AUSGABE 4 Dezember 2000
Joachim Bessing: Tristesse Royale
Der
normalgebildete mitteleuropäische Nichtprolet führt Debatten, indem er Thesen
aufstellt und dieselben wenigstens ansatzweise begründet. Das systematische
Weglassen des letztgenannten Schrittes, der Begründung, indessen zeichnet
gemeinhin den Vollproleten aus. Dieser rottet sich bevorzugt an 'Stammtisch'
genannten Örtlichkeiten mit Gleichgesinnten zusammen, um hemmungslos die
Meinungssau rauszulassen, das heißt, um großspurig zu verkünden, was er von Gott
und der Welt durch fleißige Bildzeitungslektüre zu halten gelernt hat. Diese
rituelle Veranstaltung dient, meist unter Verzehr alkoholischer Getränke und
sonstiger Konsumgifte, der kurzzeitigen kathartischen Aufblähung eines Egos, das
im Alltag wenig zu melden hat und, gepeinigt von Angstattacken und
Selbstzweifeln aller Art, jammervoll vor sich hinkümmert.
Wenn ich nun
Sätze lesen muß wie die folgenden: "[Tom Fords] Gucci-Re-Modeling geht aus vom
weißen Gucci-Loafer, der ja in der Moderne das erste ironische Kleidungsstück
war." (S. 147) oder "Die Levis-Jeans ist in etwa ein so bleibender Wert, wie der
Goldene Schnitt in der Malerei es ist." (S. 148) oder "Ein Superstar wie Diana
Spencer kann nur in einem Autounfall mit dreißig Jahren sterben, alles andere
wäre absurd. Du kannst nicht alt werden wie Hildegard Knef, hier durch Berlin
gehen und scheußlich sein." (S. 152) - wenn ich solche Sätze lesen muß, von
denen der Text, ein Gesprächsprotokoll, nur so wimmelt, so komme ich nicht
umhin, strukturelle Identität von Stammtischgebaren und Disputantenauftritt zu
konstatieren: Es wird erstens grundsätzlich nicht begründet in dem illustren
Zirkel, man arbeitet zweitens mit der Viertonhupe der Präpotenz, die drittens
sogleich den Verdacht aufkeimen läßt, hier suchten sich fragile Gemüter per
Wissens- und Formulierungshuberei bissl Selbstgewissheit und Respekt zu
erstrunzen. Stammtischgeschwafel also, im Umfang von knapp 200 Seiten - keine
angenehme Diagnose für Leute, die nichts so sehr verabscheuen wie ungehobeltes,
ahnungsloses Proletentum.
Wenn sich allerdings fünf Schlaukekse dieses
Kalibers der Methoden des verachteten Klassenfeindes bedienen, so riecht das
ziemlich streng nach Ironie: 'Holla Leser, wir wollen dir nur ein wenig auf den
Schlips treten, bißl rumpupsen in der aseptischen Geisteslandschaft dieser
Republik, damit sich paar Leute erregen, wir uns einen Namen machen und unser
Marktwert steigt. Im Grunde meinen wir das alles ja gar nicht so wie es
klingt.' Ironie also. Nun gut, sage ich, die würde mich halbwegs versöhnen
mit dem naseweisen Buch, wenn nicht Anlaß zu der Vermutung bestünde, dass es mit
der Ironie in diesem Werk gar nicht so arg weit her sei. Irgendwie ist zu viel
davon drin. Alle Augenblicke steht ein Warnschild im Text: 'Achtung: Ironie!",
so penetrant oft, dass ich geneigt bin, von einer Ironisierung der Ironie zu
sprechen, welche nach der Logik der doppelten Verneinung das eigentlich gar
nicht so Gemeinte in ganz bitter ernst Gemeintes verwandelt. Und dies eben, das
bitter ernst Gemeinte, wird diskurstechnisch gesehen auf völlig inadäquate
Weise, begründungslos nämlich, dargeboten, so daß es über den Status des groben
Unfugs nicht hinauskommt.
