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Magazin für Verrisse aller Art     Archiv

Herausgegeben von Dieter Conen & Hadi Eberhard

   




AUSGABE 4    Dezember 2000


Den 'Prof' im Lotto gewonnen

Zu Gertrud Höhler: Wölfin unter Wölfen; Econ Verlag, 39,80


Es reicht nicht, keine Gedanken zu haben,
man muß auch unfähig sein, sie auszudrücken.
Karl Krauss

Dies ist eines jener Bücher, bei deren Lektüre man sich wünscht, man hätte nie lesen gelernt und könne schon deshalb nicht in die Lage gebracht werden, sich mit derlei gedruckten Zumutungen rezensentisch befassen zu müssen.
Es geht in dem famosen Werk um die Frage, ob sich Männer und Frauen zur Lösung von Managementproblemen nicht zweckmäßigerweise zusammentun sollten, da die Evolution sie mit komplementären Charakterzügen ausgestattet hat, deren vereinigter Einsatz die Erfolgschancen - verglichen mit isoliertem Herumwursteln - deutlich erhöhen.

An sich ein vielversprechendes Thema, dem man ein paar tiefere Erkenntnisse, wenigstens aber unterhaltsame Überlegungen abgewinnen können sollte. Nicht so Frau Höhler. Sie verschenkt ihr Sujet auf eine Art, die dem Verleger die Nackenhaare steilstellen müßte. Gleichwohl verkauft sich das Buch gut, wie der wöchentlichen Sellerliste des Spiegel zu entnehmen ist. Und es spricht einiges dafür, daß gerade die spezifische, gertrud-höhlerhafte Machart des Werkes, die den Verleger eigentlich um den Schlaf bringen müßte, ursächlich für den Verkaufserfolg ist.

Wie sieht sie denn aus, die spezifische Prof.-Dr.-Gertrud-Höhler-Art? Legen wir dem geneigten Leser zunächst Anschauungsmaterial in Form eines typischen Statements vor:

'Probleme beherrschen, statt von ihnen beherrscht zu werden, das ist die männliche Variante. Probleme verstehen, um sie lösen zu können, das ist die weibliche.’ (S. 21)

Das Zitat besitzt eine gewisse Prima-facie-Eingängigkeit. Solange man nicht genauer hindenkt (und das ist generell wenig empfehlenswert bei diesem Buch), fühlt man sich von der sloganhaften Pointiertheit der Behauptung irgendwie angezogen und zur Zustimmung genötigt. Schließlich liefert sie ein ebenso einfaches wie elegantes Erklärungsmuster für Verhaltensunterschiede der Geschlechter. Und die interessieren immer. Man hat spontan das Gefühl, die Welt an dieser Stelle besser zu verstehen.

Bedauerlicherweise beruht das schöne Gefühl auf einer sprachlichen Unsauberkeit, deren man sich erst, wie gesagt, bei genauerem Hindenken bewußt wird: Frau Professor versäumt es nämlich anzugeben, wie sie das Wort 'beherrschen' verstanden wissen will. Damit gilt automatisch die landläufige Version, die, wenn ich nicht irre, darin ein Handeln sieht, mit welchem jemand bestimmte Umstände in seinem Sinne zu beeinflussen, zu steuern vermag. Dieses Steuern gelingt aber nur, wenn dieser Jemand die Umstände, um die es ihm geht, 'versteht', also etwa weiß, wo er wie einwirken muß, um ein gewünschtes Resultat zu erzielen.

Gemäß dieser Kurzanalyse haben 'beherrschen' und 'verstehen' einen weitgehend identischen Bedeutungshof. Damit löst sich das Höhler-Statement, das beide Begriffe so gegeneinander schneidet, als seien sie ihrem Wesen nach Antonyme, in Wohlgefallen, das heißt, in schlichten Unsinn auf. Man muß vermuten, daß diese Tatsache der Verfasserin nicht bewußt ist. Würde sie andernfalls dergleichen zu Papier bringen? Kaum. Ob nun Konzentrations­schwäche aufseiten der Autorin ursächlich für den Lapsus ist oder mangelndes Sprachvermögen - in beiden Fällen bleibt festzuhalten: Die Frau Professor weiß offenbar nicht, was sie von sich gibt. Wie soll es da der Leser wissen?

Doch selbst wenn es sich bei dem obigen Zitat um eine vernünftige Äußerung handelte (um eine also, die sich nicht schon aus sprachlogischen Gründen selbst zu Fall bringt), dann wäre die Verfasserin noch lang nicht aus dem Schneider. Sie müßte sich nämlich fragen lassen, woher sie ihre Weisheiten bezieht. Kann sie auf Untersuchungen verweisen, die belegen, das Männer anstehende Probleme grundsätzlich so und Frauen grundsätzlich anders behandeln? Und welche Probleme eigentlich genau? Oder kann man vielleicht nur tendenzielle Aussagen treffen, die ein erwartetes Verhalten mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit vorhersagen? Gibt es, mit anderen Worten, Frauen, die sich männlich und Männer, die sich weiblich verhalten im Sinne der aufgestellten Behauptung? Wenn ja, was gäbe die Unterscheidung nach Geschlechtern erkenntnismäßig dann noch her? Usw., usf.

Solche differenzierenden Betrachtungen meidet Frau Höhler wie der Teufel das Weihwasser. Aus gutem Grund: Ihre schwachbrüstige Hypothese würde haltlos in sich zusammensinken. Sie würde einräumen müssen, daß die Welt um eine Quantité non-négligeable komplexer ist, als ihr simpel gestricktes Erklärungsmuster es glauben machen will. Der Auftritt als Wisserin von Gottes Gnaden, den sie so schätzt, ginge cum paucis trompetibusque in die Hosen.

