Geschrieben am 15. April 2016 von für Crimemag, Kolumnen und Themen, News

Bloody Questions: Simone Buchholz

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Simone Buchholz

von Marcus Müntefering

– Was die Hamburger Krimi-Schriftstellerin Simone Buchholz angeht, bin ich etwas befangen. Wir leben beide in Hamburgs trotz aller Musicals, Oliver-Jones-Kieztouren und Kioskfusel-Sauferei attraktivstem Stadtteil, in St. Pauli. Wir kennen uns (erstaunlicherweise erst seit Kurzem) und mögen uns. Deshalb wäre jede Lobhudelei auf das Schaffen von Simone zwar absolut verdient, aber ziemlich unangemessen.

Deshalb hier nur der Hinweis auf ihren neuen Kriminalroman „Blaue Nacht“, es ist der sechste, in dem die Hamburger Staatsanwältin Chastity Riley (Dieser Name! Klingt, als wäre sie eine Schwester von Modesty Blaise) sich durch die Hansestadt trinkt und liebt und natürlich ermittelt, und der erste seit Simones Wechsel zu Suhrkamp. Diesmal kümmert sich die engagierte (und natürlich gar nicht keusche) Chastity, um den Fall eines Prügelopfers, der sich zu einer ziemlich komplexen Angelegenheit ausweitet. Ach, was soll man viel erzählen, sollte man unbedingt gelesen habe, finde nicht nur ich, sondern meint auch Elmar Krekeler in seiner hübschen Kritik für die Welt:

Und da es wie immer in Simones Romanen auch um etwas geht, das die Lassie Singers einst mit „Leben in der Bar“ perfekt besangen, sei euch hiermit empfohlen, den sorgenbrecherischen Song dieser wunderbaren St.-Pauli-Band (okay, mit einem Fuß in Berlin) zu hören, bevor ihr die Bloody Questions lest, die Simone „live“ im Restaurant „Kuchnia“ (natürlich auf St. Pauli gelegen) beantwortet hat, bei Russischen Eiern, Bier und Wodka:

  • Haben Sie je darüber nachgedacht ein Verbrechen zu begehen oder gar schon mal eines begangen?

Außer ab und an ordentlich Drogen zu nehmen, habe ich nichts Böses getan, wahrscheinlich weil ich zu gut erzogen bin. Ich habe aber oft über Gewaltverbrechen nachgedacht, denn früher, als ich noch jung war, war ich das klassische Opfer, das auf der Straße festgehalten oder angegrapscht wurde. Wenn ich aus diesen Situationen raus war, habe ich oft darüber nachgedacht, was ich mit den Typen gern gemacht hätte. Mordfantasien hatte ich aber nicht. Inzwischen mache ich Kung-Fu und bin da entspannter.

  • Wer ist der schlimmste Schurke (oder der beste Bösewicht) der (Krimi)-Literaturgeschichte?

Ich mag Schurken, die ich auch lieb haben kann und bin ein großer Fan vom Räuber Hotzenplotz mit seinen sieben Messern, seiner Pfefferpistole und seiner Vorliebe für gutes Essen. Auch George Clooney als Jack Foley in der Elmore-Leonard-Verfilmung „Out of Sight“ mag ich gern dabei zuschauen, Böses zu tun.

  • Erinnern Sie sich an die erste Leiche in Ihren Romanen?

Das war in der Kurzgeschichte „Schweinheim“: Verena, eine Prostituierte, die von einem saufenden Polizisten ermordet wurde.

  • Die Beatles-oder-Stones-Frage: Chandler oder Hammett?

bullenpeitsche_simone_buchholz_krimiChandler, was wahrscheinlich mit Humphrey Bogart zu tun hat, ich weiß gar nicht mehr, ob ich „The Big Sleep“ zuerst gesehen oder gelesen habe. Chandler war einer der ersten Krimiautoren, die ich nach den „Drei Fragezeichen“ entdeckt habe, und ich war als junges Mädchen in Philip Marlowe verliebt. Den Typen, der seine wahnsinnig spitzen Schuhe auf dem Schreibtisch parkt und Rye trinkt. Was im Deutschen damals übrigens mit „Roggen“ übersetzt wurde, was ich verwirrend fand. Mir gefallen auch seine undurchsichtigen, holzschnittartigen Frauenfiguren, diese Femmes fatales. Ich mag es, wenn Leerstellen bleiben, und was Frauen angeht, trägt Marlowe ein großes Fragezeichen über dem Kopf.

  • Haben Sie schon mal einen Toten gesehen? Wenn ja, wie hat dies Ihr Leben verändert?

Meine Oma, aber da war ich noch klein. Und das war nicht mehr meine Oma.

  • Waren Sie jemals Zeuge eines Verbrechens?

