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Magazin für Verrisse aller Art     Archiv

Herausgegeben von Dieter Conen & Hadi Eberhard

   




AUSGABE 4    Dezember 2000


Zeitgeschehen: Steffi und André - Kann ihre Liaison Bestand haben?


Wir kennen Steffi von der Mattscheibe, nämlich aus den Matches sowie aus diversen Interviews. So souverän sie erstere meistert, so schwer scheinen ihr letztere zu fallen. Regelmäßig erlebt man eine hoch angespannte Person, die hart mit der Sprache um ein paar halbwegs verständliche Sätze ringt. Stets scheint es, als habe Steffi zwar alle gängigen Floskeln auf Lager, könne sich aber nur mit Mühe entsinnen, wie man dieselben in eine sinnvolle Reihenfolge bringt. Wie ein gehetztes Wild wirkt sie vor der Kamera, das am liebsten davonspringen würde, sich aber übermächtigen PR-Zwängen in eigener Sache beugen muß und deshalb tapfer in die Mikros babbelt.
Mit welch selbstgeißlerischem Bitterernst da über verschlagene Volleys, schlechtes Stellungsspiel oder 'mentale Schwächen' räsonniert wird, selbst wenn die Interviewte das fragliche Match gewonnen hat - als ob die kleinste Abweichung von spielerischer Perfektion Steffi zu einem nichtswürdigen Menschen machte. Wo bleibt die Leichtigkeit, wo der Schuß Selbstironie, den man von einem erwachsenen Menschen erwarten darf? Es ist schließlich nur Tennis, worum es hier geht.

Wie ein gehetztes Wild vor der Kamera, sagten wir. Im Off wird es kaum anders sein. Vermutlich ist sie dauernd auf der Flucht vor dem Erkanntwerden, vor der Belästigung. Schnorrer, Verehrer, Papparazzis, staunende Stinos sind ihr allzeit auf den Fersen. Oder zumindest wähnt Steffi sie da. Der Verfolgungswahn reckt sein häßliches Haupt. Natürliche Reaktion: Abkapselung, das heißt, Errichten einer hermetischen Kunstwelt, die Normalos weitgehend draußen hält.
Unglücklicherweise jedoch gibt es ein paar vitale Bedürfnisse, die nur in der Normalwelt zu befriedigen sind: Das unbehelligte Gehen und Schauen zum Beispiel, auch im dichtesten Trubel oder der spontane Flirt ohne Hintergedanken respektive die Furcht davor oder die Liebe, die einen ereilt, weil man ein netter Mensch ist und nicht die millionenschwere Sport-Ikone Steffanie Graf. Es muß die Hölle sein, prominent zu sein. Diesen Zustand sollte nur anstreben, wer solche Erlebnisse nicht mehr erhofft. Soweit ist Steffi offenbar noch nicht und sucht daher Rettung bei Gleichbetroffenen: André Agassi. Kurz, kahl, Brooke Shields Ex-Ehemann. Der sogenannte Paradiesvogel der Tennisszene. Und dieses Etikett besagt ja nichts anderes, als daß dieser Mann, der als Normalo - Oberbekleidungsverkäufer, von mir aus auch Computerfachmann - keinem Menschen aufgefallen wäre, einer Frau von nennenswertem Äußeren schon gar nicht, und der mithin ein mehr oder weniger unbeachtliches Durchschnittsleben geführt hätte, gehighlightet bestenfalls von ein paar Drogenexzessen, Prügeleien auf Volksfesten und dem Vorsitz des lokalen Bikervereins... das Etikett 'Paradiesvogel' besagt ja nichts anderes, als daß dieser Mann die Möglichkeiten, die ihm das Prominentsein eröffnete (schöne Frauen nach Belieben; Schrullen ausleben, ohne Sanktionen fürchten zu müssen; sich jeden materiellen Wunsch erfüllen können, soweit der nicht darin besteht, mit dem eigenen Flugzeugträger um den Globus zu schippern oder ein Wochenendhaus ans Meer der Stille [Mond] zu setzen) auch weidlich genutzt hat.

