Seit Tagen irgendwie auf dem Affen, nur nicht gewusst, von welchem der Entzüge vieler Zucker (oder deren fahrlässiger Nichteinhaltung). Seit Tagen gibt dennoch Hiphop, wiederentdeckt, mir ollem Affen Zucker.
Das ist arbeits-, aber auch stimmungsbedingt. Lilly, meinen Elfenbeinturm niederreißend, meinte heute schon, in meinen Texten machten sich Tod und Verfall breit, das beunruhige sie. Ist wohl herbstbedingt, atmosphärisch. Vielleicht aber auch nächstes Dauerthema (Angst vor dem Tod der Eltern). Auch dauernd nahe am Wasser gebaut, lacrimal, ständig von irgendwas gerührt, Dichterleid usw.
Da ist Hiphop eher heilsam, heilige Melancholie ist der Zucker, der seinen Affen findet in Tracks wie diesem von Prinz Pi:
KN-auftragsgemäß dorthin, in den Roten Salon der Pumpe, um nach Vorberichtsgezwirbel auch noch live den Griffel aus dem Elfenbeinturm zu strecken wie Hänsel der Hexe aus dem Käfig.
— snip! —
Klimmzüge an den Türangeln
Prinz Pi rappte in der Pumpe gewohntes Gegenan.
Kiel. „Was ist heute schon noch links?“, soll ein Alt-68er, inzwischen frustrierter Lehrer mal seinen Kieler Taxifahrer gefragt haben. Der antwortete schlagfertig: „Die Fahrertür.“ Ungefähr so ist es mit dem Hiphop und Prinz Pi, wenn er im ausverkauften Roten Salon der Pumpe rappt: Er sucht nach der Fahrertür, was gelegentlich zu dazu notwendigen Klimmzügen führt.
Zum Beispiel die mit dem Publikum. Das macht sozusagen zu sehr mit, nicht nur mit den rhythmisch mitgereckten Händen und den begeistert mitskandierten Refrains wie „Wir bleiben immer Anti!“, auch dadurch, dass es die Bühne im Roten Salon derart hautnah nicht nur belagert, sondern teilweise schon bevölkert, dass Prinz Pi um Contenance bitten muss. Denn das Mitmachspiel „Hände in die Luft, an die Wand, auf die Knie“ lässt sich so nicht umsetzen. Vermutlich versteht auch kaum einer die subtile Metaphorik solcher Hiphop-Gymnastik. Egal, das ist ja auch nur ein Gig – obwohl Prinz Pi „Kiel fantastisch“ findet. Irgendwie merkt man dem Reim-Workaholic die Überarbeitung an: Basteln am neuen Album „Keine Liebe“, das noch bis Januar in den Wehen liegt, und gleichzeitig mit dem Vorgänger „Teenage Mutant Horror Show“ auf Tour sein, das kann nur klimmgezügelt „funzen“.
Also schielt einer der Großmeister des Wort- und Silbenspiels im deutschsprachigen Hiphop oft nach dem gewohnten Ausgang links, der Tür ins bloße Abfahren. Alter, was geht? Gerade die älteren Songs wie das intelligent stampfende „Schädelficken“, das halbstarke Reimgeschoss „3 Minuten“ oder das in all seinem luntenlüsteren Posing immer noch brandheiße „Zünd die Welt an“. Manchem Hörer fällt dabei allerdings auf, dass die Live-Versionen solcher Songs im Vergleich mit ihren minutiös sound-balancierten Album- und Youtube-Clip-Pendants die Tür zwar weit aufmachen, aber leider auch aus den Angeln heben. Will sagen: Die Lyrics – und die sind nun mal Pi’s Stärke, besonders in „Elfenbeinturm“ – gehen zuweilen in den technoid zugespitzten Beats unter. Einmal mehr zeigt sich, dass Prinz Pi ein genialer Studiomusiker ist, aber auf der Live-Bühne, wenn auch unterstützt von Bina und Gerard MC, eher verlustig rüber kommt.
Aber vielleicht ist dieser Eindruck auch nur den kleinkämmerischen Hörgewohnheiten des Rezensenten geschuldet. Das Publikum jedenfalls feiert seinen Prinz, kann viele Reime auswendig, und so fallen akustische Verschluckungen der bis in die Silbe hinein ausbaldowerten Pi-Poeme nicht so sehr ins Gewicht. Das Feiern der – manchmal schmalbrüstig vorgeturnten – Anti-Geste ist Trumpf, nicht zuletzt im nach Durststrecken wieder fulminanten „Gib dem Affen Zucker!“, das den Abend beschließt. Die Frage sei allerdings zum Weiterrappen gestattet: Wer ist hier der Affe und wer der Zucker?
— snap! —
Trinke an der Mädchenbar zwei Cuba Libre und bin darob innerlich hip zum Schreiber-Hop. Aber natürlich Nerd da und fremd, weil viel zu alt, fett und grau. Für Kunst indes und ihre Rezeption mit den Zirkeln und Skalpellen meiner Mittel dennoch nie. Stehe da im Wintermantel, schwitzend, mache Notizen. Was die Securitate-Security-Schrankmänner misstrauisch macht. Text könnte ja Bombe sein. (Herzeigen des Presseausweises beruhigt sie.)
Jepp, gerade hier ist Text Bombe, Zucker für den Affen, Affe, der nach Zucker und nach Zunder giert (und sehnt nach Entflammen).