Mir ist mal die Handtasche geklaut worden, aber das ist ja eher Dummheit als ein Verbrechen. Außerdem habe ich sie mir zurückgeholt, bin in High Heels hinter den beiden Jungs her und hab die so angebrüllt, dass sie die Tasche fallengelassen haben und losgerannt sind.

  • Gibt es irgendjemanden auf der Welt, dem Sie den Tod wünschen?

Nein. In der Schule haben wir eine Party gefeiert, als Franz Josef Strauß gestorben ist – ich war auf einem bayerischen Gymnasium, gab dann natürlich einen Verweis. Ich träume manchmal davon, dass all diese vollidiotischen, totalitären Staatslenker auf einmal aufhören würden, Scheiße zu bauen. Ich wünsche Ihnen nicht den Tod, aber so eine Art Gehirnfrostung. Und nach Ihnen dürften die Philosophen übernehmen…

  • Mit welchen Jobs haben Sie Ihr Geld verdient, bevor Sie vom Schreiben leben konnten?

Ich war Journalistin, unter anderem beim Frauenmagazin „Allegra“, und davor Kellnerin und sogar mal Zimmermädchen, was ich furchtbar fand – den Dreck von fremden Leuten wegmachen und ihre Betten aufschütteln.

  • Wenn Sie keine Krimis schreiben würden, was würden Sie stattdessen tun (wollen)?

Ich wäre Köchin, in einem kleinen Restaurant wie diesem hier, mit nicht mehr als zehn Tischen.

  • Hören Sie beim Schreiben Musik? Und falls ja, welche?

eisnattern_simone_buchholz_krimiNicht immer, aber wenn ich feststecke, höre ich Musik, immer den gleichen Song auf Repeat, eine Art musikalisches Hospitalisieren. Ich höre ganz viel Johnny Cash, manchmal Robert Palmer, Amy Winehouse… aber nie glatten Pop. Auf jeden Fall hat der Kriminalroman ganz viel mit Musik zu tun, mit Beat.

  • Schreiben Sie lieber tagsüber oder nachts? Zu Hause am Schreibtisch oder wo immer Sie gerade sind?

Tagsüber, zwangsläufig, weil ich ein schulpflichtiges Kind habe. Ich schreibe an meinem Schreibtisch und, wenn das Hamburger Wetter es zulässt, auf dem Balkon. Außerdem gibt es zwei Cafés, in denen ich immer wieder arbeite. Oder, wenn ich tagsüber nichts geschafft habe und mein Mann rechtzeitig zu Hause ist, setze ich mich auch gern am frühen Abend in die Kneipe. Nicht alles, was ich dann schreibe ist brauchbar, aber wie Hemingway mal gesagt hat: „Schreibe betrunken, lektoriere nüchtern.“

  • Gibt es Tage an denen Sie nichts Vernünftiges zu Papier bringen, und was machen Sie in so einem Fall?

Wenn gar nichts mehr geht, dann gehe ich spazieren und rauche eine Zigarette. Und schreibe dann halt am nächsten Tag. Oder am übernächsten…

  • Was passiert nach dem Tod, und was sollte passieren?

Nichts mehr, zumindest für mich. Für die, die zurück bleiben, wünsche ich mir so eine Art New-Orleans-Beerdigung, es soll Musik geben und bunte Regenschirme, und es soll durch die Straßen getanzt werden. Viel schlimmer als der Tod ist ohnehin das Sterben, das macht mir mehr Angst.

  • Verbrechen und Bestrafung: Was halten Sie von der Todesstrafe?

Es gibt diesen Satz von Amnesty International, der geht etwa so: Warum töten wir Menschen, die Menschen getötet haben, um zu zeigen, dass das Töten falsch ist? Das würde ich genau so unterschreiben. Ich finde es aber auch merkwürdig, dass Leute, die jemanden umgebracht haben, nach sieben oder acht Jahren wieder draußen sind. Die sollen schon richtig brummen und sind oftmals im Knast ganz gut aufgehoben. Aber trotzdem: Ein Staat, der Leute umbringt, ist kein Rechtsstaat. Indiskutabel!

  • Ihr Kommentar zu dem Bert-Brecht-Zitat „Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank“…

Ein wahrer Satz. Die Bank steht für den Kapitalismus. Und der Kapitalismus ist ein menschenverschlingendes Monster.

  • Was soll auf Ihrem Grabstein stehen?

So richtig Punkrock ist das jetzt nicht.

Die bisherigen „Bloody Questions“ von Marcus Münterfering sind auf seinem Blog „Krimi-Welt“ zu finden.
Geantwortet haben bisher:

Lawrence Block (13)
Karin Slaughter
(12)
Val McDermid (11)
Joe R. Lansdale (10)
Bill Moody (9)
Wallace Stroby (8)
Robert Brack (7)
Lauren Beukes (6, Teil 1 und Teil 2)
Richard Lange (5)
Zoë Beck (4)
Sam Millar (3)
Declan Burke (2)
James Lee Burke (1)

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