Geschrieben am 15. November 2016 von für Crimemag, Kolumnen und Themen

Porträt: Alf Mayer: James Lee Burke, die Anfänge

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James Lee Burkes dritter Roman – von 1971: das erste Buch mit Texas Sheriff Hackberry Holland, fortgesetzt erst mit 2009 mit „Rain Gods“ (Regengötter; deutsch 2014)

Ein langer, staubiger Weg

– Zur Karriere von James Lee Burke.
Von Alf Mayer.

Der Erfolg kam spät im Leben von James Lee Burke, (nicht nur) das hat er mit seinem Freund Charles Willeford gemeinsam. Burkes erste Erzählung erschien, als er 19 war. Seinen ersten Roman begann er mit 22 und beendete ihn 1960, wenige Wochen nach seinem 24. Geburtstag. So lange ist er schon Schriftsteller – mehr als 55 Jahre. Am 5. Dezember 2016 ist er 80 Jahre alt. Immer noch schreibt er sechs Tage die Woche. Seine Arbeit nennt er in Anspielung auf seine Herkunft aus den Südstaaten „Baumwolle pflücken“. Sein Arbeitsethos: „Wenn ich ein Buch fertig habe, kann ich vielleicht zwei Wochen ohne Schreiben auskommen, aber dann fange ich wieder an.“

burke-james-lee-burke-half-of-paradise-pocket066Der Titel seines ersten Romans lautete Half of Paradise (Die Hälfte des Paradieses). Es dauerte fünf Jahre, ehe der in Louisiana spielende Roman einen Verlag fand. Die Houghton Mifflin Company in Boston brachte ihn am 1. Januar 1965 heraus. Mit 34 hatte James Lee Burke drei Hardcover-Romane auf dem Markt, aber dann kam die große Dürre. Ehe er die erste Hälfte seines Schriftstellerparadieses erreichte, dauerte es noch gut 25 Jahre, wie er im Grußwort zu diesem Buch verrät.

Ein Ölarbeiter in Geldnöten, der wegen Whiskeyschmuggels im Gefängnis landet, ein Bluessänger, der rauschgiftsüchtig wird, ein farbiger Dockarbeiter in New Orleans, der sich seine Hand verletzt, in kriminelle Machenschaften gerät und im Gefängnis zugrunde geht, das sind die drei Hauptpersonen von Half of Paradise. In der „New York Times“ wurde Burkes Debütroman mit den Werken von Hemingway, Sartre, Camus und dem frühen Faulkner verglichen. „Ein Autor, den man absolut ernst nehmen muss“, hieß es in der vierspaltigen Kritik von Wirt Williams, selbst ein preisgekrönter Autor des amerikanischen Südens.

Burkes zweiter Roman, To the Bright and Shining Sun, erschien 1970 bei Scribner’s in New York. Zur hell aufscheinenden Sonne, dahin ist es für den jungen Bergwerksarbeiter Perry Woodson Hatfield James aus mehreren Gründen weit. Seine brutale Welt ist die der Kohlenzechen in den Cumberland Mountains im hintersten Kentucky, Schauplatz der blutigsten Arbeitskämpfe der Vereinigten Staaten, wo die Grenzen zwischen Streikenden und Streikbrechern, zwischen der Sehnsucht der Jugend nach Freiheit und der Bürde alter Familienfehden verlaufen. Kevin Costner hat diese Appalachen-Fehde 2012 in der TV-Miniserie Hatfields & McCoys auf die Leinwand gebracht, aber fünf „Emmys“ zum Trotz lief die Serie in Deutschland nur auf entlegenen Fernsehkanälen, so düster war sie.

