
Franz Dobler: Ich will doch immer nur kriegen was ich haben will (Gedichte 1991 – 2020)
(AM) Am Anfang, sagt Franz Dobler in dem in diesem Buch enthaltenen – SENSATIONELLEN – Interview, das Herausgeber Manfred Rothenberger mit ihm geführt hat (Textauszug hier weiter unten), am Anfang wisse er nie, was in einem Text alles drinsteckt. Er fängt mit einem Bild an oder einem Moment, korrigiert, überarbeitet, schmeißt die Hälfte wieder weg, manchmal ist das Bild unscharf und er muss erst dahinterkommen, was da eigentlich alles drinsteckt. „Ah, ok, da hinten, das hab ich erst gar nicht so genau gesehen, das ist jetzt aber witzig. Da vorne ist die Beerdigungsgesellschaft und da hinten knutschen zwei.“
Worauf es bei Texten ankommt, das hat er unter anderem fünf Jahre lang in Augsburg im Jugendknast ausprobiert. Ehrenamtlich. Eigentlich dachte er, er gehe da hinein und dann würden sie zusammen Gedichte schreiben. Vierzeiler. Mehr wollte er gar nicht. Aber Pustekuchen. Auch an irgendwelche Aufsätze, warum bin jetzt im Gefängnis oder so, war nicht zu denken. Der Jugendarrest ist die unterste Stufe im ganzen Gefängnissystem, sagt Dobler, „da wird viel zu wenig getan, das ist der größte Mist, den der Staat baut, keine Bildung, kein Kümmern“. Also brachte er ihnen Texte, manchmal waren sie zu Fünft und es gab kaum Gespräch, manchmal waren sie fünfzehn und es flogen die Fetzen. „Es war nie einfach, aber immer total spannend. Ich selbst habe natürlich am meisten gelernt.“
Er lässt seine Gedichte vom Traktor überfahren oder von einem Truck, hängt sie wochenlang in den Rauchkamin oder zwischen zwei Bäume, schleift sie am Seil auf dem Motorrad durch die Prärie lässt sie im Regen liegen und im Schnee, in der Sonne und im Wind, lässt sie dörren, bis sie zum Knochenknacken kernig sind. Sie sie sind trocken wie Furz, feurig wie Mezcal, schön wie ein Sonnenuntergang mit Gold, und nach jedem will man ihm sofort einen ausgeben. Diese Lektüre macht glücklich. Ohne Wenn und Aber. – Claudia Denker von der Buchhandlung Chatwins in Berlin-Kreuzberg beschreibt es so:
Buchhandlungen in Berlin dürfen auch während des Lockdowns öffnen, weil sie »geistige Tankstellen« sind, »Lebensmittel«, das versteht man erstrecht, wenn man den neuen Gedichtband (den mit den vielen Geschichten) von Franz Dobler in den Händen hält. Der gehört in jede Wohnung, muss allzeit griffbereit sein wie Pfeffer und Salz. Auch wichtig: jede Person des Haushalts braucht ein eigenes Exemplar! Niemals würde ich meins verleihen. Einmal vor dem Schlafengehen irgendeine Seite aufschlagen. Außerdem muss ich doch noch mal nachsehen … wo war nochmal die Stelle mit dem nervigen Jungen im Zug? Der den Apfel nur geschält essen wollte? Und dann das Messer … »Zzzck« … muss man doch jederzeit nachschlagen können (S. 77).
Danny Dziuk, „der Große im Hintergrund“ (FAZ), Berliner Autor, Komponist, Sänger, Arrangeur und vieles mehr, hat für uns ein Dobler-Gedicht vertont:
Kommt dazu, dass „Ich will doch immer nur kriegen, was ich haben will“, eines der wertigsten Bücher ist, die ich in letzter Zeit in die Hand bekam. Von Schleunungdruck in Marktheidenfeld hergestellt und massiv gebunden, von Timo Reger gestaltet, das Papier zum Verlieben schön und schwer: Fly weiß, 120 g/Quadratmeter, die Schrift kurz vor Gesetzestafel (Alda), und dann noch die unerschrockenen Fotografien von Juliane Liebert. Verleger Manfred Rothenberger, dessen starfruit Verlag zu den innovativsten Bayerns, quatsch, der Republik gehört, verdient mit diesem Buch einen Preis. .
Franz Dobler: Ich will doch immer nur kriegen was ich haben will. Gedichte 1991 – 2020. Herausgegeben von Manfred Rothenberger. Gestaltung: Timo Reger. Mit Fotografien von Juliane Liebert. starfruit, Nürnberg 2020. Hardcover, 47 s/w-Abbildungen, 288 Seiten, 25 Euro. – Verlagsinformationen hier.
Thomas Wörtche bei uns über Franz Doblers „Ein Schuß ins Blaue“ und „Ein Schlag ins Gesicht“, Roland Oßwald über „Ein Bulle im Zug“.
Und hier nun drei Auszüge aus dem Buch:

