Geschrieben am 1. August 2020 von für Crimemag, CrimeMag August 2020

Ein Torero, Hemingway, Bataille und der Zufall

Tod am Nachmittag

Alf Mayer über „Granero. Leben – Lieben und Tod eines Toreros“

Solch ein Buch entsteht nicht am Reißbrett, so viel Herzblut fasst kein Tintenfass, so viel Kenntnis keine schnelle Googlesuche. Ein Zufall, zwei lebenslange Faszinationen und viel Wissen um kulturgeschichtlichen Hintergrund kommen hier zusammen und ergänzen zu einer Perle von Buch. Doch der Reihe nach.

Leidenschaft Eins: Torodora Gorges, Pseudonym einer Frankfurter Psychoanalytikerin, ist in Spanien bekannter als in Deutschland. Sie war dort Stargast in Talkshows, weil sie eine weithin gefeierte Biografie von Morante de la Puebla, des größten lebenden Toreros vorlegte – auf Spanisch –, ihn darin als exemplarischen Künstler begriff und definierte, als Vertreter einer kulturellen Botschaft, in der die Tradition der spanischen „Fiesta Nacional“ als eine Bereicherung für Gesamteuropa verstanden wird. Torodora Gorges, um es klar zu sagen, ist keine Gegnerin von Stierkämpfen. Im Gegenteil, schon sehr oft ist sie dafür eigens nach Spanien geflogen. Und sie kann auch erklären, was es mit dem „duende“ auf sich hat, jenem Begriff für einen erhöhten Zustand der Emotion, Ausdruck und Authentizität, der oft mit dem Flamenco verbunden wird, aber auch in der Tauromachie eine wichtige Rolle spielt. „Stierkampf“ findet sie ein plumpes und ungenaues Wort. Sie sagt dazu:

„Diese ritualisierte Auseinandersetzung zwischen Mensch und Tier mit dem deutschen Begriff „Stierkampf“ („bullfight“ im Englischen) zu definieren, ist völlig unangebracht, ja irreführend. Im Herkunftsland der Tauromachie, in Spanien, sowie in Ländern romanischer Sprache findet sich keine Entsprechung dafür. Synonyme im Spanischen sind: el toreo (nicht zu verwechseln mit torero, dem Akteur) – la corrida de toros – la fiesta de toros – la fiesta brava, und – obwohl es schon längst eine breite internationale Anhängerschaft gibt – wird das Fest zur Feier der Stiere von den konservativen spanischen Aficionados weiterhin gerne als fiesta nacional bezeichnet. Aber immer geht es im toreo um den toro, ihn gilt es zu feiern. Denn es geht um Kunst, nicht um Kampf . „El toreo es un arte, no una lucha…“, lautet das von der Afición immer wieder neu beschworene Credo.“

Nun der Zufall: Ein kleines schmales Büchlein im Oktavheft-Format, vergilbt und verschlissen, 1922 in Madrid erschienen, in einem Antiquariat in Sevilla gefunden. Auf dem Titel ein junger Mann im Anzug. In Rot die Überschrift: GRANERO, EL ÍDOLO. Dazu die Unterzeile „Vida, amores y muerte del gladiator“ – Granero, das Idol. Leben, Amouren und Tod des Gladiators. Verfasst von zwei Journalisten namens El Caballero Audaz und Juan Ferragut. Der Text tendenziell auf dem Niveau eines Groschenheftes. Heute: ein authentisches Dokument. Torodora Gorges hat es in Deutsche übersetzt. Ihr äußerst kenntnisreiches Vorwort ordnet uns den Zufallsfund ein, denn er ist bedeutsam. 

El Meastro Granero © bibliotecavirtualmadrid – Wiki-Commons

Der Hintergrund: Das Heftchen bediente damals mit der kurzen Lebensgeschichte und den ersten Erfahrungen in Liebesangelegenheiten des Toreros Granero die Neugier des Boulevards. Am 4. April 1902 in Valencia geboren, wurde er am 7. Mai 1922, einem sonnigen Sonntag, von einem Stier in der Plaza de Toros in Madrid getötet. Er war bei seinem Tod zwanzig Jahre, einen Monat und drei Tage alt. Bei der Schilderung der dramatischen Umstände seines Todes sparen die Autoren nicht mit eindrucksvollen Details des Grauens. Gorges: „Das brutale Geschehen traf die Zuschauer wie ein Naturereignis. Die Reaktionen des Publikums bewegten sich zwischen gellendem Entsetzen und stummer Fassungslosigkeit. Zeitgenössische Schriftsteller setzten sich in der Folgezeit literarisch mit den verstörenden Gefühlen und Phantasien auseinander, von denen die Augenzeugen dieses Grauens verfolgt wurden. Unbewusste Assoziationen von bizarr irritierender Qualität löste insbesondere das Detail vom Verlust des Auges durch das Eindringen des Stierhorns aus.“

Und nun der Clou: Einer der Augenzeugen dieses Tages war Ernest Hemingway, der Graneros Tod als Zuschauer miterlebte. In seinem Buch „Tod am Nachmittag“ beschreibt er diese Szenen. Und eben dieses in höchste Erregung gesteigerte Erleben von Furcht und Schrecken machte der Franzose George Bataille 1928 in seiner Novelle „L’Histoire de l’œil“ („Die Geschichte des Auges“, enthalten im 1972 bei Rowohlt erschienenen Band „Das obszöne Werk“) zum Thema. 