burke-to_bright_shining_sun_dmAuch Buch Nummer drei, Lay Down My Sword and Shield, erschien in einem Ostküstenverlag, nämlich bei Thomas Y. Crowell in New York, im September 1971. Der in einem lyrisch beschriebenen Südwest-Texas angesiedelte Roman hat den traumatisierten Korea-Veteranen Hack Holland zum Mittelpunkt, er wird von Frau, Bruder und seinen alten Freunden aus der Ölindustrie dazu gedrängt, in die Politik zu gehen. Er selbst würde lieber einfach weiter trinken, sich um seine Pferde kümmern und ab und zu einen pro-bono-Fall als Rechtsanwalt übernehmen. Als er einem Kriegskameraden helfen will, gerät er mit den Mächtigen aneinander und mitten in deren Konflikt mit den sich organisierenden mexikanischen Landarbeitern. Er verliebt sich in eine Frau, die für das United Farm Workers Movement spricht, und er beginnt, sich für die Schwachen einzusetzen.

burke-two-for-texas_hrNach diesen drei Romanen war Sendepause, obwohl James Lee Burke unverdrossen weiterschrieb. Aber er brachte von 1971 bis zum 28. November 1986 keinen Hardcover-Roman mehr unter. Nur den Western Two for Texas (später auch als Sabine Spring bekannt geworden) konnte er Mitte 1982 als Taschenbuch veröffentlichen. Burke erweckt darin seinen tatsächlichen Urgroßvater Billy Bob Holland zum Leben, der für die Unabhängigkeit von Texas gekämpft hatte und davor aus einer Kettensträflingsgang in Louisiana entkommen war.

Sich duchschlagen: Eine lange Latte von Jobs

Während in den USA die Präsidenten Nixon (1969 – 1974), Gerald Ford (1974 – 1977), Jimmy Carter (1977 – 1981), Ronald Reagan (1981 – 1989) regierten, schlug James Lee Burke sich mit allerlei Gelegenheitsjobs durch. Seine Frau Pearl, eine Bibliothekarin, mit der er bis heute zusammen ist, hatte er jung geheiratet, bald gab es vier Kinder zu versorgen. 1955 bis 1957 studierte er an der University of Southern Louisiana at Lake Charles, 1959/60 seinen Bachelor in englischer Literatur an der University of Missouri gemacht.

Als Englischlehrer kehrte er an die Southwest Louisiana zurück, bekam dann aber keine Verlängerung seines Lehrauftrags. 1962 bis 1964 arbeitete er als Sozialarbeiter auf der Skid Row von Los Angeles, war für kurze Zeit Reporter in Lafayette und jobbte dann 1965/66 als Schweißer bei einer Öl-Pipeline in Texas, als Landvermesser in Colorado, als Öl-Makler in Louisiana, als Lkw-Fahrer beim United State Forest Service und gab im Kohlengürtel von Kentucky Englischkurse. An insgesamt fünf US-Colleges lehrte er kreatives Schreiben, darunter in Missoula/Montana, in Wichita/Kansas und am längsten in Miami am Dade Community College, wo aus seinem Kollegen Charles Willeford bald ein guter Freund wurde. (James Lee Burkes Rede für die Trauerfeier von Charles Willeford 1988 finden Sie hier exklusiv bei CrimeMag.)

Ab 1970 gab es für James Lee Burke, den seine Freunde Jim nennen, ab und zu ein Stipendium. Mit dem Geld sah es immer mau aus, knapp auch wegen seiner Trunksucht, die er erst ab 1977 zu besiegen begann.

burke-lostgetbackboogieEndlich der Bann gebrochen

Nach über hundert Ablehnungen für seinen Roman The Lost Get-Back Boogie hörte er auf den Rat seiner Frau, wechselte seinen Agenten und klopfte bei seiner alten Universität an. Die brachte am 28. November 1985 einen Band mit Erzählungen (The Convict And Other Stories) und auf den Tag genau ein Jahr später dann The Lost Get-Back Boogie heraus, der sogleich eine Nominierung für den Pulitzerpreis erhielt, Amerikas höchsten Literaturpreis. Kurz zuvor hatte Burkes neuer Agent – dem er bis heute die Treue hält – den Kriminalroman The Neon Rain als Hardcover bei St. Martin’s in New York untergebracht. Der Bann war gebrochen. The Neon Rain erschien am 1. März 1987.

