Sa, 16.10.10 (So, 17.10.10, 2:14): Salomon in den Städten

Herbstdepressiv und immer noch verschlafen trübe zum chiffren-Konzert geschleppt. Und dort aufgeblüht, erwacht, geweckt, ja, aufgeweckt, erweckt vom ollen König Salomon am Ground Zero in meinem Kopf. Licht an, flirrend:

— snip! —

Salomon in den Städten

chiffren-Konzert der Männerstimmen der Chorknaben Uetersen und des Sirius String Quartet

Kiel. Als der in New York lebende und arbeitende Komponist Gregor Huebner von Hans-Joachim Lustig, dem Leiter der Männerstimmen der Chorknaben Uetersen, gebeten wurde, ein Stück für Streichquartett und Männerchor zu schreiben, war er zunächst skeptisch. Zu Unrecht, wie die Uraufführung seiner „Fragmente aus dem Hohelied des Salomon“ beim chiffren-Konzert der Chorknaben Uetersen und des Sirius String Quartet in der Ansgarkirche zeigt.

Das Hohelied ist der wohl weltlichste Bibeltext und daher die perfekte Vorlage für Huebners kompositorische Gratwanderung zwischen geistlicher und weltlicher Musik, die, wie schon König Salomon wusste, „duftet, nach Myrrhe, nach allen Gewürzen der Länder“. Der Weckruf des Chores am Anfang, eingeleitet von fanfarenartigen und gleichzeitig sphärisch entrückten Streichern, wirkt noch so mönchisch wie aus einem mittelalterlichen Kloster, doch schon bald entfalten die klanglichen „Gewürze“ ihren „Duft“, groovt sich der Chor durch die harmonischen wie rhythmischen (Ver-) Rückungen, die schließlich in einem treibenden Tango münden und damit in jener musikalischen Sphäre, wo Musik und Tanz eben die versteckte Erotik entfalten, die auch dem Hohelied innewohnt.

Aber auch dem Großstädtischen, wo sich Klänge und Kulturen nicht minder wild kreuzen und verschmelzen. In seinem acht-sätzigen „Streichquartett Nr. 2, op. 27 – New York Suite“ ist Huebner geradezu mit Tonbandohren durch seine Wahlheimat New York gepilgert und hat die Klangstimmungen mehrerer Stadtteile Manhattans eingefangen. In der „125th Street“ begegnet er Jazzgeigern und ihren Polyrhythmen voller Bluenotes, in „Redhook NY“ dem Gypsy-Sound und anderen Teufelsgeigereien, während in der U-Bahn nach Brooklyn der Dunst des Untergrunds in Flageoletts und Glissandi flirrt, als sei eine Glasharfe am Werk, oder am „Times Square“ der schwirrende Verkehr die Streicher des Sirius String Quartet technoid motorisiert. Die Stadt als Tempel und Tiegel der Klänge, als „Soundscape“, die sich im 5. Satz „Ground Zero“ in ein bewegendes Klagelied verwandelt. Während Chem Hwei Fung, Ron Lawrence (Violinen) und Jeremy Harman (Cello) dunkle Akkorde um einen beständigen Orgelpunkt legen, wandert Huebner mit seiner Geige durch das Kirchenschiff, umschlingt uns quasi mit dem sirrenden Lamento, zieht die Klangfessel fest.

Ähnlich hautnah ans zuhörende Ohr begibt sich Eric Whitacre mit dem betörend schlichten „Lux aurumque“ für Männerchor und den „Five Hebrew Love Songs“ für Männerchor und Streichquartett. Auch letztere sind ein salomonisches Hohelied auf die Liebe in rhythmisch tänzerischen Passagen und zärtlich zerbrechlichen Kontemplationen. Das Beben des Herzens schwillt an zu höchster klanglicher Dichte und verlischt wieder wie im Nichts, der Stadt des Jenseits. Aus solchem glühen auch die Klanglichter in Vytautas Miskinis’ „Light, my light“, eigens komponiert für die Chorknaben Uetersen und ein Hohelied auf das Licht, das göttliche, wie das flirrende der Städte.

Dieser Beitrag wurde unter d.day - keine nacht für niemand veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.