Geschrieben am 1. Dezember 2020 von für Crimemag, CrimeMag Dezember 2020

Kristof Magnusson „Ein Mann der Kunst“

Bildungsbürgerbespaßung

In Zeiten wie diesen braucht man und auch frau Aufmunterung, und die liefert schon der zweite Satz: „Dafür, dass ich in einer Branche arbeite, in der es von Platzhirschen, Zampanos und Cholerikern nur so wimmelt, habe ich es ganz gut getroffen.“ Man ahnt, es geht um den Kulturbetrieb im Allgemeinen und die Kunst im Besonderen. Hauptfiguren sind der Direktor eines privaten Museums, hochgebildet und hochbegabt, speziell für seine Auftritte vor geldgebenden Kulturpolitikern, an seiner Seite unermüdlich kunstbeflissen die Vorsitzende des Fördervereins, im Hauptberuf Psychologin, und ihr Sohn, der die Geschichte erzählt. Im Zentrum der Erzählung steht der Künstler KD Pratz, dem ein neuer Anbau des Museums gewidmet werden soll. Ein Weltstar, Top Ten, sperrig, der sich dem Kunstbetrieb verweigert. Die Mitglieder des Fördervereins, die für die Finanzierung zuständigen Politikerinnen, die Reise zu dem Künstler, der sich in einer Burg am Rhein verbarrikadiert, bieten viele Anlässe für Karikaturen und Seitenhiebe, die zwischen witzigem Slapstick und Geblödel changieren, manche Stiche sind recht deutlich aus dem Leben gegriffen. In der Verhandlung mit der zickigen Beamtin aus Berlin erklärt der Direktor des Museums Wendevogel: „Das Bauvolumen würde ungefähr 20 Millionen umfassen. Da haben wir natürlich sofort an das Leuchtturm-Programm von Staatsministerin Grütters zur Verbesserung der kulturellen Infrastruktur gedacht.“ 

Kristof Magnusson, gelernter Kirchenmusiker und (unter anderem) Übersetzer aus dem Isländischen, lässt nichts aus. Die polnische schlecht bezahlte Assistentin, die, anders als „Volontärinnen aus gutem Haus, für die das Museums-Volontariat eher eine Dating-Plattform ist“, von ihrem Job leben muss, die Fahrt zum Atelier des Künstlers mit einer „Busladung voller Individualisten“, der sexistische Pfeffersack, das Hotel mit Edel-Tinnef samt handgeschriebenen Speisekarten, sogar Marina Abramović als kurzfristige Geliebte des großen Künstlers – alles wird durch den Kakao gezogen, und vor allem anderen der einsame Künstler auf seiner Burg. Die Beispiele aus dem Leben aufgeschlossener kunstinteressierter und durchweg progressiver Menschen sind meist urkomisch und erfahrungsgesättigt. 

Ungefähr auf Seite 50 hatte ich Sorge, Magnusson könnte die Chuzpe nicht durchhalten, aber dann dreht sich die Erzählung, der Ton wird anders, sobald sich der Sohn vor seiner quasi-feministischen Mutter verbeugt, ohne Sternchen, BinnenI oder Unterstriche. Es wird ernst, als der Förderverein die neueren Kunstwerke im Atelier auf der Burg besichtigen will, groteske Szenen im Streit mit dem Künstler und untereinander geben Kristof Magnusson Gelegenheit für Ausflüge in die Kunstgeschichte und Stories aus der realen Welt von Museen, Kulturpolitik und anspruchsvollem Tourismus, inklusive Weinprobe, Fußballreportage und zarten Gefühlen des garschtigen Kerls. Die witzigen wie die bösen Bemerkungen hindern den Autor nicht an einer komplexen und durchaus einfühlsamen  Auseinandersetzung mit den Marotten und Neurosen des menschenentwöhnten Stars. Es kommt zu einem überraschenden Schluss, der hier selbstverständlich nicht erzählt wird. 

Hazel Rosenstrauch

Kristof Magnusson: Ein Mann der Kunst, Verlag Antje Kunstmann, München 2020. 240 Seiten, 22 Euro.

Hazel Rosenstrauchs Texte bei CulturMag hier. Ihr Buch „Karl Huss, der empfindsame Henker“ hier besprochen. Aus jüngerer Zeit von ihr: „Simon Veit. Der missachtete Mann einer berühmten Frau“ (persona Verlag, 112 Seiten, 10 Euro), eine CulturMag-Besprechung hier.