EIN TAG, AN DEM ICH VIEL GELERNT HABE
Im Bundesamt für Migration
und Flüchtlinge in München
zähle ich dreizehn Security-Leute von der Pforte bis zum Warteraum.
Der Security-Chef ist ein Deutscher. Die anderen zehn Männer
und zwei Frauen sehen aus
als hätten sie Angst
schon morgen wieder auf
der falschen Seite aufzuwachen und den neuen Security-Leuten ihre Aufenthaltsgenehmigung vorzeigen zu müssen.
Als wir nach zehn Stunden endlich wieder im Hotel sind und einen Kaffee trinken wird mir klar
dass ich den ganzen Tag lang keinen Kaffee bekommen habe. Ich hätte nicht gedacht
dass ich ohne Kaffee
zehn Stunden überleben würde.
Das war ein Tag
an dem ich viel gelernt habe.

SIE HOCKEN AM LOCH
Die Niederschrift seiner Lebensgeschichte widmete der Apachen-Häuptling Geronimo seinem Präsidenten
Theodore Roosevelt.
Der alte Trick funktionierte
und der Präsident
war stolz darauf.
Die Fallschirmspringer der US-Armee
trauen diesem Frieden
jedoch nicht
bis zum heutigen Tag.
Sie hocken am Loch und starren runter
auf ihr Land
oder ein anderes
und wenn sie springen
schreien sie
so laut sie nur können
seinen Namen.

POESIE IST KEIN AUTORENNEN
Manfred Rothenberger im Gespräch mit Franz Dobler
Manfred Rothenberger: Eine ganz blöde Frage gleich zu Beginn – hilft Rauchen beim Gedichteschreiben?
Franz Dobler: Du triffst sofort voll in die Problemzone. Rauchen ist nicht gut und ich rauche viel zu viel, vor allem, wenn ich am Schreibtisch sitze. Nicht rauchen geht nur dann gut, wenn ich drei Stunden durch die Stadt gehe oder auf dem Sofa liege und fernsehe.
Beim Gedichteschreiben hilft das Rauchen nicht, aber aus irgendeinem Grund rauche ich dabei immer.

