Geschrieben am 14. September 2013 von für Bücher, Crimemag

Alf Mayers „Blutige Ernte“: Michael Robotham: Sag, es tut dir leid

sag_es_tut_dir_leid_robothamInternationale Meisterklasse

– Michael Robothams neuer Thriller „Sag, es tut dir leid“.

Es gibt sie, jene Ausnahmeautoren, die einen makellosen Kriminalroman nach dem anderen vorlegen. Der Australier Michael Robotham gehört zu dieser internationalen Meisterklasse. Das ist sie auch schon, die Kurzkritik zu seinem achten Thriller, „Sag, es tut dir leid“ betitelt und hier bei CrimeMag um einen exklusiven Text von Robotham himself ergänzt. „When Children Don’t Come Home“ erklärt seine persönlichen Bezüge zu diesem grausamen Thema und zu seinem neuen Roman.

Im Mittelpunkt von „Sag, es tut dir leid“ (Say You’re Sorry) steht die Suche nach zwei vor drei Jahren verschwundenen Mädchen im Teenageralter, steht bei einem solchen Autor aber noch viel mehr. Ohne je ins Thesenhafte zu verfallen oder Botschaften zu versenden, erzählt Robotham von Familie heute, von den Konflikten und Problemen Heranwachsender, von Mediengesellschaft und Tragödien, und besonders schön von komplizierten Vater-Tochter-Beziehungen. Es menschelt bei ihm auf eine ganz und gar unkitschige und unverstaubte Art; anders als viele Autoren auf dem Gebiet des Psychothrillers erliegt er nie den Gefahren von Dämonisierung oder bloßem Geraune vom „Bösen“. Seine Psychopathen sind ebenso glaubwürdig wie seine Hauptfiguren.

Der an Parkinson leidende Psychologe Joe O’Loughlin, geschieden und seiner 15-jährigen Tochter Charlie nicht immer gewachsen, löst seine Fälle nicht mit Waffengewalt – fürs besonnen Gröbere ist sein Freund Vincent Ruiz zuständig, ein gruffiger ehemaliger Polizist mit bärbeißig sarkastischem Charakter. Joe O’Loughlins Waffe ist der Verstand, und das Schöne ist, er nimmt uns mit zu seinen Überlegungen. Joe O’Loughlin will verstehen. Die Thriller des ehemaligen Investigativ-Journalisten Robotham sind so nicht nur komplexe Ermittlungen mit all den Irrwegen und Untiefen polizeilicher Arbeit, sie sind auch aufregende Reisen in schwierige Charaktere und Seelenleben. Das alles mit einem klaren, festen Strich und zum Anfassen glaubhaften Realismus gezeichnet.

Michel Robotham (© Stefan Erhard/Literaturtest)

Michel Robotham (© Stefan Erhard/Literaturtest)

Oxford ist überall

Real, das ist in „Sag, es tut dir leid“ zum Beispiel Oxford und Umgebung zur Weihnachtszeit, während der die Geschichte spielt. Der Ort kommt uns familiär vor, Robotham macht ihn zu einer Metapher für unsere eigene Gemeinschaft. Egal wo wir wohnen, das sind unsere Nachbarn, das sind Menschen, die wir kennen und deren Darstellung wir glauben. Nicht umsonst wird Robotham in vielen Ländern gelesen und geschätzt. Oxford, zum Beispiel, ist überall, weil es wahr ist, was der Autor da entwirft – und dabei selbst, dies keine kleine Tat, ins Unsichtbare verschwindet. Robotham ist ein demütiger, uneitler Autor ohne Faxen. Er legt es nicht darauf an, dass wir ihn clever finden oder den neuen Thomas Mann, seine Kraft und Energie steckt er in die Plausibilität und die Dynamik seiner Erzählung, ein Uhrmacher von Schrot und Korn. Und sie ticken, seine Bücher: makellos, perfekt, begeisternd rund. In aller Lesefreude schwingt bei mir immer auch Bedauern mit, wenn ich bei ihm mit einem neuen Buch „durch“ bin.

Wird gerne übersehen: ein Psychopath, wenn er erfolgreich ist

„Sag, es tut dir leid“ erzählt sich in zwei Stimmen. Die eine gehört Joe O’Loughlin, den wir ziemlich zu Anfang bei einer Vorlesung treffen, wie er über Bernie Madoff redet, das Modell des erfolgreichen Psychopathen, der als Typus von der Wissenschaft zugunsten der offenkundigen Looser und Freaks vernachlässigt bleibt.