Des Mäntelchens der Ironie beraubt, ist das
Buch dann nur noch Ärgernis und also eine rechte Erheiterung. Da soll offenbar
eine Art Pop-Evangelium ex cathedra verkündet werden. Fünf Herren mandeln sich
zu Stil-Messiassen der Golf-Generation auf. Man dient sich den Tumben im Lande
als allerletzte Instanz in strittigen Geschmacksfragen an. Dass fünf Jungspunde
so viel Chuzpe an den Tag legen, ist eigentlich nett und recht lustig, auch wenn
sie letztlich nur eine aufgemotzte In&Out-Liste abliefern, die sich jeder
mittelmäßige Lifestyle-Redakteur zwischen zwei Marlboro Ultras aus den Fingern
saugen könnte.
Was mich erschüttert an der Lektüre, ist das Tohuwabohu
in den Köpfen der Möchtegern-Stilpäbste. Deren Denkorgane sind derart
überpfropft mit Informationen aus allen möglichen Wissensbereichen, dass sie
ihre angestammte Funktion, das Denken nämlich, schon aus Kapazitätsgründen nicht
ausüben können. Die fünf wackeren Herren schaffen es lediglich, unverarbeitetes
Stapelwissen in rigide, durch und durch geschmäcklerische Urteile zu kleiden und
damit eine Denkleistung zu s i m u l i e r e n - das altbekannte und weit
verbreitete Diedrich-Diederichsen-Syndrom. Es entsteht der interessante und
traurige Eindruck, hier redeten Leute miteinander, die alles wissen, die aber
nichts interessiert, jedenfalls nicht länger als es braucht, zwei, drei griffige
Formulierungen hinzuwerfen, die ein paar Gimpel vom Hocker reissen. Dann gleich
weiter zum nächsten Thema. Die Burschen scheinen auf tragische Weise
abgeschnitten von einer Teilnahme an der Welt, mögen sie zu diesem Behufe auch
bis nach Dehli oder Phnom Penh rennen, die windigsten Wittgenstein-Sprüche
studieren, die härtesten Drogen nehmen oder die Vornamen der Mitglieder
irgendeiner Fast-Kultband der Siebziger Jahre samt Lebensgeschichte der
zugehörigen Großmütter väterlicherseits auswendig herunter beten lernen.
Postskriptum: Schwer stutzig macht mich übrigens, dass nicht über Frauen
gesprochen wird in dem Buch. Fünf voll im Saft stehende Kerle drei Tage lang
eingesperrt im Hotel und das schöne Geschlecht ist kein Thema? Wie kann das
sein? Ich reime mir das so zusammen: Die einen (Kracht, Stuckrad-Barre,
Bessing?) sehen in der Frau ein quasi-göttliches Geschöpf: mütterlich,
verführerisch, unbegreiflich in seiner Nachsicht oder Strenge usw., jedenfalls
das einzig lindernde Pflaster auf der gräßlichen Wunde, welche die böse Welt
jeden Tag aufs Neue in ihre überempfindlichen Bubenseelen reißt. Von Frauen zu
sprechen wäre diesen Kantonisten Sakrileg. Die anderen (Nickel, Schönburg,
Bessing?) sehen das Weib eher nach Gutsherrenart: dufter Kumpel, der den
Stammhalter gebiert, dem Hauspersonal vorsteht, die Innenausstattung des Heims
und diverser Ferienchalets - nach Budgetvorgaben des Angetrauten - besorgt, die
Augen vor des letzteren Gesindeaffären verschließt und überhaupt den
Göttergatten bei seiner dem Höheren in jeder Spielart geweihten Daseinführung
nicht über Gebühr behelligt. Die Äußerungen dieser Herren hat der Lektor
gestrichen, weil sie nicht salonfähig sind.
Pater Ralf de Frikassee
AUSGABE 4 Dezember 2000
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