Wann schreibst du am liebsten?
Das wechselt. Ich habe keinen festen Plan, nicht so wie manche Kollegen: jeden Tag von 9 bis 15 Uhr. Bei etwas Längerem, wenn es immer intensiver wird, komm ich auch mal tief in die Nacht rein, arbeite nur noch nachts.
Du hast bis heute »nur« zwei Gedichtbände veröffentlicht. Braucht es, wie es in einem Text von dir heißt, tatsächlich neun Monate, bis ein Gedicht zur Welt kommt?
Das hat eher was mit besonderer Konzentration zu tun, ich muss mich einschießen können auf dieses Format. Aber ich bin nicht der Typ, der sich vornimmt, jeden Tag oder jede Woche ein Ge- dicht zu schreiben. Es ist eher so wie beim Fotografieren. Ich sehe was, ich denke was, und dann schreibe ich’s auf, vielleicht nur einen einzelnen Satz, der dann ewig liegen bleibt. Weil ich gerade an was anderem arbeite. Da liegt immer ein ganzer Stapel rum mit halbfertigen Sachen. Ich schreibe oft nur so viel auf, dass ich den jeweiligen Gedanken wieder fassen und mich an diesen speziellen Moment erinnern kann. Ich schreibe auch erst mal nur mit der Hand.
Handgeschrieben bleibt es noch in der Intimität. Und wenn es mit der Maschine geschrieben ist, geht es hinaus in die Welt?
Es ist komisch – bei Prosa-Texten schreibe ich immer direkt in die Maschine, da brauche ich diese Maschinenschrift und den Bildschirm.
Aber Gedichte schreibe ich nie direkt in die Maschine, son- dern immer in Notizbücher.
Beobachtest du, was in der Gegenwartslyrik passiert?
Ja, schon, aber nicht so genau wie bei Romanen. Das interes- siert mich wesentlich mehr. Bei den Leuten, die ich kenne und schätze, sind relativ wenig Gedichteschreiber dabei. Wie in vie- len Dingen ist Friedrich Ani da wie ein Bruder für mich.
Die deutsche Lyrik ist ja sehr akademisch geprägt. Ich glaube, ich bin einer der Wenigen, die nicht studiert haben. Das kann man auch ablesen an meiner Art der Literatur und das zeigt sich bei Gedichten stärker als bei der Prosa. Kommt mir jedenfalls so vor. Mein erster Gedichtband Jesse James und andere Western- gedichte war auch eine Form von Protest.
Mit dem du dich bewusst außerhalb des Lyrik-Feldes gestellt hast.
Ich habe halt gesagt, ich schreibe jetzt Westerngedichte, also Action, quasi B-Gedichte wie B-Movies. Als erster in Deutsch- land. In den USA gibt es eine richtige Tradition der Western- gedichte, was ich damals aber noch nicht wusste. Da treten dann Dichter bei irgendwelchen Rodeo-Festivals auf und thematisieren das.
Diese Dichter können wahrscheinlich auch alle reiten.
Ich nicht, ich hasse Pferde, obwohl ich weiß, dass sie in der Regel sehr nett sind. Auf jeden Fall mag ich Gedichte meistens nicht, wenn sie so stark akademisch geprägt sind. Als dürfte und könn- te man nur schreiben, wenn man studiert hat oder auf einer Schreibschule war. Lyrik ist oft total verstellt, so dass man wahn- sinnig aufpassen muss, was meinen die eigentlich mit dem, was sie da schreiben. Man hat den Eindruck, alles ist dreifach ko- diert, und wenn da steht: »Es waren schwarze Wolken am Him- mel«, dann bedeutet das etwas ganz Anderes, etwa Unheil – das Geschriebene ist also nur eine Metapher. Wenn bei mir steht: »Es waren schwarze Wolken am Himmel«, dann ist damit auch genau das gemeint, was da steht. …

Und das geht noch viel viel weiter, dieser Anfang des Interviews ist nur ein kleiner Teil dessen, worüber Franz Dobler und Verleger Manfred Rothenberger sich unterhalten. Lesen Sie am besten selbst. Und die Gedichte sowieso.
Franz Dobler: Ich will doch immer nur kriegen was ich haben will. Gedichte 1991 – 2020. Herausgegeben von Manfred Rothenberger. Gestaltung: Timo Reger. Mit Fotografien von Juliane Liebert. starfruit, Nürnberg 2020. Hardcover, 47 s/w-Abbildungen, 288 Seiten, 25 Euro. – Verlagsinformationen hier.
Lesehinweis der Redaktion: Ebenfalls bei uns auf CrimeMag, ein Auszug aus „Die Raben von Ninive“, dem Balladenband von Friedrich Ani.