Sa, 25.12.10 (So, 26.12.10, 17:28): Text, tiefergelegt

Knarzgeräusche beim (Fort-) Schritt im Permafrostschnee und von „Keine Zähne im Maul aber La Paloma pfeifen“ in der Schaubude. Das Knarzen hinter, unter den Gitarren. In der Besprechung lege ich den Text tiefer, um dem melancholischen Mant(r)a, dem Knarren der Fußangeln auf Tritt und Wiegeschritt auf die Spur zu kommen.

— snip! —

Pferdepillen für den Punkrock

„Keine Zähne im Maul aber La Paloma pfeifen“ rockten „hoppsassa“ in der Schaubude.

Kiel. Am Ende wirbeln die Gitarrenwinde dann doch noch ein paar Fußtruppen auf die Tanzfläche der Schaubude. Denn so paradox wie das Kieler „Punkrock-Hoppsassa-Beat“-Trio „Keine Zähne im Maul aber La Paloma pfeifen“ die Zähne zeigt, um uns das etwas andere „La Paloma“ stürmisch um die Ohren pfeifen zu lassen, bewegen sie neben den Innenohrknöcheln auch die weiter unten.

Paradox, weil Jochen Gäde, Steffen Frahm und Lars Stuhlmacher zwar die Punkattitüde pflegen, aber doch eher sowas wie Beatmusik machen und einer Tanzkapelle den Existenzialisten-Blues unterjubeln. Fast schon gediegene alte Herren der Kieler Indie-Szene stehen da auf der Bühne, die um die Spießerfalle wissen, die auch dem Punk innewohnt, und dagegen – vor allem aber dafür – spielwütig Pubertäres setzen. Eine bittersüße Pferdepille für den guten alten Punkrock, die sich der Placebos bedient und uns – man möchte sagen: andächtig – hoppe-hoppe-mitreitende Zuhörer zum Geburtsfest des Erlösers aus unseren Hör-, Erwartungs- und Musiklebensgewohnheiten erlöst.

Dass den Erfahrungen und (Miss-) Bildungen einer rock-musikalischen Sozialisation nicht zu trauen ist, persifliert das Trio infernale in seinem letzten Stück (vor drei Zugaben).

„Alles so passiert“ titelt es, und surrt genüsslich wild in einem Parforceritt vom Beat bis zum Rave durch die Jahrzehnte. „Es wäre gelogen, wenn ich sagte, ich hätte was verändert“, bilanziert der Text und beugt dem vor, „dass das womöglich durch die Decke geht“. Zwar haben K.Z.I.M.A.L.P.P. seit jüngstem auch eine Facebook-Seite, aber vor einem eventuellen Hype im Internet sind sie dennoch gefeit. Vor einem knappen Jahr veröffentlichten sie auch diesen „Hit“ vorsichtshalber auf so einem „old-schooligen“ Medium wie Audiokassette – langlebiger als Silberling und MP3. Und einfach mehr Rock’n’Roll, als Rockstar zu werden. Deshalb schläft das Trio auch „lieber im Bus“ und wirft den Transmissionsriemen der dieser Tage zehn Jahre alte gewordenen „Ohne-Sabine-Maschine“ auf die Orgel. Die läuft als Liebes(leid)lied nach wie vor so rockig rund, dass man als Zuhörer seelisch wie tanzkörperlich mitwippt. Nicht anders, wenn das Trio die Gitarrengewehre erneut auf seinen Klassiker „Angeschossener Wolf“ anlegt.

Doch nicht nur solche Hymnen stoischer Anti-Helden darreichen uns K.Z.I.M.A.L.P.P. als Pferdepillen gegen die Paradoxien des Punk, auch in den neuen Songs wirkt das Antidot. „Subunternehmer“ hat es in den Soundtrack zu Peter Sempels Dokumentarfilm „Die Ameise der Kunst“ über den Künstler Jonathan Meese geschafft und kann als Schlüsseltext verstanden werden: „Ich muss tiefer in den Untergrund, unter Normal-Null!“. Eben dahin begeben sich K.Z.I.M.A.L.P.P., indem sie den Underground, der Punk mal war, an die schillernde Oberfläche nur scheinbar rabiat gespielter Gitarren holen, das „Normal-Null“ tieferlegen wie die Karosserie eines Manta – oder eben Mantra.

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