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Magazin für Verrisse aller Art     Archiv

Herausgegeben von Dieter Conen & Hadi Eberhard

   




AUSGABE 4    Dezember 2000


Über Bildeuphemismen


Der geneigte Leser führe sich gütigst folgende drei Abbildungen vors innere Auge:

1. Eine strahlende, gepflegte ältere Dame im eleganten Nachtgewand, der sich eine jüngere Frau liebvoll lächelnd zuwendet. Das Bild könnte eine Angehörige der höheren Stände samt ihrer Gesellschafterin bei Entgegennahme einer freudigen Botschaft zeigen. Es handelt sich aber um eine Szene aus einem Altenheim: Die Insassin in der Obhut der Pfegerin.

2. Ein Mann um die 40, eine Frau Ende 20, auf dem Tennisplatz in Sportbekleidung, beide das, was man 'attraktiv' nennen würde: Er hebt sie, vielleicht im Überschwang des gewonnenen Matches, vielleicht in Vorfreude aufs Après-Tennis, über das Netz. Die Abbildung könnte aus einem livestyligen Fernreisekatalog stammen: Club Med bietet da und da sportliche Ertüchtigung samt Gelegenheit zum Flirten an. Wir haben es indessen mit der Illustration zu folgendem Text zu tun: "Bei einer spontanen Aktion, wie dem Hochheben, hält der Schließmuskel dem Blasendruck nicht stand."

3. Ein Managertyp im Business-Dress, schätzungsweise Anfang 40, der hochkonzentriert in ein Handy spricht und dabei den Knoten seiner Krawatte lockert, als wolle er sich in einem heißen Zimmer ein wenig Kühlung und Luft verschaffen. Ist hier ein Yuppie abgelichtet nach dem gelungenem Ausstieg knapp vor dem großen Börsencrash - puh, das war knapp? Mitnichten. Wir sehen den Träger eines Herzschrittmachers, der sich mit dem Handy selbst in Gefahr bringt. Fehlfunktion der sensiblen Mechanik durch die Funkwellen des schicken Telefons.

Alle drei Fotos stammen aus der Mitgliederzeitschrift einer großen Krankenkasse und sollen drei Aspekte der Alltagswirklichkeit des deutschen Gesundheitswesens beleuchten. Da lachen die Hühner! Denn mit der Alltagswirklichkeit - wie jeder sie kennt oder von ihr gehört hat - haben diese Bilder nichts gemein.

Nun verlangt kein Mensch von einer Krankenkasse, dass sie gerade mit den übelsten Fällen eine Marketing-Kampagne für ihre Produkte versanstaltet: dem volldebilen Mümmelgreis, den starkarmige Pfleger nur mit Gewalt aus den eigenen Exkremten zerren können; der Tatter-Oma am Stock, deren Klauenhand entsetzt an die Brust fährt, als ein Jungdynamiker mit gezücktem Handy an ihr vorübertrabt; dem verwahrlosten Bettnässer, der nach jahrelanger Schließmuskelschwäche sozial isoliert und depressiv geworden ist. Solche Fotos müssen nicht unbedingt in ein Kundenblatt hinein. Fürs Image der Institution wäre das zweifellos ungünstig. Und Image entscheidet über Kundensympathie oder -antipathie und damit über Zulauf respektive Abwanderung.

Es stellt sich indessen die Frage, ob die gewählte Beschönigungsstrategie wirklich besser für das Ansehen der Institution ist als es wahrheitsgetreuere Abbildungen wären. Zunächst beleidigt diese Bebilderung sie ja schlicht und einfach den gesunden Menschenverstand. So ist es nicht! - das weiß ein jeder. Soll ich veralbert werden oder was?, fragt der Betrachter. Oder hat der Verein etwas zu verbergen, weil er gar so übertrieben auf die Blendax-Tube drückt?

Und genau da liegt die Tücke des PR-Ansatzes. Er produziert ein Phänomen, das in der Psychologie unter dem Begriff 'Boomerang-Effekt' bekannt ist: Aus dem grotesken Maß, in welchem hier aufgeschönt wird, schließt der Betrachter spontan auf schauerliche Realzustände rück, die mittels Hochglanzfassade dem Blick entzogen werden sollen. Der SuperGAU fürs Image! Nach derselben Logik möbeln ungepflegte Leute ihren unangenehmen Körpergeruch auf: je stinkerter, desto parfümiger - mit infernalischem Ergebnis.

Aber wird hier, fragt man sich weiter, tatsächlich nur kühl ein wohlüberlegtes Werbekonzept in die Tat umgesetzt, das den mutmaßlichen Prädispositionen der Kundschaft entgegen kommen soll ('von Alter und Krankheit wollen die Menschen nichts wissen, also ersparen wir ihnen das')? Mich beschleicht der Verdacht, dass die Kassenmanager selbst diese beiden betrüblichen Aspekte des menschlichen Daseins mindestens ebenso verabscheuen, wie sie es ihren Schäfchen unterstellen. Grund dafür könnte der Hochmut der jungen Jahre sein; der Herr Direktor, ebenfalls abgebildet, schaut aus wie Mitte 40. Oder eine spießbürgerliche, meister-propper-fixierte Erziehung, die sich vor allem ekelt, was der Haltbarkeitsgrenze nahe kommt oder sonstwie außer Funktion zu geraten droht. Oder auch die Beschämung darüber sein, es im Leben nicht weiter gebracht zu haben als bis zur Verwaltung von Siechtum und Gebrechen. Da muß die Wirklichkeit dann aufgebessert werden.

Wie dem auch sei, die Kommunikationsstrategie der Krankenkasse ist jedenfalls ein massiver Affront gegen die Betroffenen, die Alten und Kranken. Sie werden, quasi im Vorübergehen, zu Aussätzigen erklärt, von denen man nicht reden und die man im Bild nicht bringen darf. Ihr Recht auf Kranksein und Altwerden wird ihnen implizit abgesprochen. Und viel Phantasie braucht der Betrachter nicht, um den Vorwurf zu erwittern, der unterschwellig in all dem steckt: 'Was immer in dieser Republik finanzmäßig im Argen liegt' (und nur auf die Finanzen kommt es an, wie der geistig-moralische Wenderiese Helmut K. in diesen Tagen vorführt) - 'ihr marodes Pack tragt die Schuld daran!'
"Die Würde des Menschen ist unantastbar", haben die Vorväter ins Grundgesetz geschrieben. Man beachte den listigen Konjunktiv: 'Würde ...'!


Isolde Nöle-Nörgelbein/ Vertigo Vomex M.A.





AUSGABE 4    Dezember 2000


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