmal ist. bassoff-corrosion

Alttestamentarischer Furor generiert blutigen Wahnsinn, blutiger Wahnsinn basiert auf alttestamentarischen Furor.  Und der tobt sich an den noch Schwächeren aus – an  den Alten, Kindern und vor allem Frauen. Lügen, Verstellung, blanke Gewalt, schön verwoben mit allen paradoxen Metaphern, die die Heilige Schrift hergibt: Der Himmel als Dauerhölle. Schizophrenie als Camouflagetechnik, Religion als Legitimationsschild für alle Brutalität. Und dabei wohl wissend, dass all das böser Schein und Trug ist. Bassoff verbaut alle versöhnlichen Interpretationswege.

Am Ende steht die totale Zerrüttung. Die konsequent herzustellen, hat dem Autor deutlich einen Höllenspaß gemacht. Aber das hat, siehe oben, mit Bespaßung so gar nichts zu tun. Man muss wahrlich nicht alles, was dementsprechend posiert, auf noir trimmen – aber „Zerrüttung“ ist in der Tat noirnoir. Derek-Raymond-Klasse.

Thomas Wörtche

Jon Bassoff: Zerrüttung (Corrosion, 2013). Roman. Deutsch von Sven Koch. Mit einem Interview mit dem Autor von Alf Mayer. Hamburg: Polar Verlag 2016, 252 Seiten, € 14,90

Offenlegung: „Zerrüttung“ wurde von Thomas Wörtche für seine „Penser Pulp“-Reihe eingekauft, aber dort nicht realisiert. Glücklicherweise gelang der Transfer zu Wolfgang Franßens Polar Verlag. Das Interview von Alf Mayer gibt es hier.

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