Geschrieben am 1. Februar 2021 von für Crimemag, CrimeMag Februar 2021

non fiction, kurz – 02/2021

Sachbücher, kurz und bündig

Sekundärliteratur ist unerlässlich, wenn man nicht nur konsumieren will. Alf Mayer (AM) war im Revier unterwegs – mit:

Marcel Meili: Steiners Postauto
Craig Sisterson: Southern Cross Crime: The Pocket Essential Guide to the Crime Fiction, Film & TV of Australia and New Zealand

Straße und Landschaft, idealtypisch

(AM) Welch ein Glücksfall von Buch. Wer immer daran beteiligt war, diesen ursprünglich als Privatdruck entstandenen Band einer größeren Öffentlichkeit zugänglich zu machen, verdient unseren Dank, denn Steiners Postauto macht glücklich. Es entführt. Und es weitet den Blick. Anti-Corona-Medizin der besten Sorte. Nicht von ungefähr gibt es auf den Seiten 13/14 eine Reminiszenz an den Westernregisseur Anthony Mann und dessen Landschaftstableaus. Lange suchte er immer nach dem richtigen Kamerastandort, wartete auf das richtige Wetter: „… eine Landschaft, die nirgendwo ist, aber voll besetzt scheint mit archetypischen Merkmalen, die wir sofort wiederzuerkennen glauben: die Furt, die Klippe, den einsamen Baum, den Canyon, den Felskopf … Durch ihre überdeutliche physische Klarheit, Gegenwärtigkeit und Räumlichkeit schaffen seine archaischen Bildkompositionen eine Art körperliche Komplizenschaft beim Betrachten einer Gegend, die man noch nie besucht hat. Der Landschaftsraum tritt einem unmittelbar vereinnahmend  und vibrierend entgegen, vor allem dann, wenn dort nichts passiert, wenn beim Eindunkeln nur irgendwo hinten in der Cadrage eine paar Reiter durch eine Senke preschen.“

Es war ein einzelner Fotoabzug, gerahmt, den der Schweizer Architekt Marcel Meili seinen Eltern, 92 und 80 Jahre alt, zu Weihnachten 2005 schenkte, das Bild „Postauto ob Silvaplana“ des legendären Fotografen Albert Steiner (1877–1965). Die etwas ratlose Reaktion veranlasste ihn, die Bildwahl mit einem zunächst sehr persönlich gehaltenen Text zu erklären, ging es doch um Kindheitsorte im Engadin, um Prägebilder, die eine Landschaft in einem hinterlässt. Beim Schreiben und Recherchieren entwickelte sich daraus ein weit größeres Unternehmen. Ging es zunächst um Familiengeschichte, um den Fotografen Steiner und ein Sinnieren über die Veränderung des Blicks, weitete sich der Text bald zu einer Studie über das Verhältnis von Straße und Landschaft, von Kultur und Natur, zu einer Kultur-, Sozial- und Technikgeschichte der Erschließung der Berge. Die gelben Busse mit dem rotbraunen Kunstleder, dem großen Lenkrad, dem Maybach-Getriebe für die Zwischengänge, denen die Schweizer PTT bald schon eine eigene Zeitschrift mit dem Titel „Auf Schweizer Alpenstraßen“ widmete, sind eine wunderbare Metapher für die Veränderungen des sozialen Raums in den Alpen, für die Entwicklung des Tourismus, für die Moderne. Der blendend geschriebene, äußerst lesbare Text wird unterfüttert von einer sich durch das ganze Buch ziehenden Bildleiste mit 121 farbigen und 86 Schwarzweiß-Abbildungen. 

Meili schloss den Text am Todestag seines Vaters ab, der Band erschien zuerst in einem Privatdruck von 30 Exemplaren in japanischer Bindung, 2013 noch einmal in einer Auflage von 20. Ein Jahr vor seinem Tod erlaubte Marcel Meili dem Zürcher Verlag Scheidegger & Spiess dann glücklicherweise, diese essayistische Spurensuche der Allgemeinheit zugänglich zu machen. Der exquisit und minimalistisch gestaltete Band macht mit seiner edlen Typographie und dem matten, griffigen Papier ein wirklich besonderes Leseerlebnis, setzt ein eigenes Tempo. Ich war hin und weg, wie sehr ich mich immer mehr den mäandernden Kurven dieses Buches überließ und davongetragen wurde.

