quasi una marcia

„manche sagen, bankraub ist nicht politisch. aber seit wann ist die frage der finanzierung einer politischen organisation keine politische frage? die stadtguerillas in lateinamerika nennen bankraub enteignungsaktionen. er ist politisch richtig, weil er eine enteignungsaktion ist. er ist strategisch richtig, weil er der finanzierung der guerilla dient.“ (ulrike meinhof, 1971)

„und natürlich kann geschossen werden!“ …
und also sprang sie durch das loch der schrift.
so noch muss es licht- und herbster werden
und waffen sollen dichten, nicht nur stift.

nicht nur takte – taktik, strategien
brauchen verse und die buchgestäbe,
nicht nur geschrieben werden darf, geschrie’n
muss werden durch gefängnisgitterstäbe

gegen geld und macht – doch auch mysterien,
die durch reime tropfen in die lache
aus sinn und form und uns den schrei verengen.

machen wir aus löchern unsr’rer sprache
solche, die wir in die wände sprengen
der banken – und auch ihrer ministerien!

quasi una marcia by oegyr

bekennerschreiben, poetologisch, strategiepapiertigernd

ulrike meinhof sitzt in ihrer zelle an ihrer schreibmaschine. sie tippt ein manifest, einen rest von enerviert von dem text, den sie da tippt (weil texte texter selbst noch enervieren, wenn sie sterben – sie und ihre texte durch ihre und in ihren texten.) ansonsten sieht sie sich als verhandlungsunfähig. für die revolution ist sie nicht mehr zuständig. unter den an ihr „real existierenden“ verhältnissen muss es ihr um erhalt gehen. sie ist in einem turm, vollständig isoliert. sie ist eine HÖLDERLINMASCHINE. „das zeug“, das sie schreibt, macht auf gudrun ensslin „einen verlotterten, kaputten eindruck“. revolutionäre unter den auf bloß noch text als lebensentäußerung zusammengeschnurrten bedingungen des textes sind keine guten revolutionäre, weil nur noch der text hirte und damit zelle ist, wogegen es gleichzeitig anzudichten gilt. doppelbelastung statt entlastung durch text. faktische aussetzung der friedenspflicht des textes gegenüber seinem autor: DER TEXT WIRD ZUM TERROR, nach außen wie innen. die bedingungen, unter denen ich dieses sonett tippte, sind andere, komplett andere! die tatsache allerdings, dass ich mich mit den isolationshäftlingen ulrike meinhof und fritz hölderlin gemein machen möchte, wenn auch nur assoziativ und mit den zaunpfählen der hier lediglich imaginierten gitterstäbe winkend, deutet gleichwohl eine zumindest ähnliche situation erzwungener innerer emigration an, die dichtern in und zu sich wie zu dem TEXT nie fremd war und ist. insofern eben die nähe, die der text eigentümlich hat, wenn er sich mit der „gefühlten“ ferne auseinandersetzt, die sich zu den aktuellen sozialen kämpfen („OCCUPY FRANKFURT!“) faktisch ergibt. am schreibtisch kann der dichter nie wirklicher täter sein. was er wiederum nur in der ihm gegebenen form, der sprache, äußern kann. selbst gegenüber seiner sprache ist der dichter jedoch nur stellvertreter. für die verfassung von PAROLEN AUF DEN BANNERN der demonstranten ist und wird er nicht zuständig sein. die revolution zetteln wenn, dann andere an, nicht seine zettel. er kann in sprache nur von der revolution träumen, bestenfalls noch von diesen träumen sprachliches zeugnis ablegen. er kann sich nur allein (wenn nicht sogar nur einsam) gemein machen mit einem kampf, mit dem er sympathisiert, den er aber an anderer front kämpfen muss – an der front seiner geschriebenen sprache, wo er nur sich und damit ihr, also dem TEXT gegenübersteht. sein schrei bleibt stumm in der poetisch durchformten gestalt und situation der schrift. die einzige hoffnung: der text ist immer noch ein gemachter, autonom und daher ebenso feindlich wie freundlich gegenüber sich selbst wie dem, der ihn tippt, spricht und womöglich aus ihm und in ihn DIE PAROLE SCHREIT: „klavki, DER KAMPF GEHT WEITER!“

kommando klavki, kiel, 14. oktober 2011

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