Lucky Luke – Ein Dank zum Jubiläum

Zum 75-jährigen Jubiläum von Lucky Luke liegt nun Band 100 vor: „Die Ursprünge. Western von Gestern“[1]. Aus dem Buchrückentext: „Mit seinem 1946 erschienen Western-Comic ‚Arizona 1880‘ schrieb der damals noch junge Künstler Morris Geschichte […].“ Neben dieser Geschichte bietet der vorliegende Band noch ‚Die Goldmine von Dick Digger‘. Anlass für mich, einige Streifzüge zu unternehmen. Denn immer wieder waren und sind es die parodistischen, phantastischen und nicht unintelligenten Details, warum Lucky Luke mich schon seit meiner Schulzeit fasziniert. Freestyle:
Prediger: „Werft die Medizinbeutel fort und vertreibt die Schamanen. Es gibt nur einen Manitu, Unseren Vater […].“ Indianer: „Offenbar beruht seine religiöse Doktrin auf einem paternalistischen Monotheismus.“[2]
„Dieser Mann mit dem intellektuellen Touch ist Frank James, der ältere Bruder von Jesse. Während Jesse wieder und wieder in seinem ‚Robin Hood‘ schmökert… …begeistert sich Frank für die Werke Shakespeares, mit dessen Zitaten er im Gespräch nur so um sich wirft… [und nun Frank:]‚So, so, so, so! (Othello, 4. Aufzug, 1. Szene) Euch gleichfalls! (Maß für Maß, 3. Aufzug, 2. Szene) Musik her! (Sommernachtstraum, 4. Aufzug, 1. Szene!‘“[3]
Colonel MacStraggle bei einer Parade: „Lieutenant, strafen Sie den Mann!“ Lucky Luke: „Hören Sie, Colonel, das geht zu weit! Die Stiefel von…“ Colonel (mit einem bösen Blick, graphisch durch einem Pfeil markiert): „Stiefel? Ausgerechnet Sie sprechen von Stiefeln, Sir?“ Jolly Jumper: „HIHIHIHIHIHIIII!!“ Lucky Luke: „Lach nicht so blöd!“ Colonel: „Sir, es wäre mir recht, wenn Sie Ihrem Gaul beibringen könnten, während Paraden nicht zu wiehern! Das macht einen sehr schlechten Eindruck und ist nicht gerade nachahmenswert!“ Lucky Luke kichert. Jolly Jumper: „Lach nicht so blöd!“[4]
Projekt Telegraphenmasten. Aus Mangel an Material greift der Bautrupp zu folgenden Lösungen: Holzsäule, Galgen, Leiter, Kaktus, Straßenlaterne und Totempfahl; na ja, und naturbelassene Bäume.[5]
Ein Seelen-Wissenschaftler macht gemeinsame Sache mit den Daltons. Lucky Luke, seinen Colt in der Hand, stellt ihn zur Rede. Doc: „Damit fühlen sie sich wohl sehr sicher?“ Lucky Luke: „?“ Joe Dalton: „Jau! Er ist davon besessen!“ Doc: „Genau, Mr. Dalton! Diese Waffe ist ein Symbol für ihn!“[6]. Vor dem Ende des Comics, wenn Lucky Luke in den wohlverdienten Sonnenuntergang reiten kann, springt das vorletzte Bild auf einen anderen Kontinent: ein Kindermädchen rennt schreiend aus einem Zimmer, denn es „… trug sich im Hause Freud eine folgenschwere Begebenheit zu … ‚Gnä’ Frau! Gnä’ Frau! Wenn Sie wüßten, was mir Ihr Siggi grad erklärt hat!‘“[7]