Der Ich-Erzähler von Lost Get-Back Boogie ist der Kriegsveteran und Country-Musiker Ivy Paret. Das Buch beginnt mit seiner Entlassung aus dem Louisiana-Staatsgefängnis von Angola, wo er zwei Jahre wegen Totschlags in einer Arbeitskolonne hatte schuften müssen. Jetzt will er nach Montana, auf die Ranch eines Freundes, um dort Frieden zu finden. Der ist ihm nicht vergönnt. Die Nominierung für den Pulitzer-Preis (dies für ein 111 Mal abgelehntes Buch) brachte Burke auf die literarische Landkarte zurück – und in den folgenden Jahrzehnten festigte er seinen Ruf als meisterhafter Erzähler mit Kriminalromanen.

„Ich bin Lieutnant Dave Robicheaux vom New Orleans Police Department“, mit diesen Worten im zweiten Absatz von Neonregen (The Neon Rain) stellt sich ein Erzähler vor, der uns mit ins Staatsgefängnis von Angola, Louisiana, nimmt und uns in eine Geschichte verwickelt, die noch nicht zu Ende erzählt ist. Insgesamt 20 Romane mit Dave Robicheaux sind es bis heute geworden. Es ist eine der ganz großen Reihen der Kriminalliteratur.

burke-heavens_prisonersEin Edgar für seinen dritten Kriminalroman

James Lee Burke war 1987, beim Erscheinen von Neonregen, 51 Jahre alt. Schnell folgten Heaven’s Prisoners, der mit Alec Baldwin in der Hauptrolle verfilmt wurde und Black Cherry Blues, für den es 1990 einen „Edgar“ gab. Das war der Durchbruch, der ihm erlaubte, ab nun hauptberuflich zu schreiben. Mississippi Jam (Pendragon, 2016), der siebte Dave-Robicheaux-Roman, war sein erster Titel auf der Bestsellerliste der New York Times.

1989, kurz bevor es den „Edgar“ für Black Cherry Blues gab, führte ein Journalist namens Wallace Stroby eines der ersten großen Interviews mit James Lee Burke. Es war jener Wallace Stroby, der mit Kalter Schuss ins Herz (Pendragon, 2015) inzwischen auch deutschen Lesern als Krimiautor bekannt ist.

Woher Dave Robicheaux denn so plötzlich gekommen sei, fragte Stroby ihn damals. Burke antwortete: „Gegenüber meinen allerersten Romanen habe ich die Richtung nicht entscheidend geändert, die Themen sind die gleichen geblieben. Die einzig fundamentale Änderung ist die, dass der Ich-Erzähler ein Polizeibeamter ist. Ich denke, dass Dave eher mich erfunden hat als ich ihn. Meine Charaktere wohnen in meinem Unbewussten, es ist wie Michelangelo gesagt hat: Er habe die Statue nicht gemeißelt, er habe sie nur aus dem Marmor befreit.“

Robicheaux, das ergänzte Jim mir auf Nachfrage, ist für ihn der Jedermann aus den Moralstücken des Renaissance-Theaters. „Er versucht denen eine Stimme zu geben, die keine haben. Er versteht die kleinen Leute. Und er hat einen sechsten Sinn für das, was geschehen wird – auch das Schlimme –, aber er kann es nicht verhindern. Er repräsentiert, was ich am meisten bei Menschen bewundere, nämlich Mut. Er hat das Herz am rechten Fleck.“

chop-burke-neonregen-pendragon-2016-2Bis heute sieht James Lee Burke sich nicht unbedingt als Kriminalschriftsteller. „Genre, das interessiert mich nicht besonders. Mich interessiert, das, was man ‚conditio humana‘ nennt, die Bedingungen dessen, was es heißt, ein Mensch zu sein“, betont er. Freilich: zweimal der „Edgar“ und der „Grand Master der Mystery Writers of Amercia“, der „Grand prix de littérature policière“, der „Prix Mystère de la critique“, der „Hammet-Preis“, der britische „Gold Dagger“, zahlreiche weitere Auszeichnungen und 1995 und 2015 der „Deutsche Krimi Preis“, zeigen den weltweiten Rang und die überall geachtete Qualität von James Lee Burke in der Kriminalliteratur.

