Jahrzehnt vorbei
Buchcover - nach einem Jahrzehnt ohne Lyrik von Raul Schrott Ein Vorabdruck aus Raul Schrotts neuem Lyrikband heute im Standard:
„Schrott geht es nur zum Teil darum, Umrisse einer atheistischen Philosophie zu skizzieren, vielmehr stellt er Auszügen des Manuale eigene Gedichte gegenüber. Sie befassen sich mit Vorläufigkeit, Erinnerung, Vergänglichkeit, aber auch mit einem "dem Diesseits verhafteten Humanismus" des Da- im Sinne von Präsentseins, den Schrott in lyrischen Berufsporträts (etwa einer Kassiererin oder eines Richters) anklingen lässt. Andererseits thematisiert diese Lyrik, die vom Kleinen auf das Große, vom Besonderen auf das Allgemeine verweist, auch die Zufälligkeit des Lebens und die existenzielle Suche nach jenem Weg, der von der Ignoranz zum Wissen führen kann.“
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CONDITIO HUMANA
ein leben im mittelfeld · laufarbeit um seinen mann
zu stehen · den ball annehmen und dann passen
damit andere es zum abschluss bringen
um es dennoch nur bei positionswechseln zu belassen
einem choreographierten misslingen:
>tor< heisst dass eine seite mit einem fehlschritt
gerade gescheitert ist · knapp am limit
schenkel knie und sprunggelenke nie gut genug
dich endlich freizustellen atmest du dir
die lunge leer – einjeder spielzug
rachegötter auf den rängen herausfordernd: grimmig
und unversöhnlich in ihrer gier
ebenso achtlos wie vielstimmig
je mehr man ihnen gibt desto rascher wird man
über das aschweisse der linie ins aus geholt – knochen
an knöchel schabend · die augen blank
vor adrenalin · im trotz hingegen ungebrochen
mit dem bisschen talent zwischen innenrist und spann
weiterzumachen – um abzugeben
vorzulegen · an all den vorlagen sich abzuleben
der sieg bleibt einer über die ersatzbank
stolz und selbstbetrug dabei der ewig selbe kontrahent
in dieser arena aus pisse und zement
2 IX 06
Das Buch erscheint demnächst bei Hanser.
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