Geschrieben am 1. Februar 2021 von für Crimemag, CrimeMag Februar 2021

Maria Popova: „Findungen“

Foto © Constanze Matthes

Ein Buch zum besseren Verständnis der Welt

Was macht nur dieses Buch mit mir. Ich bemerke, wie ich ein buntes Fähnchen nach dem anderen an die Seitenränder des Bandes klebe. Auf diese Weise markiere ich kluge Gedanken und Zitate, um sie später schnell zu finden. Mit der Zeit hat der sonst weiße Schnitt blaue, grüne und orangefarbene Flecken. Für die Lektüre des zugleich umfangreichen Bandes „Findungen“ von Maria Popova ist ein Vorrat an solchen bunten Klebezetteln überaus praktisch, ja notwendig. Denn dieses wundersame Buch ist voller kluger Gedanken.

Der eine oder andere kennt die Autorin vielleicht durch ihren preisgekrönten Blog „Brain Pickings“, der im Jahr 2006 an den Start ging und mittlerweile Millionen Leser erreicht und inspiriert. Popova wurde 1984 in Bulgarien geboren. Sie studierte in den USA und lebt nun in New York, heute schreibt sie darüber hinaus für die New York Times, Wired und The Atlantic. In ihren Beiträgen vermischt sie auf kluge und erhellende Weise Kunst, Kultur und Literatur sowie die Wissenschaften. So nun auch in ihrem Band „Findungen“, in dem sie Lebensgeschichten von berühmten und weniger bekannten Naturwissenschaftler*innen, Künstler*innen und Literat*innen sowie deren Entdeckungen und Werke, die die Welt verändert haben, erzählt.

Das 17. Jahrhundert und die Biografie von Johannes Kepler bilden den Einstieg, der wie viele der auch späteren berühmten Denker*innen der Zeit weit voraus war. Seine drei Gesetze zu den Planetenbahnen sind zur Grundlage der Astronomie und Schulstoff geworden. Auf den deutschen Astronomen und Physiker folgen eine Reihe Frauen, die im 19. Jahrhundert lebten und womöglich hierzulande weniger bekannt sind. Wie die Astronomin Maria Mitchell, die Dichterin Emily Dickinson, die Journalistin und Schriftstellerin Margaret Fuller sowie die Bildhauerin Harriet Hosmer. Sie verbindet neben ihrer extremen Leidenschaft für das, was sie tun, ein innerer Drang, gesellschaftliche Schranken zu überwinden. Sie setzen sich für die Bildung für Frauen ein, in einer Zeit, als Universitäten und Kunstakademien Frauen noch nicht zum Studium zugelassen haben. Sie gründen intellektuelle Gesprächskreise, reisen nach Europa, bringen sich in die Diskurse und Debatten ein. Und sie stehen in Verbindung mit weiteren großen Namen ihrer Zeit. Zu den Bewunderern von Margaret Fuller zählten einst unter anderem Walt Whitman und Edgar Allan Poe.

Die Klammer zum Abschluss, der Pol zu Kepler, ist die Naturwissenschaftlerin und preisgekrönte Autorin Rachel Carson, die mit Werken wie „Geheimnisse des Meeres“ oder „Der stumme Frühling“ die Gier, den Konsum und die Umweltzerstörung des Menschen anprangerte, Weltruhm erlangte und den Grundstein für die bis heute agierende Umweltbewegung setzte. Angesichts der besorgniserregenden aktuellen Entwicklung, des Klimawandels und des Artensterbens, wäre es wünschenswert, dass ihre Werke wieder verstärkt Aufmerksamkeit erhalten.

Popovas Ansatz und Grundgedanke, den sie in einem einleitenden Kapitel beschreibt, ist, alles und jeder ist miteinander verbunden. So schafft sie ein beeindruckendes Netz aus Lebensfäden, indem sie die Beziehungen und Einflüsse der großen und klugen Köpfe sichtbar macht. Dabei verlässt sie oft Zeit und Raum der einen Lebensgeschichte, um zu einer anderen zu gelangen. Herman Melville, Nathaniel Hawthorne, Charles Darwin, Ralph Waldo Emerson, Carl Sagan – die Liste der erwähnten Personen ist lang. Nie hatte ich allerdings das Gefühl, in diesem dichten Knäuel aus Biografien und Ereignissen den Überblick oder die Orientierung zu verlieren. Mitunter bringt die Autorin ihre eigenen Gedanken ein und erzählt von persönlichen Erfahrungen und Erlebnissen bei der Begegnung mit dem Schaffen dieser Künstler*innen und Denker*innen, wobei nicht nur deren „berufliche Seite“, ihr Schaffen und Drang nach Wissen und ihre intellektuelle Auseinandersetzung mit den Themen der Zeit im Mittelpunkt stehen.

Popova gibt zudem Einblicke in das Wesen ihrer „Held*innen“, in ihre Gedankenwelt und ihre Gefühle, manches Mal auch in ihre merkwürdigen Verhaltensweisen; so hat sich die Dichterin Emily Dickinson fast 25 Jahren ihres Lebens der Öffentlichkeit entzogen. Nur mit Briefen konnte man sie erreichen. Es sind denn auch Auszüge aus den Korrespondenzen der Künstler*innen und Wissenschaftler*innen, die diesen Band zu einem faszinierende Chor der Stimmen werden lassen. 

„Findungen“ ist ein eindrucksvolles Plädoyer für eine bessere, gerechte und tolerante Welt und eine Droge für jeden wissensdurstigen Menschen. Ein Buch, das man immer und immer wieder lesen kann – zuerst mit einem gewissen Erstaunen, dann mit einer großen Zuneigung. Zugleich lässt die wundersame Kombination aus Astronomie und Poesie noch ein besonderes Gefühl entstehen, auf das Popova mehrfach in ihrem Buch verweist: Demut – angesichts des Wissens um die begrenzte Lebenszeit inmitten des unfassbaren Raums namens Universum. Ein Gefühl, das für die Welt, in der wir aktuell leben, wohl notwendig wäre.

Constanze Matthes

Maria Popova: Findungen (Figuring, 2019). Aus dem Amerikanischen von Stefanie Schäfer, Heike Reissig und Tobias Rothenbücher. Diogenes Verlag, Zürich 2020. Hardcover, 888 Seiten, 28 Euro.

Constanze Matthes: 1977 in Großenhain/Sachsen geboren, seit der Kindheit verrückt nach Büchern und Geschichten. Studium der Germanistik, Kommunikations- und Medienwissenschaften sowie Theaterwissenschaft in Leipzig, dabei ein Auslandsaufenthalt in Norwegen und seitdem in dieses Land verliebt. Erste journalistische Erfahrung als freie Journalistin für die Sächsische Zeitung gesammelt, heute unter anderem für das Naumburger Tageblatt/Mitteldeutsche Zeitung tätig. Auf ihrem Blog „Zeichen & Zeiten“ schreibt sie über Bücher, die sie ans Herz legt. Sie lebt und arbeitet in Naumburg/Saale. Constanze Matthes bei CrimeMag. Bei Twitter.

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