Geschrieben am 15. April 2016 von für Crimemag, Interview, News

Interview mit P.M. Newton: Die Götter von Bankstown

p m newton15Mancher Weg für „crime ficton from down under“ ist dann doch etwas kompliziert. Sonja Hartl hat sich für unsere Reihe (siehe auch das Interview mit Candice Fox in dieser CM-Ausgabe) mit der ehemaligen Polizistin P.M. Newton unterhalten.

Bereits im letzten Herbst war das Erscheinen der Übersetzung von P.M. Newtons Roman „The Old School“ (dt. Titel „Die Götter von Bankstown“) angekündigt, doch dann kam das Aus des Metrolit-Verlags und damit ist auch dieser Titel in der Übersetzung bisher leider noch nicht erschienen. Dabei ist P.M Newton eine interessante Stimme in der australischen Kriminalliteratur und hat mit Nhu „Ned“ Kelly eine sehr interessante Hauptfigur geschaffen.

newton - die götter von bankstown web 200P.M. Newton hat selbst als Polizistin gearbeitet, ehe sie mit dem Schreiben begann. In ihrem Debüt erzählt sie von Detective Constable Nhu „Ned“ Kelly, die gerade ein Trainingsprogramm für die Einheit für verdeckte Ermittlungen absolviert, als sie in ihrem Heimatrevier in Bankstown zu einem Leichenfund gerufen wird: Bei den Bauarbeiten zu einem Parkplatz wurden die mumifizierten Überreste zweier Menschen entdeckt. Dieser Fall wird sie tief in die Vergangenheit und zu Fehlern ihrer Familie, ihrer Stadt und ihres Landes zurückführen, die sich nicht voneinander trennen lassen. Mit diesem Fall spürt P.M. Newton den Folgen der Anti-Korruptionsermittlungen für die polizeiliche Arbeit und dem gesellschaftlichen Klima der frühen 1990er Jahren in Australien nach, in dem Ned Kelly zu einer doppelten Außenseiterin wird: als Frau und Halb-Vietnamesin.

Frage: Sie waren bei der Polizei, bevor Sie mit dem Schreiben begonnen haben. Warum haben Sie dann entschieden, Schriftstellerin zu werden?

P.M. Newton: Auch wenn es wie ein gut geschmiedeter Plan aussehen mag, zunächst als Polizistin Erfahrung zu sammeln und dann Kriminalgeschichten zu schreiben, so war es nicht. Ich hatte keinen Plan. Um ehrlich zu sein, konnte ich mir mich selbst nicht als Schriftstellerin vorstellen. Ich war eine Leserin. Ich las sehr viel, ich nahm Geschichten über Buch, Film und Fernsehen auf, aber ich hatte kein Bestreben, Schriftstellerin zu werden, denn es fiel mir nicht ein, dass ich Schriftstellerin werden könnte. Nachdem ich bereits einige Jahre die Polizei verlassen hatte, las ich ein (in meinen Augen) sehr schlechtes, aber zugleich sehr erfolgreiches Buch eines mega-berühmten Autors und sagte zu mir selbst: „Nun, wenn dieser Typ das Recht zum Schreiben hat, habe ich es auch!“

P.M. Newton (c) Peter Rae – Fairfax

P.M. Newton (c) Peter Rae – Fairfax

Frage: Wann begannen Sie mit dem Schreiben

P.M. Newton: Nachdem ich die Polizei verließ, reiste und schrieb ich ein wenig. Als ich dann in Indien war und in Dharamsala buddhistische Philosophie studierte, geschah nur wenige Meter von meiner Wohnung ein Dreifachmord. Drei Mönche wurden brutal ermordet, es stellte sich heraus, dass fünf andere Mönche die Mörder waren. Es ging um religiöse Spaltungen im tibetischen Buddhismus, das Ganze war angeheizt durch chinesische Politik. Das war ein wirklich schreckliches Ereignis. Sehr schockierend. Und es machte mich sehr tief betroffen. Ich war ganz aufgelöst. Ich fühlte mich, als hätte ich die Dunkelheit meiner Welt als Polizistin zu diesem friedvollen Ort mitgeschleift. Das war lächerlich, die Dunkelheit war begraben in dem gegenseitigen Vernichtungskrieg im tibetischen Buddhismus.

