Geschrieben am 3. November 2019 von für Crimemag, CrimeMag November 2019

Hazel Rosenstrauch: Stephen Greenblatts Adam & Eva

Gegen den Strich gebürstet

Es gibt kaum eine Menschheitsfrage zwischen Moral, Glauben und Wissenschaft, für die der Mythos von Adam und Eva keine Rolle spielt. In Zeiten wie diesen tut es gut zu wissen, dass und wie  sich Vorstellungen (neudeutsch: Narrative) ändern, auch solche, die man für ewig gültig gehalten hat. Greenblatt fängt also bei Adam und Eva an, und es ist eben ein Unterschied, ob ein Rabbiner den Anfang der Menschheit ergründet, ob frühe Christen, Kirchenväter, Schriftsteller des 17. Jahrhunderts oder Naturwissenschaftler darüber nachdenken, ob es ein Paradies und Schlangen mit Füßen gab, bevor Sünde und Erkenntnis in die Welt kamen. Neben Quellen, von denen man zumindest schon gehört hat, gibt es erstaunliche Funde und nicht-kanonisierte Texte; gelehrtes Wissen und persönliche Überlegungen oder Assoziationen des Autors schütteln und drehen den Blick auf diesen berühmtesten aller Mythen. Mit wissenschaftlichen Kenntnissen, persönlicher Meinung, mit Vermutungen und Gedankenexperimenten. 

Stephen Greenblatt versetzt sich kühn in Hebräer aus dem 6. Jahrhundert vor u.Z., vergleicht die Bibel mit anderen Geschichten über den Ursprung der Menschheit, und  breitet unbekannte Erzählungen aus, wie jene Schrift, in der Eva die Heldin und der erste Mensch eine Frau ist. Er stellt viele Fragen – eigene und solche, die quer über die Zeiten und Religionen von Fachleuten wie Laien gestellt wurden. Ohne Respekt vor den vielen Autoritäten, die über das erste Paar nachgedacht haben, spekuliert er über das Zustandekommen der Genesis: „Die Hebräer werden gewusst haben“, „Das Trauma des Exils […] könnte zum Entschluss geführt haben“. Er scheut sich nicht, eigene Erfahrungen und Zweifel zu benennen oder auf immer noch aktuelle Fragen anzuspielen – etwa wenn es um die Frage geht, wieso der allwissende Gott so viel Sünde und Elend zulässt. 

Sex und Ursünde, die Schlange und Freiheit des Willens haben Interpreten aller Jahrhunderte beschäftigt, und Interpretinnen können sich über das Material freuen, mit dem die für das Christentum so wichtige Misogynie erläutert wird. Liebe spielt im Gilgamesch-Epos eine andere Rolle als bei Hieronymus, der Koran macht nicht Eva verantwortlich für die Sünde, es gibt eine lange Vorgeschichte, der wir Abendländer das Keuschheitsgebot und Herrschaft des Mannes verdanken. Dass Weiber als unvollkommene Tiere angesehen wurden, aber schon im 17. Jahrhundert eine mutige Nonne es wagte, Frauen positiv zu zeichnen, lässt mich doch an Fortschritte glauben. Endlich verstehe ich den Marienkult und warum Jesus von einer Jungfrau geboren werden musste. 

Der Historiker schlägt eine Schneise durch die gesamte (dokumentierte) Geschichte, er spekuliert auch über frühe und späte Erektionen und Scham, die sich in den Schriften des Kirchenvaters Augustinus niedergeschlagen haben, denn nicht nur Begriffe, auch Gefühle haben sich im Laufe der Geschichte geändert. Lange, sehr lange, haben Vertreter der Kirche und Theologen darauf bestanden, die Geschichte von Adam und Eva wörtlich zu nehmen. Das ändert sich – mit der Renaissance im allgemeinen und mit John Miltons „Paradise Lost“ ganz speziell. Hier wird der Verfasser besonders ausführlich, schließlich ist er in der Renaissance zu Hause und hat mehrere Bücher über diese Periode verfasst. 

Auf dreihundertfünfzig Seiten (ohne Anmerkungen und Anhang) werden ein paar tausend Jahre Kulturgeschichte gegen den Strich gebürstet. Wie groß mag Greenblatts Zettelkasten sein? In der Mitte eines großen Raums, den er für all die Titel, Materialien, Skizzen braucht, stelle ich mir einen Altar vor. Auf ihm thront Shakespeare. Und rundherum all die Gestalten, deren Spuren der Professor für amerikanische und englische Literatur und Sprache gefolgt ist: Rabbiner und Kirchenväter, Lukrez, Milton, Darwin bis hin zu jenen Forschern, die ihm das Leben der Affen in Uganda erklärten. 

Aber man hat heutzutage keine Zettelkästen mehr, in den elektronischen Wolken ist viel mehr Platz als auf Karteikarten, dort hoppeln wohl auch die Steckenpferdchen, die Greenblatt zwischendrin reitet. 

  • Stephen Greenblatt: Die Geschichte von Adam und Eva. Der mächtigste Mythos der Menschheit (The Rise And Fall of Adam and Eve, 2017). Aus dem Englischen von Klaus Binder. Taschenbuchausgabe: Pantheon, München 2019. 448 Seiten, 18 Euro.

Hazel E. Rosenstrauch, geb. in London, aufgewachsen in Wien, lebt in Berlin. Studium der Germanistik, Soziologie, Philosophie in Berlin, Promotion in Empirischer Kulturwissenschaft in Tübingen. Lehre und Forschung an verschiedenen Universitäten, Arbeit als Journalistin, Lektorin, Redakteurin, freie Autorin. Publikationen zu historischen und aktuellen Themen, über Aufklärer, frühe Romantiker, Juden, Henker, Frauen, Eitelkeit, Wiener Kongress, Liebe und Ausgrenzung um 1800 in Büchern und Blogs.  Ihre Internetseite hier: www.hazelrosenstrauch.de

Ihre Texte bei CulturMag hier. Ihr Buch „Karl Huss, der empfindsame Henker“ hier besprochen.

Gerade erschienen: „Simon Veit. Der missachtete Mann einer berühmten Frau“ (persona Verlag, 112 Seiten, 10 Euro). CulturMag-Besprechung hier.

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