Da schreibt ein amerikanischer Südstaatenautor jahrzehntelang über die Bayous von Louisiana und über New Orleans, detailgenau, anschaulich und herzschmerzschön – die Leser von Sturm über New Orleans (Pendragon, 2015) oder Mississippi Jam,  Neonregen und Blut in den Bayous (alle Pendragon, 2016) wissen das –, schreibt über einen von inneren Konflikten zerrissenen Detektiv und seinen gerne überkochenden Gefährten Clete Purcell, da bewegt ein Autor sich auf klar umrissenem Grund – und ist dabei so universell, dass seine Romane in mehr als 40 Ländern der Welt begeisterte Leser finden. „Für mich repräsentieren der Süden und der amerikanische Westen all das, was Amerika als Nation und was uns als Menschheit ausmacht, im Guten wie im Schlechten“, sagt er. „Die Herausforderung für einen Künstler und Autor ist es, die größere Geschichte in ihrem kleinsten Bestandteil zu erkennen, so als ob man durch die genaue Betrachtung eines Sandkorns von einem ganzen Strand erzählen könnte.“

Denen eine Stimme zu geben, die keine haben, dieses politische Anliegen James Lee Burkes zieht sich bereits breit durch Neonregen, seinen ersten Roman mit Dave Robicheaux. Ein Thema darin sind die geheimen Waffenlieferungen der CIA an die Contras in Mittelamerika, der Zusammenhang mit dem Rauschgiftschmuggel und die an der Zivilbevölkerung wie auch an amerikanischen Ordensleuten verübten Massaker. Neonregen entstand, bevor die sogenannte Iran-Contra-Affäre öffentlich wurde. Der US-Kongress befasste sich mit Iran-Contra in einem kleinen Ausschuss ab Sommer 1987 (Vorsitzender war der spätere US-Außenminister John Kerry), es gab nur wenig Öffentlichkeit.

Der Abschlussreport erschien am 13. April 1989, es war der allererste Kongressbericht, in dem je US-Behörden die Kollaboration mit Drogenhändlern nachgewiesen wurde. Die großen Nachrichtenagenturen und Medien spielten die Sache herunter. Anstelle von Titelzeilen und Aufmachern gab es nur kleine Artikel. Die 850 Worte der New York Times landeten auf Seite 8. Bei der Washington Post war es die Seite 20. Die Los Angeles Times brachte es auf Seite 11. Wohlgemerkt 1989. Neonregen erschien am 1. März 1987. James Lee Burke wusste von den Hintergründen durch seine Arbeit bei Amnesty International und fand, ein Kriminalroman sei das richtige Medium, so etwas öffentlich zu machen. Das hält er bis heute so. Bei ihm ist der Kriminalroman politisch – und poetisch schön.

Alf Mayer

Weitere Artikel über James Lee Burke bei CrimeMag (nur Auswahl, nicht vollständig):

CrimeMag 5. Dezember 2015: Glut und Asche: Donnergrollen über Texas.

CrimeMag 6. September 2015: James Lee Burke himself über seinen Roman Glut und Asche.

CrimeMag 28. Februar 2015: Sturm über New Orleans: Roman aus einer Kriegszone.

CrimeMag 25. Oktober 2014: Regengötter: Reinstes Genre, reinste Literatur.

James Lee Burke Sturm über New OrleansGlut und Asche von James Lee BurkeRegengoetter von James Lee Burke

 

 

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