Wie muß man sich nun die Liebesbeziehung zweier Sportpromis von diesem Kaliber vorstellen?
Gemeinsames Shopping auf der Fifth Avenue? Dann Candlelight Dinner im teuersten In-Lokal der Stadt? Zum Tagesabschluß Besuch der angesagtesten Szene-Disco? Schließlich während der Heimkehr ins pompöse Trump Tower Appartement noch ein Leidenschaftsquickie im Yellow Cab, bevor es zu Hause die ganze Nacht rund geht?
Nein, so stellen wir uns die Sache eigentlich nicht vor. Eher schon halten wir für möglich, daß unser Paar, Flauschpantoffeln an den Füßen, irgendwo in der deutschen Provinz nahe Brühl bei Bratkartoffeln mit Heringsstip vor dem Fernseher (Wetten, daß..? Hitparade der Volksmusik? MTV-Video-Charts?) vom ewigen Promidasein ausruht.
Nee, so eigentlich auch nicht.
Ja wie denn, bitteschön?
Nun, zweifellos spielt die Love Story in Reiche-Leute-Kulissen: weitläufige, teuer eingerichtete Wohnsitze an verschiedenen Orten der Welt; private Fortbewegungsmittel vom Audi Quattro Coupé an aufwärts; für längere Reisen steht der Privatjet zur Verfügung, und wenn's gar nicht anders geht, dann bequemt man sich schon mal in die allererste Klasse irgendeines öffentlichen Jumbos, wo die Entourage Gott sei Dank die mitfliegenden, dauergaffenden Möchtegern-VIPs auf Distanz hält. Daheim, wo immer das sei, läßt André allmorgendlich zwei Dutzend Baccara-Rosen herbeischaffen. Steffi im Gegenzug legt allzeit das vorteilhafteste Makup auf (das ihren Charakterzinken optisch ein wenig an die Kette legt), trägt tagsüber die lässige Prada-Freizeitkombi, wirft sich abends in die große Versace-Robe oder den schlicht-gediegenen Jill-Sander-Hosenanzug, je nach Anlaß. Nachts schließlich ist die Ich-weiß-nicht-was-Wäsche angesagt zur Erbauung ihres Romeos. Ob Steffi String-Tanga trägt in intimen Momenten? So ganz heimlich bei stark abgedämpftem Licht nur für SEINE Augen bestimmt? Wenn ja, so stellt man sie sich dabei unwillkürlich stark geniert vor, nicht aus moralischen Gründen, sondern weil die Tanga-Mieze ihr fremd ist, eine nicht-geheure Person, die unvorsichtigerweise den Kontext verlassen hat, der allein ihr eine gewisse Selbstsicherheit verschafft, jenen der weltbekannten Tennisgräfin. Das Privat-Ich als Wurmfortsatz der Sportstar-Rolle. Die Konsequenzen sind gravierend. Alles, was nicht Tennis ist in ihrem Dasein, wird auf die konventionellste Weise erledigt. Nur ja nichts Ungehöriges tun, keinen Anstoß erregen, um nicht als Tennisidiotin dazustehen, die nur die Filzkugel übers Netz dreschen kann - wenn auch einmal öfter als die meisten Konkurrentinnen. Und damit soll André nun glücklich werden? Mit einem unentfalteten, von seiner Sportbiographie versehrten und - weil dem Konventionellen verhaftet - mutmaßlich sterbenslangweiligen Geschöpf?
Ja, warum nicht. Mit Brooke Shields, der Ex-Gattin, wird er in dieser Hinsicht einige Übung haben. Man stellt sich die Hollywood-Schöne als eine Person vor, die ihre Existenz im wesentlichen damit bestreitet, ihr Haupt-Asset, das Glamourgesicht, im Bestzustand spazierenzutragen.

Wie ist er aber nun selbst, der Herr Paradiesvogel, charakterlich gesehen? Wir sagten oben: Er kostet sein Prominentsein aus. Das heißt im Kern nichts anderes, als daß er jeden aufs Weltliche gerichteten Wunsch mühelos erfüllt bekommt. Und das ist vielleicht das Verheerendste, was einem Menschen zustoßen kann. Von der dauernden, mühelosen Wunscherfüllung verschwindet die Zufriedenheit. Denn es ist nur das kostbar (und macht zufrieden), worum wir uns redlich bemüht haben. Fliegen einem die gebratenen Tauben nur so ins Maul, gibt es keinen Grund für irgendwelche Mühen mehr. Und der Betreffende verlernt womöglich, sich um irgendwen oder -was aufrichtig und ausdauernd zu bemühen, er verlernt es, wie man lateinische Vokabeln verlernt. Dabei heißt 'bemühen' ja nichts anderes als: Enttäuschungen aushalten können und durch Beharrlichkeit in Erfolge verwandeln oder, wenn sie denn partout keine Erfolge werden wollen, dieselben demütig als Teil des Numinosen dieser Welt begreifen, an dem uns der Herrgott in seiner Unerforschlichkeit teilhaben läßt. Amen.

Muß einer, fragen wir, unter solchen Umständen (stete Wunscherfüllung) nicht zwangsläufig zum launischen, unausstehlichen Schnösel werden, der trotz ständiger Bedürfnisbefriedigung immer unduldsamer, letztlich immer unbefriedigter wird. Kommt er nicht beim kleinsten Mißempfinden (Langeweile) schwerstens in Versuchung davonzulaufen, dorthin, wo man ihn besser bedient? Und wird er dies Spielchen nicht solange treiben, wie es sein Star-Ruhm gestattet - um danach bitter mit der treulosen Welt zu rechten, die nicht mehr liefert, was sie ihm bis ans Lebensende schuldig zu sein schien?
Steffi und André, zwei vollsynthetische Erfolgsgeschöpfe dauerhaft in trauter Zweisamkeit vereint? Das kann nicht funktionieren, sagen die Lit-eX-Auguren.

Die Gesamtredaktion





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