„Es gibt da draußen viele wie ihn. Sie gehen in die Wirtschaft, die nationale oder die internationale Politik, die Wissenschaft, ins Rechts- oder Finanzwesen und verfolgen ihre Karriere mit skrupelloser, zielstrebiger Effektivität, unbeeinträchtigt von moralischer Ungewissheit oder Schuldgefühlen, ohne Rücksicht auf irgendjemanden.
Sie hintergehen Kollegen, unterminieren Rivalen, ruinieren Feinde, fälschen Beweise, verdrehen die Wahrheit, lügen, stehlen und fahren mit allen Schlitten, die sich ihnen in den Weg stellen … Sie fangen Kriege an … vernichten die Machtlosen, korrumpieren die Unschuldigen. Und immer mit der exklusiven Freiheit zu wissen, dass sie nachts friedlich schlafen werden.
Das sind nicht die Psychopathen, die Sie und ich in unseren Praxen behandeln. Vielleicht ist das gut so. Vielleicht geht es nicht darum, sie zu behandeln. Sie sind keine gebrochenen Existenzen … sie existieren einfach.“

Joe mit seinem trockenen und auch gegen seine Krankheit trotzigen Humor ist immer für Beobachtungen gut, wie etwa: Spiegel haben einen interessanten Effekt in einem Verhörraum, denn Menschen haben Probleme beim Lügen, wenn sie sich selbst dabei zusehen. In Robothams neuestem Thriller „Watching You“, in dem er sich selbst übertrifft, sagt Joe einmal zu Ruiz: „You’re most married divorced man I’ve ever met.“

Eine Stimme wie aus der eigenen Kindheit

Die andere Stimme gehört der entführten Piper Hadley und hebt im ersten Satz des Buches an:

„Ich heiße Piper Hadley
und werde seit dem letzten Samstag der Sommerferien vor drei Jahren vermisst …“

Neun Buchseiten hat dieser erste Tagebucheintrag, ein starkes Stück Kriminalliteratur, setzt er doch nicht nur den Kammerton des Buches und lässt erkennen, dass dieses Mädchen es faustdick hinter den Ohren hat. Robotham, der mit seiner Frau und seinen drei Töchtern in Europa unterwegs war, als Madeleine McCann im Mai 2007 aus einem Ferienapartment in Portugal verschwand – siehe seinen Text – analysiert mit Piper Hadleys völlig glaubwürdiger Stimme die Reaktionen auf ihr Verschwinden, kommentiert die ersten Medienberichte und deren allmähliche Veränderung in Ton und Haltung, zeigt die gesellschaftlichen Projektionen und die Macht der Gerüchte in einem solchen Fall, zeigt die Reibung von Trauer und Sensationalismus, lässt eine von all dem Betroffene zu Wort kommen. Eine interessante und lohnende Idee.

„Jeder hatte eine Geschichte über uns zu erzählen – sogar die Leute, die uns nie leiden konnten … Die Leute haben uns einen unechten Heiligenschein verpasst, uns zu den Engeln gemacht, die sie sich gewünscht hätten …“

Michael-Robotham-auf Avalon BeachPipers Tagebuch ist witzig und traurig, beklemmend und forsch, voller Selbstzweifel und Halbstarkentum, manchmal herzerweichend. Pipers Stimme klingt echt, als würde da etwas aus der eigenen Kindheit zu uns flüstern. Robotham, ein wirklich netter Kerl, wenn man ihn trifft, ein Familienmensch, hat genau hingeschaut und hingehört, ist ein Experte in Familiendynamik. „Sag, es tut dir leid“ handelt zu guten Teilen von Vätern und Töchtern: von guten, schlechten und monströsen Väter, auch die Töchter keine Heiligen. Menschen eben. Alle haben sie nur brüchigen Boden unter den Füßen, Robotham verkleistert nichts. Immer wieder musste ich beim Lesen an eine Zeile in Leonard Cohens „Anthem“ denken:

„There is a crack in everything.
That’s how the light gets in.“

Beim heftigen Finale muss Joe über einen großen Schatten springen. Dies Trauma wird ihn auf immer verfolgen. Die eigene Menschlichkeit zu bewahren, das ist diesem Autor ein wichtiges Thema, auch deswegen sind seine Charaktere so greifbar. Auch deswegen will man endlich mal Joe O’Loughlin und Vincent Ruiz persönlich kennenlernen. Oxford ist ja schließlich überall.

Alf Mayer

Michael Robotham: Sag, es tut dir leid (Say You’re Sorry, 2012) Roman. Deutsch von Kristian Lutze. München: Goldmann 2013. 480 Seiten. 14,99 Euro. Verlagsinformormationen zum Buch. Michael Robotham bei CrimeMag finden Sie hier und hier. Und noch ein interessanter Artikel.

Die Bücher von Michael Robotham:
Adrenalin (The Suspect, 2004), Goldmann 2005
Amnesie (The Drowing Man, auch: Lost), Goldmann 2006
Todeskampf (The Night Ferry), Goldmann 2008
Dein Wille geschehe (Shatter, 2008), Goldmann 2010
Bis du stirbst (Bombproof, 2008), Goldmann 2013
Todeswunsch (Bleed For Me, 2010), Goldmann 2011
Der Insider (Wreckage, 2011), Goldmann 2012
Sag, es tut dir leid (Say You’re Sorry, 2012), Goldmann 2013
Watching You, 2013

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