In „Der Pony-Express“ hält Rantanplan, der dümmste Hund des Wilden Westen, Lucky Luke zum einen für Mona Lisa und zum anderen für Lincoln. Beide Schwarz-weiß-Bilder in der Denkblase werden aber durchgestrichen. Rantanplan: „Fassen wir zusammen. Ein Typ, der mitten in der Nacht ankommt, mit einem Koffer voller Geschenke…“ […] „Ich hab’s, ist ja klar. Ein Typ auf einem Rentier, das ist der Weihnachtsmann!“[8] Eine Seite weiter sehen wir Lucky Luke mit Jolly Jumper dahinjagend, im Wasser ein deckungsgleicher Schatten, der jedoch im nächsten Bild schon den beiden nicht mehr hinterherkommen sollte. Und gleich droht der Finsterling, greift zu seinem Colt. Lucky Luke schießt, überholt seine eigenen Kugeln, überholt den Finsterling, der wie eingefroren immer noch dabei ist, nach seiner Waffe zu greifen, bis die Kugeln in dessen Mütze, Colt und Gürtelschnalle einschlagen.[9] Weiter, Lucky Luke ist so in eine Eile, dass er sich bei einer Flussdurchquerung – Jolly Jumper in den Fluten untergetaucht – mit Seife den Rücken schrubbt … und dann mit eingeschäumtem und freiem Oberkörper weitereitet: „Hoffentlich kommt bald die nächste Wasserstelle!“[10]
Eine zu transportierende Druckerpresse bleibt beim Überqueren von Schienen auf diesen liegen, weil der Wagen zuvor ein Rad verloren hat. Der ankommende Zug kann gerade noch bremsen. Die Lokführer steigen aus, heben die Hände: „Seid ihr neu auf der Strecke?“ Lucky Luke: „!?!“ Schaffner: „Beeilt euch! Bei den vielen Überfällen halten wir nie den Fahrplan ein!“ […] Lucky Luke: „Nonsens! Das hier ist kein Überfall! Wir brauchen bloß drei Männer, um das Gleis freizumachen!“ Der Schaffner, viele Wertgegenstände in seinen Händen, kehrt um und kehrt zurück mit drei Männern (diese mit erhobenen Händen): „Hier sind die gewünschten Geiseln!“ Lucky Luke: „!“ Und dann kommt es tatsächlich während der Zugfahrt zu einem Überfall. Die Passagiere genervt: “Schlechte Organisation!” Und der Journalist und Herausgeber Horace P. Greeley, dem die Druckerpresse gehört und den Lucky Luke begleitet, nutzt gleich die Gelegenheit: „Wären Sie so freundlich, uns für die Rubrik ‚Mann und Beruf‘ ein Kurzinterview zu geben? Sagen Sie, wie überfällt man einen Zug?“ Bandit: „Also, das Wichtigste ist die Wahl des Felsblocks. Er muß groß genug sein, daß auch ein kurzsichtiger Maschinist ihn sieht, und gleichzeitig leicht genug, daß man ihn zu zweit manövrieren kann!“[11]
Mein persönlicher Favorit ist „Goldrausch!“ – Gold, Geisterstädte und Gangster. Witzig, wahnsinnig, übervoll mit Details und grandiosen Charakteren, irren Intrigen und Charme. Wie Gold und Gerüchte Städte aufblühen, vergehen ließen. Wie zwei Betrüger – unnachahmlich schleimig und inkompetent – immer wieder bei Teer und Federn landen. So wollen sie einen Stier stehlen, damit ein Minenbesitzer fälschlicherweise gelyncht werde. Aber die Beiden sind eben nicht Lucky Luke, Held eben auch auf der Viehweide. Der Kleinere muss immer die Drecksarbeit machen, also wartet er auf einem Baum, während sein Partner Denver den Stier mit einem roten Tüchlein anlockt: „Er kommt, Dallas, verfehlen Sie ihn nicht!“ „Meinen Sie nicht, wir sollten lieber aufgeben?“ (Sprung vom Baum …) „Erledigt?“ „Erledigt!“ (Auf der Prärie, Denver rennt weiter vor dem Stier weg …) „Haben Sie ihn schon umgeworfen?