Nach Eckernförde durch die Nacht, von Lilly zum Zug gebracht, zum Konzert des ensembles reflexion K in der St. Nicolai Kirche. Darin, als letztes, was ich schwänze, weil ich den Zug zurück noch kriegen will und weil ich es eh kenne, so sehr, dass es mir jetzt suchend in den Textarchiven nicht aus dem Sinn geht, Gerald Eckerts „wie Wolken um die Zeiten legt“ (1996/97) nach einem Textfragment von Hölderlin und einem Gedicht von Saskia Reither.
Bestimmt eine halbe Stunde auf den Festplatten gesucht und erstaunt, wie weit das zurückliegt, was ich darüber schon schrieb, kommt es mir doch so nah vor, so wie mindestens letztes Jahr. Es ist jedoch so lange her wie der 7.11.2004, als reflexion K das im KulturForum spielte und ich unter der Überschrift „Mo(nu)mente des Verstummens“ wie folgt darüber für KN berichtete (betreffender Ausschnitt):
(…) Das Motiv der Verfolgung durch die offenen Wunden der Vergangenheit findet sich auch in Friedrich Hölderlins letztem, vier Tage vor seinem Tod notierten Vers. „Wie Wolken um die Zeiten legt“, dichtete der Umnachtete, befreit von jeglicher Grammatik. Zusammen mit einem Gedicht von Saskia Reither ist dies Motto und Material für die Komposition von Gerald Eckert, Leiter des Ensembles „Reflexion K“. Eckert schafft ein klangliches Abbild des Unwirklichen, in dem schwindelnd hohes Akkordeon und Piccoloflöte neben dem dumpfen Atem von Bassflöte und gestrichenen Gongs stehen. Ein einleuchtendes, ja ergreifendes Monument für den Moment vor oder kurz nach dem Verstummen.
Etwas mehr als ein Jahr später, ich weiß nicht mehr warum, stieß ich am 15.1.2006 nochmals auf das Hölderlin-Fragment und machte daraus eine fugierte Variationenfolge, die außer im Forum der 13 noch nirgendwo online steht, weshalb ich sie hier poste:
— snip! —
hölder|on/lin\e
„Wie Wolken um die Zeiten legt …
Und Schatten beschreibend hätt er
Der Augen Zorn …“
1
wie wolken um die zeiten legt
sich marmor, gehet auf die knie
vor grabgesteingebirgen,
wo amor seinen pfeil gesandt
aus nimmermehr vermehrtem nie
in rosen einer laube.
wie monde heben sich den rock
am himmel, nein, vielmehr im loch,
so geht ein schilf auf reisen.
1.1
und schatten beschreibend hätt‘ er
vernagelte tür solcher horen,
der augen zorn.
ein sänger aus lust seiner wetter
wär‘ längst schon darinnen erforen,
lebendig‘ horn,
geblasen ist’s sicher sein retter
wie lustig erschienen den mohren,
die waren vorn.
2
wie vollmond sich aufs altenteil,
vernarbtes, legt, aufs sterbebett,
als wär‘ zuhanden leuchten,
laternen doch der nacht auf wacht
die frechen eltern, feist im fick,
dass sie euch kinder machen.
aus gleichem glas den selben seim
ertrunken, schwebt es in sein grab
nach seiner schütt’ren bahre.
2.1
gleichwohl an der rampe lächelnd
und stöhnend den trank und säfte
hat’s immer durst,
darob es sich gießt zerbrechend
ins scheiden derselben kräfte.
als taube gurrst
du da, ihr betäubung fechelnd.
ins herz rammst ihr wild die schäfte,
auch wenn du murrst.
3
betrunken von dem alkohol
und schwer bekifft ist das gedicht –
es singt doch von dem lieben.
und ist den worten viel zu wohl,
als dass es wäre schattenlicht
und henkersknecht den hieben.
es würde klingen, wär’s nicht hohl,
wir würden’s singen auch als wicht,
entflohen allen kriegen.
3.1
und schatten beschreibend hätt‘ er
uns nicht im vers beschrieben,
nur auch und jäh.
dass wir uns verjüngen dem zepter,
der krone, dem kreuz zerstieben,
ist unser weh.
— snap! —
Ohne genau zu wissen, was ich da schrieb, nur dass ich es schrieb, fiel mir, in der Pause rauchend vor der Kirche, noch ein Bild in den Kameraschoß: schnee.stein.
Etwas Meteoritiges (Komet = „schmutziger Schneeball“), die Meteo-Riten des Wetters aus den Überresten des Verstummens des Winters und seines (Grab-) Steinsturzes feiernd. Klang im Kopf aus Farben, die Kerzen vergilbt Schatten werfen. (Und dies Dichten um des Dichtens Willen, weil man sonst ausfließt, reines l’art pour Laertes, Studien an Hamlets Schädel, total selbstversunken und reichlich kunstmonsternd (wie sehr früh morgens die leinwändigen Schädel von T-Rex in „Jurassic Park II“) …)
… wie wolken um die zeiten legt sich dünner dunst …