So viel zur Analyse des obigen Zitates. Übertriebener Aufwand für zwei Zeilen eines Buches, das 293 Seiten enthält? Ich meine nicht, denn das Traktat der Frau Professor ist gespickt mit derartig verschwommenen Aussagen. Indem ich eine einzige auf Herz und Niere prüfe, erspare ich dem Leser viele andere Untersuchungen mit immer demselben Ergebnis: Inhaltsleeres Gefloskel, das omniszient daherkommt!

So wenig Gnade das angeführte Zitat vor unseren Augen findet, es gehört noch zu den Highlights dieser Schrift. Immerhin gelingt es ihm, sich beim unaufmerksamen Leser für Augenblicke wenigstens den Anschein einer 'sinnvollen' Bedeutung zu erschleichen. Über weite Strecken jedoch sind die Seiten mit sprachlichem Abraum gefüllt, dem nicht einmal dieses kümmerliche Los beschieden ist. Einige repräsentative Exempel sollen dem Leser dieser Zeilen nicht vorenthalten werden:

'Ziele setzen, um Aggression und Fürsorge in die Balance zu bringen - das fordert Freiheit. Sie ist durch Neugier und Machthunger ständig bedroht. Aber sie wird auch immer wieder erobert, sonst könnten wir nicht überleben.’ (S. 16)

'[Die Frau] wird dann Männern die Sprengkraft beweisen können, die das Steinzeitprogramm in den Köpfen entwickelt, wenn man nur mit Zensur vorgeht, statt die explosive Energie aus der Zeit der Raubtierbegegnungen produktiv, nicht destruktiv zu nutzen.’ (S. 18)

'Ideologische Polemik gegen männliche und weibliche Eroberungen oder Platzanweisungen im eroberten Terrain wirkt fast wie überflüssiges Beiwerk, wenn man sich auf die schöne Entsprechung von 'Nutzen' und 'Sinn' einläßt, wie sie im natürlichen Zusammenspiel von männlichem und weiblichem Versprechen und seiner Einlösung abläuft.’ (S. 27)

'Menschen spüren sehr genau, daß sie nicht mehr ohne weiteres 'aufgehoben' sind in Abläufen, auf deren Bekömmlichkeit sie sich verlassen könnten. Daher die Anstrengung des Verstehens, mit dem wir uns zu den Ursprüngen unseres vielfach überlagerten und gestörten Verhaltens zurücktasten.’ (S. 27)

'Die kluge Frau, den Umgang mit Männern gewohnt, versteht die Faszination (die Macht auf Männer ausübt; d. V.) und erlebt genußvoll, daß sie sie für sich außer Kraft setzen kann. Sie kam mit mehr Optionen zur Welt und muß nicht mehr wählen: Sie hat sie. Bald erfährt sie, wieviel von diesem ungeheuren Vorteil sie Männern zurückgeben kann. Damit ist ihr Unterlegenheitsproblem dann endgültig erledigt. (S. 293)


Das Freundlichste, das man über solche Äußerungen sagen kann, ist noch, daß sie stilistisch verunglückt und deshalb schwer verständlich sind. Was man eigentlich sagen müßte, wenn man nicht von Natur aus zu höflich gegen eine reifere Dame wäre, ist: Hier strandet der wißbegierige Leser an den Gestaden der Sinnlosigkeit ohne die leiseste Aussicht auf Rettung. Verschwurbelte Abhandlungen wie die vorliegende, noch dazu von einer Literaturprofessorin dargeboten, werfen die deutsche Denk- und Sprachkultur Lichtjahre weit hinter die Gebrüder Grimm zurück.

Die Würdigung eines Gedankengebäudes als Ganzes, das aus solchen luftgefüllten Bausteinen errichtet ist, erübrigt sich natürlich. Das Ganze ist hier nicht mehr als die Summe seiner buchstäblich nichts sagenden Teile. Auch der Rezensent hat eine Ehre im Leib. Seine Einsatzbereitschaft findet dort ihre Grenze, wo halbseidene Populärwissenschaft in reinen Sprachmüll übergeht. Der Professorentitel der Frau Höhler muß aus jenen glücklichen Tagen stammen, da man denselben noch auf Benefiz-Veranstaltungen für notleidende Möchtegern- Intellektuelle per Tombola gewinnen konnte.

Bleibt am Schluß die Frage: Wie kommt es, daß die Bücher dieser Verfasserin eine nicht unerhebliche Verbreitung finden? Es muß jede Menge Leute in diesem Land geben, die statt eines bestimmten Themas nur die Begleitumstände interessiert, unter denen es präsentiert wird. Hier immerhin eine Frau Professor, blond, nicht unapart, die als heldenhafte Einzelkämpferin in der feindlichen Männerwelt das Banner des schwachen Geschlechts mit geradezu männlicher Chuzpe hochhält. Das finden sie klasse, die Leser. Da kommt es ihnen auf die Ausführung der Heldentat im Detail gar nicht mehr an. Hauptsache, der gute Wille ist erkennbar und die Pose ordentlich jeanne-d’arc-haft.

Oder soll man vermuten, daß die Käufer dieses Buches allesamt Versehrte der Kohl-Republik sind, in welcher - von höchster Stelle betrieben - sprachliche Verwaschenheit übelster Art in nie dagewesenem Ausmaß Eingang in den öffentlichen Diskurs gefunden hat, und die Leute nun in einem bodenlosen Kauderwelsch wie dem obigen eine vollkommen akzeptable Präsentationsform für Gedanken sehen, die die Verfasserin gar nicht hat?
Salute!


Tabes Dorsalis





AUSGABE 4    Dezember 2000


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