Mein Weg, das zu verarbeiten, war darüber zu schreiben, aber nicht als eine Journalistin. Ich dachte darüber nach, das Geschehen auf Australien zu übertragen, und schrieb einen sehr schlechten, sehr verworrenen und konfusen „Roman“. Ich wusste gar nicht, wie das geht, und ich war nicht in der Lage, den Roman abzuschließen, weil ich keine Ahnung hatte, wie man ein längeres erzählerisches Werk erstellt. Aber an irgendeiner Stelle merkte ich, dass ich einen Ermittler brauche, der den Mord untersucht, und die Figur der Nhu ‚Ned‘ Kelly erschien. Sie ist, in dem Buch, ein hartgesottener Detective Sergeant in der Mordkommission. Kaum etwas funktionierte in dem gescheiterten Buch – aber sie tat es.

Frage: In welcher Weise beeinflusst Ihr beruflicher Hintergrund Ihre schriftstellerische Tätigkeit?

P.M. Newton: In guter und in schlechter Weise. In schlechter Weise, weil ich ein wenig detailversessen bin, aber Details um ihrer selbst willen sind nicht interessant. Ich habe vieles beim Überarbeiten weggelassen und lernte, was die Geschichte wirklich ausmachte und wie ich sie zu erzählen habe. In guter Weise, weil ich wirkliche Einblicke in die Polizeiarbeit und echte Emotionen erlebt habe. Ich kenne die Wirkungen des regelmäßigen Umgangs mit traumatischen Situation auf Polizisten, und die Auswirkungen auf Verbrechensopfer, für die ein derartiges Trauma ungewöhnlich und unerwartet ist. Daher denke ich, ich kann dem Leser einen Eindruck vermitteln, wie es wirklich ist, ein Polizist zu sein, diesen Beruf auszuüben.

Dieser berufliche Hintergrund beeinflusst auch meine Themenwahl. Ich will, dass sich Verbrechen echt anfühlt. Das Gefühl zu haben, so kann es wirklich passiert sein, in dieser Zeit und an diesem Ort. Ich bin zum Beispiel kein Fan von super-bösen Serienkillern, weil sich das für mich nicht authentisch anfühlt, deshalb werde ich wahrscheinlich auch niemals solch ein Buch schreiben.

Frage: Wie sieht denn Ihr Arbeitsablauf aus?

P.M. Newton: Ich habe noch keine feste Routine. Das erste Buch war Teil eines postgraduierten Forschungsabschlusses, ich hoffte auf eine Veröffentlichung, hatte aber noch keinen Vertrag in Sicht. Ich hatte die Freiheit zu experimentieren, Ideen auszuprobieren, Fehler zu begehen, Ansätze zu verwerfen und neu zu starten. Und die Freiheit habe ich genutzt. Sieben Entwürfe in drei Jahren.

Zweites Buch. Alles anders. Ein Herausgeber wartete. Kein eigener Arbeitsbereich. Ich versuchte, einen Ort und Zeit zu finden, sowohl mental und physisch, um zu arbeiten. Ich hatte das Gefühl, dass ich dem Herausgeber sehr früh einen Entwurf zeigen sollte. Dabei verlor ich meinen Weg aus den Augen. Ich erstellte eine Fassung, die sich nicht gut anfühlte. Dann verwarf ich diese und schrieb eine neue, als ich versuchte, selbst herauszufinden, was für ein Buch das eigentlich ist. Das war hart. Es hat vier Jahre gedauert. Ich muss akzeptieren, dass ich langsam bin und viele Entwürfe benötige.

Was Plotten und Planen angeht, ist es eine Mischung aus darauf los schreiben und einen Plan haben. Ich habe eine generelle Idee, was passiert ist und welche Wirkung es auf die beteiligten Personen hat. Daher weiß ich, wo ich starte, und habe eine Idee, wo ich enden will, aber der Weg zwischen diesen Punkten ist offen für Zufälle und Änderungen.

Frage: Weshalb haben Sie sich für eine Protagonistin entschieden – was bedauerlicherweise immer noch recht selten in der Kriminalliteratur ist?

P.M. Newton: So war Ned, als ich ihr begegnete! Ich saß auf einem Hang in Indien, schrieb wie verrückt, um zu versuchen, den Schrecken des Dreifachmordes auszutreiben, und über mein Leben als Polizistin, und als ich einen Ermittler brauchte, tauchte sie auf. Und als sie es tat, kannte ich sie. Sofort. Ich kannte ihren Hintergrund. Ich kannte ihre Eltern. Ich wusste alles über sie.

Frage:Glauben Sie denn, dass das Geschlecht eines Protagonisten eine Rolle spielt?