Marcel Meili: Steiners Postauto. Eine Bildgeschichte. Scheidegger & Spiess, Zürich 2020. 121 farbige und 86 s/w Abbildungen. Leinen, 124 Seiten, 38 Euro.

Crime Down Under

(AM) Sage niemand, dass da nichts wäre. Spätestens nach Southern Cross Crime, dem von Craig Sisterson zusammengestellten Pocket Essential Guide to the Crime Fiction, Film & TV of Australia and New Zealand geht das schon gar nicht mehr. Ich weiß noch, was für ein wenig beackertes und beachtetes Feld Australien schien, als ich zu Ostern 2016 für den Freitag ein Länderporträt schrieb – Candice Fox war damals noch nicht auf Deutsch erschienen, Garry Disher abgemeldet, David Whish-Wilson noch ein Unbekannter – und konstatierte: „Mit gebotener Vorsicht lässt sich sagen, Crime von Down Under boomt leise, die Präsenz erstaunlich guter Bücher auf dem deutschsprachigen Buchmarkt nimmt zu. Aber es ist noch immer schwierig genug, die Tore sind eng, die Verleger vorsichtig. Fünf nationalen Krimipreisen zum Trotz wurde der große Peter Temple lange nicht im Ausland veröffentlicht, selbst sein Hausverlag Random House hielt ihn für zu australisch. Michael Robotham, Australiens international erfolgreichster Kriminalautor, siedelt seine Romane gar nicht erst in seiner Heimat an. Seine perfekt gebauten Thriller spielen in und um Oxford und sind Weltbestseller…“ 

Der neuseeländische Kritiker Craig Sisterson hat für seinen Krimiführer mehr als 300 Aussie- und Kiwi-Autoren, Fernsehserien und Filme zusammengetragen. Als Startpunkt wählte er die Gründung der Australian Crime Writers Association, die seit 1996 jährlich die Ned Kelly Awards vergibt. Sein Überblick gilt also hauptsächlich den letzten 25 Jahren, aber es fehlen auch nicht Größen wie Arthur W. Upfield, dessen erster Roman mit dem Aborigine-Tracker Inspektor Napoleon ‘Bony’ Bonaparte von der Queensland Police 1926 erschien. Mit dem 22. von insgesamt 29 Bony-Romanen gewann er 1958 den Edgar (für Bony Buys a Woman; dt. Bony kauft eine Frau, Goldmann, München 1958). 20 Jahre später, im Alter von 83 und nach ihrem 29. Roman mit Gentleman-Detektiv Inspector Roderick Alleyn wurde die aus Christchurch, NZ, stammende Ngaio Marsh mit dem Grand Master Award ausgezeichnet. Eigentlich wäre Garry Disher längst für einen Edgar fällig, aber derzeit ist es so, dass im deutschsprachigen Raum deutlich mehr down-under-Autoren veröffentlicht werden als in USA oder England. Bis heute hat Robotham keinen Roman geschrieben, der auf seinem Kontinent spielt.

Tiefe darf man sich von diesem Pocket Guide freilich nicht erwarten, auch keine Schärfe. Immerhin werden Peter Temple und Garry Disher als Meister benannt, aber Flachpfeifen wie Chris Hammer und Jane Harper (über die übrigens auch Garry die Stirn runzelt) stehen als fast gleichwertig da. Nun ja. Die systemische Schwäche des Enzyklopädischen hatte ich auch schon bei anderen Führern benannt, siehe etwa bei Barry Forshaws „Crime Fiction. A Reader’s Guide“ (CrimeMag-Besprechung hier). Meine aktuelle Empfehlung: Winter Traffic von Stephen Greenall. Hammer-Buch.

Craig Sisterson: Southern Cross Crime: The Pocket Essential Guide to the Crime Fiction, Film & TV of Australia and New Zealand. Oldcastle Books,  Harpenden, UK 2020. 256 Seiten, Namensregister, GBP 9,99.

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