“ „Noch nicht!“ (In der Stadt …) „Beeilen Sie sich, Dallas!“ „Ich bin dabei! Ich bin dabei!“[12] Und dann volle Kanne in den nächsten Saloon. Lucky Luke fängt dann den Stier ein – und betritt nur noch ein Trümmerfeld. „Goldrausch!“ begegnete mir zum ersten Mal in einem „FF-Extra. Das gute Fix und Foxi Taschenbuch“ unter dem Titel „Die Geisterstadt“. Die Übersetzung ist eigenwilliger; die Farbtöne sind kräftiger und wärmer als in der späteren Fassung. Ein Hauch von Romantik, als das Goldfieber abgeklungen und ein Bauer in der Dämmerung pflügt, dahinter sein Haus mit rauchendem Schornstein; alles in Rot, Gelb und Schwarz gehalten.[13] Eine andere, glorifizierende Abendröte im Wilden Westen.[14] Lucky Luke schaut zum Abschied auf die dunkle Silhouette der Stadt, blauer Himmel, gelb der aufsteigende Rauch: „Wir haben schon eine Menge Leute gerettet in unseren Abenteuern, Jolly Jumper! Aber das ist das erste Mal, daß wir eine Stadt gerettet haben! Gold Hill wird nie wieder eine Geisterstadt!“[15] (Und eine Anmerkung erklärt, was im Lauf der Zeit aus dieser Stadt dann tatsächlich geworden sei – so entsteht eine interessante Schnittstelle zwischen der mythischen und der historischen Welt. Und jetzt könnten wir stundenlang diskutieren, warum ich Lucky Luke für einen Mythos halte …)
Liebe Jubilare Lucky Luke und Jolly Jumper, mögen euch noch viele Abenteuer und wohlverdiente Sonnenuntergänge beschert sein. Und vor allem: Danke. Es ist immer ein gutes Zeichen, wenn ich einen Comic vor Lachen weglegen muss, um wieder Luft holen zu können. Noch einmal: herzlichen Dank!
PS: Wer einmal mächtig Rambazamba und Wahnsinnaction möchte, denen wäre zu empfehlen: „Die Daltons im Blizzard“ (Bd. 25), „Die Postkutsche“ (Bd. 15) und „Nitroglyzerin“ (Bd. 52) – ein absolute Schocker!
PSS: Übrigens, erst beim Zitieren fiel mir auf, dass ich keine Texte mit so vielen „!“ kenne wie diese Comics.
Markus Pohlmeyer lehrt an der Europa-Universität Flensburg. Seine Essays bei uns hier. – Die Abenteuer von Lucky Luke erscheinen im deutschsprachigen Raum bei Egmont Ehapa.
[1] Lucky Luke 100, Text u. Zeichnung: Morris, übers. v. G. Penndorf, Berlin 2021.
[2] Bd. 77: Schikane in Quebec, 19. Schriftbilder in allen Zitaten hier von mir zur besseren Lesbarkeit geändert.
[3] Bd. 38: Jesse James, 7.
[4] Bd. 19 … reitet für die 20er Kavallerie, 17.
[5] Bd. 18: Der singende Draht, 35
[6] Bd. 54: Die Daltons und der Psycho-Doc, 15.
[7] Bd. 54: Die Daltons und der Psycho-Doc, 46.
[8] Bd. 56: Der Pony-Express, 34.
[9] Bd. 56: Der Pony-Express, 35.
[10] Bd. 56: Der Pony-Express, 40.
[11] Alle Zitate Bd. 45: Der Daily Star, 6-9.
[12] Zitate von Bd. 64: Goldrausch!, 28.
[13] FF-Extra, Bd. 3 (1969), 121.
[14]Anspielung auf einen Horror in Romanform, der ein desillusionierendes, apokalyptisches Bild von der Eroberung eines Kontinentes zeichnet: C. McCarthy: Die Abendröte im Westen, übers. v. H. Wolf, 2. Aufl., Hamburg 2018.
[15] Zitate von Bd. 64: Goldrausch!, 46.