Leidenschaft Zwei: Es gibt wenige Autoren, die sich mit den bildhaften Erscheinungsformen des Eros so durchgängig beschäftigt haben wie Hans-Jürgen Döpp, der zweite Autor dieses Buches (und Lebensgefährte von Torodora Gorges). Er sammelt seit 40 Jahren auf dem Gebiet der erotischen Kunst, hat viele Ausstellungen im In- und Ausland arrangiert, war maßgeblich verantwortlich für den Aufbau des Erotik-Museums in Berlin, das er bis 2000 kuratierte. Ist Autor einer Vielzahl von Büchern zur erotischen Kunst, Ehrenprofessor am Lehrstuhl für erotische Kunst am Institut für Sexualwissenschaften, St. Petersburg. Eröffnete 2015 mit einem Sammlerfreund in Köln das Venusberg-Erotik-Museum und gibt eine eigene Buchreihe zur Erotischen Kunst heraus: www.venusberg.de

Seit nunmehr 30 Jahren arbeitet Döpp an seinem Bataille-Projekt, in dem er an Künstler, von denen er das Gefühl hatte, dass sie das Feuer eines Georges Bataille in ihren Fingerspitzen haben, Illustrationsaufträge für den kleinen Roman „L’Histoire de l’œil“ vergab. Für das Buch steuert er nicht nur den Text „Graneros Tod bei Bataille und Hemingway“, natürlich mit den entsprechenden Textstellen, er hat aus seiner Sammlung auch 15 Künstlerblätter zur Verfügung gestellt, u.a. von Lisa Zirner, Martina Kügler, Neithard Horn, Javier Gil, Edith Thiercelin, Yves Milet, Pilar Viviente und Willi Geiger. Zusammen mit zwölf zeitgenössischen Fotografien und Postkarten sind sie die Bildebene dieses sinnesfreudigen Buches. 

Bataille: „Granero unterschied sich von den anderen Matadoren insofern, als er keineswegs den Eindruck eines Schlächters machte, sondern den eines charmanten Prinzen, sehr männlich, wahrhaft hoch aufgeschossen. Das Kostüm des Matadors betont in dieser Beziehung noch die gerade Linie, das steif Aufgerichtete …“

Alf Mayer

  • Torodora Gorges und Hans-Jürgen Döpp (Hg.): Granero. Leben – Lieben und Tod eines Toreros. Mit einer Übersetzung von Torodora Gorges und Illustrationen aus der Sammlung Hans-Jürgen Döpp. edition de l`œil, Frankfurt 2020. 68 Seiten, 27 Abbildungen, 15,50 Euro. Bezug über: www.venusberg.de

P.S. Ebenfalls gerade in der edition de l’œil von Hans-Jürgen Döpp erschienen ist der von ihm herausgebene Band „Die Flöte des Dionysos. Das Erotische im zeichnerischen Werk von Martina Kügler“. Diese Künstlerin war ein Frankfurter Original, als sie im Dezember 2017 starb, hinterließ sie ein Werk von mehr als 30.000 Zeichnungen, das bei weitem nicht erschlossen ist. Döpp und Kügler waren befreundet, der Sammler gewährte der Künstlerin einen zensurfreien Raum. Sie war in der sexualliberalen Atmosphäre der 68er-Kulturrevolution aufgewachsen, genoss eine eigene, libertine Freiheit. Erotik blieb ihr auch in Zeiten ihrer Krankheit ein zentraler lebenserhaltender Antrieb. Den Aspekt des Erotischen aus Gründen des bürgerlichen Anstands aus ihrem Werk zu verbannen, verbietet sich für Hans-Jürgen Döpp. Aus den in seinem Besitz befindlichen Blättern hat er deshalb 100 Arbeiten ausgewählt. 
Es ist ein bewegendes, ein sehr freies und unzensiert schönes Buch geworden.

  • Die Flöte des Dionysos. Das Erotische im zeichnerischen Werk von Martina Kügler. edition de l’œil/ Verlag Tredition, Hamburg 2020.  Paperback, 140 Seiten, 109 Abb., viele in Farbe, 18,90 Euro.

Hans-Jürgen Döpp bei CulturMag:
Im TabuMag über Sexualität zwischen Tabu und Liberalisierung.
Nachruf auf einen kunstsinnigen Bordellbesitzer und Freund: Auf Erden ein Elysium.

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