P.M. Newton: Ja. Zum Beispiel hat Inspector Morse niemals auf Leichen angeguckt. Er vermied es, es ekelte ihn an. Das wurde als etwas Gutes wahrgenommen. Er war nicht abgehärtet. Seine Verletzlichkeit wurde zugunsten seines Charakters gelesen. Ned mag Leichen auch nicht, hier spiegele ich mich in ihr wider. Ich war auch nie scharf darauf zu „gucken“, und ich wurde beim Anblick von Blut ohnmächtig. So bin ich gewesen. Interessanterweise hat eine weibliche Kritikerin diesen Punkt in einer Besprechung aufgegriffen und die Meinung vertreten, es würde Ned schwach erscheinen lassen.

Wie im wahren Leben werden Frauen unterschiedlich beurteilt. Sie müssen besser, starker, klüger sein, um „genauso gut“ zu sein.

p m newton83Frage: Wie sehen Sie Frauen in zeitgenössischer Kriminalliteratur?

P.M. Newton: Protagonistinnen haben in der Kriminalliteratur oft zusätzliche Bürden zu tragen – sie müssen außergewöhnlich zu sein, der prototypische „starke weibliche Charakter“. Um ehrlich zu sein, bin ich oft nicht überzeugt von diesen Charakteren. Der Schrecken prallt von ihnen ohne emotionalen Kratzer ab. Sie wirken wie erfüllte Vorstellungen, was in Ordnung ist, aber das sind nicht die Frauen, über die ich schreiben will. Ich will eine echte Frau, die klug ist und dennoch Fehler macht, die stark ist, aber nicht unbesiegbar, die jung ist und immer noch lernt. Aufstehen und jeden Tag weitermachen, das macht Ned meiner Meinung nach stark.

Wenn es um die Repräsentation von Frauen in der Kriminalliteratur geht, bin ich ein wenig verzweifelt. Hier sind wir Ende 2015 und die vorherrschende Rolle für Frauen in Kriminalliteratur bleibt die Leiche – ein schrecklich verstümmelter, gefolterter, elender Leichnam. Autoren scheinen sich gezwungen zu fühlen, mit jedem Buch Frauen auf immer schrecklichere Arten abzuschlachten. Ich bin nicht der Meinung, dass es dazu ermuntert, auf diese Weise tatsächlich zu töten, aber ich bin besorgt, dass es sich darin niederschlägt, wie Gewalt gegen Frauen im wahren Leben wahrgenommen und darauf reagiert wird.

Darüber habe ich Artikel geschrieben und mein Argument ist, dass die Serienkiller-Erzählung und der Ansatz der Medien gegenüber Verbrechen gegen Frauen einander befruchten, bis wir an dem Punkt ankommen, an dem die einzigen Verbrechen gegen Frauen, die eine öffentliche Regung hervorrufen, gleichermaßen deutlich und außergewöhnlich sein müssen. Damit der Mord an einer Frau garantiert gesellschaftliche Betroffenheit erfährt, muss dieser abscheulich sein. Der Verbrecher: ein Monster. Das Opfer: perfekt!

Frage: Und weshalb haben Sie sich entschieden, dass Ned aus einer vietnamesisch-australischen Familie stammt?

P.M. Newton: Neds erster Auftritt in dem Buch, das niemals wirklich funktionierte, war ein Fall von „so wahr sie, als sie auftauchte“. Aber als ich Mitte oder Ende der 90er Jahre erstmals über sie schrieb, fiel es zusammen mit einem Regierungswechsel in Australien, ein Schlingern nach rechts und ein ausdrücklicher Wandel in der Einstellung gegenüber Multikulturalität, einschließlich der Wahl eines „right-wing independent“, der gegen eine „asiatische Invasion Australiens“ wetterte. Meine Antwort, teils bewusst, teils unbewusst, war, einen weiblichen Charakter zu schaffen, der nicht australisch „aussah“, der aber australisch war, und ihr dann den ikonischsten männlichen Namen für einen Australier zu geben, den ich mir vorstellen konnte: Ned Kelly (ein rebellischer entlaufener Sträfling, der ein Anti-Held gewesen ist).

Frage:Für mich ist „The Old School“ natürlich ein Kriminalroman, aber auch ein Roman über Außenseiter. Wie denken Sie darüber?

