Volk ohne Traum

Ein Statement
von Uve Schmidt |
Roter Westen
»Es
wäre uns zu wenig, die Bundesregierung nur kritisch zu begleiten.
Wir wollen das Land wirklich verändern!«
Gesine Lötzsch am 15.Mai 2010 in Rostock
Wenn die griechischen
Kommunisten heuer demonstrieren (bevorzugt in Athen und immer möglichst als
Vorhut des allgemeinen Protestes), dann marschiert in den ersten Reihen stets
ein geschlossener Block kräftiger Bannerträger, deren handtuchgroßes rotes
Fahnentuch an kurzen, kinderarmstarken Stangen befestigt kaum verhehlt, dass die
Vorkämpfer der Volksfront als Knüppelgarde auftreten: Unvermummt, klassenbewußt
und mehrheitlich keine Jugendlichen, sondern womöglich werktätige Familienväter.
Ebenso präsentierten sich am Wochenende vor Pfingsten die Delegierten des
Bundesparteitags der Linkspartei in Rostock, natürlich ohne beflaggte
Schlagstöcke unter den Tischen, und wenn die TV-Kamera über die Gesichter der
Männer und Frauen strich, dann einte diese Versammlung ein unverkennbarer
gemeinsamer Ausdruck. Vor zehn Jahren wäre es noch möglich gewesen, die
Anwesenden zu unterscheiden in Ost- und Westdeutsche vermittels modischer
Merkmale, diesmal waren die einzelnen artifiziellen Anhaltspunkte gleichsam
aufgegangen in einer Vielzahl sozialrevolutionärer Physiognomien, proletarischer
Prototypen und idealistischer Charakterköpfe, an denen die einstige DEFA und die
Adlershofer Fernsehstudios ihre helle Freude gehabt hätten. Da DIE LINKE sich
nicht selbst abfilmt(e), kann davon ausgegangen werden, dass ARD und ZDF sich
bei ihren Schwenks etwas gedacht hatten; dass die Partei ihre Mitglieder und
Funktionäre nicht nach Kriterien der Telegenität auswählt, wohl aber
augenscheinlich nach gewissen Affinitäten, welche in den Gesichtsschädeln der
Genossen & Genossinnen sich stärker und eindeutiger ausprägen und mitteilen als
„die parlamentarischen Pappnasen der Reaktion“ (Tucholsky), darf vermutet
werden. Geht man davon aus, dass die Masse der professionellen Parteigänger des
etablierten Spektrums vor allem ihre Karriere zu „gestalten“ trachtet, statt die
Neugestaltung der Berliner Republik voranzutreiben und dem Rest der Welt die
Morgenröte der Menschheit zu verheißen, bin ich geneigt, an den
Überzeugungs-Ethos der LINKEN zu glauben und damit an ihre legitime Sendung im
Wählerauftrag. Auf längere Sicht scheint es eh keine andere Alternative zu
geben, denn allgemeiner Konsens ist, dass „etwas geschehen muss“, doch was
genau, wollen die verantwortlichen Politikgestalter weder hören, noch selbst
gesagt haben, und bei dieser armseligen Gesichts- und Geschichtsverweigerung
wird es bleiben. Bis etwas geschieht, nämlich der Fortgang des Fiaskos
zweiter, dritter und letzter Teil.
Als meine Mutter mir (im Juni
1948) die Sparbüchse stahl, um deren Inhalt mit anderen unvergleichlich höheren
Barmitteln auszugeben für Hamsterkäufe und teure Anschaffungen, wusste sie, dass
eine Währungsreform bevorstand und ich mir den geplanten Privatkauf einer
kompletten Karl-May-Ausgabe an’s Tirolerhütchen stecken konnte, da Mutter meine
Piepen (ca. 350 RM) für mich in Kunstbänden angelegt hatte. Ob ich damals
verstand, was es mit einer Währungsreform auf sich hat, weiß ich nimmer, doch
erinnere ich noch lebhaft die gegenseitigen Vorwürfe der Ost- und Westsender
(RIAS) „mit dem neuen Geld den Graben der Spaltung Deutschlands vertieft und
einen Handelskrieg entfesselt zu haben“, wobei wir (der Sowjetblock) nichts zu
befürchten hatten, denn „die Banken und Produktionsmittel gehören dem Volk und
der Rubel ist gedeckt von den größten Goldvorkommen der Erde, da können die
Börsen in London und New York krachen, wie’s beliebt!“ (Albert Norden). So
beschlich mich die Furcht vor einer Weltwirtschaftskrise auch später nicht, als
ich mein erstes Westgeld verdiente und auf einen Plattenspieler sparte; solange
die Westmächte den Kalten Krieg gewinnen wollten mit atomarer Hochrüstung und
fortdauernder Prosperität in Freiheit, mussten sie zumindest in den
wichtigsten Industriestaaten Europas einen Wohlstand sicherstellen, welcher der
politischen Linken dieser Länder keine Argumente bot, demokratisch die Macht zu
erlangen, was insbesondere die romanischen Eurokommunisten betraf, bis sich die
Prophezeiung meines oberschlesischen Großvaters erfüllte: „Wenn den Russen die
Puste ausgeht, steigen die alten Blutsauger aus ihren Grüften!“ Er meinte eine
legendäre Verkörperung des Manchesterkapitalismus; wir blicken derzeit den
Tatsachen in die blutunterlaufenen Augen. Ich denke, dass die LINKE natürlich
auch rechnen können muss, denn mit beflaggten Besenstielen kann man weder die
Wahlen, noch einen Bürgerkrieg gewinnen, und Unterstützer wie seinerzeit für den
Nationalrevolutionär A.H. stehen ehestens noch den Sozis und den GRÜNEN zu
Diensten. So stellt sich die politische Gretchenfrage brennender denn je: Rot
oder tot?!
Sache ist, dass die Linken weltweit keine nennenswerte Internationale und
kein Moskau mehr haben und deshalb das Anwachsen ausdrücklich
antikapitalistischer und antiimperialistischer (recte antiamerikanischer)
national-sozialistischer Regime und Volksbewegungen weiterhin absehbar ist,
und diese werden weiterhin miteinander taktieren und paktieren, solange die
sozialen und ökologischen Probleme nicht ansatzweise gelöst sind und die Welt
konkurrenzfreier Zusammenarbeit in Geschwisterlichkeit bedarf – ein ewiges Werk.
Die G 8-Staaten können dieser Solidarität entraten, sie kooperieren auf der
Ebene mafioser Strukturen mittels wechselseitiger Nötigung und Erpressung, wobei
militärischer Druck sich auf Rüstungsgeschäfte und Stellvertreterscharmützel
beschränkt. Fest steht ferner, dass die USA, China, Russland, Indien und diverse
Schurkenstaaten von nicht geringem Liebreiz und erheblichen Stärken eher einen
nuklearen Fallout hinnehmen und ökologisches Roulette spielen, als entscheidend
zur Weltrettung beizutragen und damit zur Konsolidierung friedenstiftender Akte,
da die UNO wahrlich nur das Papier wert ist, auf dem ihre hehren Absichten und
Beschlüsse festgehalten sind, ohne umgesetzt zu werden in unabweisbare
nachhaltige Aktionen, welche die Überbevölkerung stoppen, den konsumistischen
Amoklauf der Zivilisationsfolger bremsen, Raubbau und Artenvernichtung beenden
sowie weltweit die Wasserversorgung und Grundschulbildung gerecht gewährleisten.
Um die Erhaltung der Lüneburger Schneelilie mag sich der dortige LIONS CLUB
kümmern, um die thailändischen Nutten die Evangelische Frauenhilfe…
In der DDR ist der reale
Sozialismus u.a. deshalb gescheitert, weil die diplomatische Anerkennung eines
sogenannten Arbeiter- und Bauernstaates nicht das Überleben eines völkischen
Torsos garantiert, gleich gar nicht in einer feindlichen Umklammerung. Ich
glaube weder an die Weltrevolution, noch an den Messias, doch dass DIE LINKE
ihre supranationale historische Chance erkennt, bezweifle ich nicht; die Frage
ist nur, wie weit man sie kommen lässt. Die deutschen Neonazis sind keine
existenzbedrohenden Gegner, wohl aber das wachsende Potential ihrer
antifaschistischen Strassenkampfkontras, die nicht nur den Rechten, sondern auch
den Rechtsschützern gewaltsam Paroli bieten. Mit den Ultras der Antideutschen
gefangen zu werden, könnte DIE LINKE an den Karlsruher Galgen bringen, noch
bevor ein einziges wirksames Antispekulationsgesetz zur Anwendung gelangt.
Vorsicht vor falschen Freunden ist ein Gebot der politischen Praxis, nicht der
ideologischen Frömmelei. Es kann nur eine Linke geben, die das Rechte tut.
P.S. Dass DIE LINKE sich nicht hinter den
Bundespräsidentschafts-kandidaten der Opposition stellen wollte, missfiel
sofort; das Argument, Gauck sei „ein Mann der Vergangenheit“ war hanebüchen, im
Hinblick auf seinen manifesten Antikommunismus jedoch verständlich, aus Sicht
der SED-Erben. Stattdessen die fast 75jährige Luc Jochimsen, eine absolute
Altlast der Fernsehfrisierkunst, auf den Adlerschild zu heben, markiert freilich
die linke Auffassung (siehe Sodann), das Amt eigne sich bestenfalls für
Clownerien…
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