P.M. Newton: Ja. Nach meiner Erfahrung als Frau in der New South Wales Landespolizei war ich immer in dieser seltsamen Situation, sowohl dazu zu gehören als auch eine Außenseiterin zu sein. Für Außenstehende war man definitiv zugehörig, man war ja Polizistin. Für gehörten aber gehörte man nicht wirklich dazu, weil man kein Kerl war.

Deswegen dachte ich, als ich Ned entwickelte, obwohl ich selbst keine Vietnamesin bin, sollte sie diese Schichten eines Insider-Outsiders haben. Jede Person, der sie begegnet, trifft auf der Grundlage ihrer Erscheinung Annahmen über sie. Sie ist Polizistin, deswegen kann ein Anwalt des juristischen Dienstes der Aborigines ihr nicht trauen. Sie ist eine Frau, deshalb können Kollegen ihr nicht wirklich trauen. Sie ist halb Asiatin, halb Australierin, weshalb sie von Rassisten in der Polizei komplett ausgeschlossen wird.

Frage:„The Old School“ ist Ihr erster Roman in Deutschland, aber ich weiß, dass in Australien ein zweiter Roman mit Nhu veröffentlicht wurde. Wird es weitere Romane mit ihr geben?

P.M. Newton: Es wird vielleicht ein weiteres Buch geben. Ich habe es nie als kontinuierliche Reihe angesehen. Aber ich möchte in der Art, in der James Ellroy mit dem L.A. Quartett die Kriminalliteratur nutzte, um die Entwicklung in Los Angeles in den 1950er Jahren zu beleuchten, eine Trilogie schreiben, die diese spezifische Periode in der australischen Geschichte durch die Augen einer Frau untersucht und in der Ideen aufeinandertreffen, was es bedeutet, ein Australier zu sein.

Frage: Welche anderen australischen Autorinnen sollten wir hierzulande kennenlernen?

P.M. Newton: Es gibt einige hervorragende australische Kriminalschriftstellerinnen, denen ich wünschen würde, dass die Leser sie entdecken. Sulari Gentill schreibt eine Krimi-Serie, die in den 1930er Jahren in Australien spielt und den Aufstieg einer faschistischen Bewegung in dieser Zeit verfolgt. Sie wurde als Mischung aus Agatha Christie und Evelyn Waugh beschrieben. Malla Nunn, die aus dem Swaziland nach Australien kam, hat aus den Erfahrungen ihres eigenen ethnisch-gemischten familiären Hintergrunds ein atemberaubendes Romanquartett geschaffen, das in Südafrika in den 1950er Jahren während der Apartheid spielt. Emma Viskic ist eine Debütautorin mit einem fabelhaften Protagonisten im gegenwärtigen Melbourne. Angela Savage schreibt Kriminalromane aus der Perspektive einer australischen Privatdetektivin, deren Handlung in Thailand während der 1990er Jahre stattfindet

Frage: Kriminalliteratur wird von manchen als der beste Weg angesehen, eine Gesellschaft zu beschreiben und zu analysieren. Was denken Sie?

P.M. Newton: Das strebe ich in meiner Arbeit an und will ich in den Arbeiten von anderen lesen. Malla Nunns Romane über einen Ermittler, der in einer Gesellschaft in einem Dazwischen steckt, aber dennoch Gerechtigkeit in einer fundamental ungerechten Gesellschaft erreichen will, sind ansteckend.
Eine australische Kritikerin, Sue Turnbull, hat einmal beobachtet, dass sich für sie ein Kriminalroman anfühlen soll, als könnten diese Dinge nur zu dieser Zeit an diesem Ort diesen Menschen geschehen. So spezifisch kann ein Roman sein. Das ist ein wahrer „sense of place“ für mich. Wie universell ein Verbrechen, ein Mord aus Liebe, Lust, Gier oder Eifersucht auch immer sein mag, wirklich zufriedenstellend ist es erst, wenn dieser Mord einer bestimmten Zeit und einem bestimmten Ort entspringt.

Verbrechen, insbesondere Mord, hängt mit der Ausübung von Macht zusammen. Macht ist politisch. Wer hat sie? Wie wird sie verwendet? Kriminalromane, die sich darum bemühen, nachzusehen, sich umzusehen, sind perfekt dazu geeignet, die Gesellschaft zu sezieren.

Sonja Hartl: Vielen Dank für das Gespräch!

Von P.M. Newtonliegen bisher vor: „The Old School“ (2010) und „Beams Falling“ (2014).
Blog von P.M. Newton: The Concrete Midden (Der Beton-Misthaufen).

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