Geschrieben am 26. Juli 2014 von für Bücher, Crimemag

Michael Robotham: Erlöse mich

Erloese mich von Michael RobothamCharakter ist alles

Michael Robothams neuer Thriller „Erlöse mich“. Eine Rezension von Alf Mayer.

„Wenn ich dir das verrate, muss ich dich töten“, so heißt der Sammelband der Australian Crime Writers Association, in dem 22 Autoren von down under die Geheimnisse ihrer Arbeit enthüllen (If I Tell You … I’ll Have to Kill You, Sydney 2013). Als Herausgeber des mit einem grausligen Titelbild gestraften, inhaltlich jedoch hochspannenden Bandes fungiert Michael Robotham, zur Zeit der wohl erfolgreichste Aussie-Export, deutlich vor Peter Temple und Garry Disher.

Seine Romane werden in 22 Sprachen übersetzt, anders als Temple und Disher wählt er als den Ort seiner Schauplätze meist London und Umgebung, hat mehr als ein Jahrzehnt dort gelebt und gearbeitet. Der äußerst nette und umgängliche Michael Robotham gehört zu jener raren Spezies von Schriftstellern, die ein zum Nagelbeißen spannendes Buch nach dem anderen vorlegen, niemals eine peinlich-schwache Stelle, nirgends ein Missgriff oder etwas, das die Intelligenz des Lesers beleidigt. Bücher voller Konflikt und Spannung, die dem Genre „Thriller“ alle Ehre machen. Pralle Figuren, die man sich freut, wieder zu treffen – wie den grummeligen Ex-Polizisten Vincent Ruiz und den bei aller Klugheit und Empathie doch ziemlich beziehungsgestressten Psychologen Joe O’Loughlin. „Du bist der am meisten verheiratete geschiedene Mann, den ich je getroffen habe“, stöhnt Joes Freund Ruiz.

©Stefan Erhard / Literaturtest

©Stefan Erhard / Literaturtest

Gerade ist bei uns Robothams siebtes Buch mit Joe und Vincent erschienen, von Kristian Lutze solide übersetzt, sein Titel: „Erlöse mich“ (Watching You). Robert Musil meinte einmal zur inflationären Verwendung des Superlativs, er wäre ja schon zufrieden, wenn man endlich über etwas sagen könne, das Niveau des bisher Erreichten wäre zuverlässig gehalten. Die lange schon untergegangene Zeitschrift Filmkritik brachte einmal einen Aufsatz mit der Überschrift: „Wer schreibt den schönsten Superlativ?“ Dennoch führt kein Weg daran vorbei, hier schlicht zu konstatieren, dass Robotham in „Erlöse mich“ sich selbst übertrifft. Aus dem Alltäglichen, aus einer Nachbarsgeschichte entwickelt sich eine Achterbahnfahrt, die keineswegs nur eine große Steig(er)ung hat. Robotham schreibt seine Leser schwindlig. Erneut zeigt er, was er, der Vater dreier Töchter, von jener „alien nation“ des Teenageralters versteht, von den Konflikten Heranwachsender, Boden für bodenlose Dramen, weder hergeholt noch denunziatorisch vorgetragen – Robotham hat Achtung vor seinen Figuren. Überhaupt ist der Zeigefinger gar nicht seine Sache.

Michael Robotham_If I Tell You ... I'll Have to Kill YouAlle Regel vergessen, außer einer einer

In „If I Tell You … I’ll Have to Kill You“ erzählt der frühere Journalist und Ghostwriter Robotham, wie er unendlich viele Autorenkarrieren und -ratschläge studierte, ehe er zu schreiben begann, wie er dann lernte, all das jederzeit über den Haufen zu werfen, jede Regel zu brechen oder auf den Kopf zu stellen. Die einzige Regel, sagt er, die Bestand habe und immer gelte – dies ebenso auf der Bühne, im Fernsehen und im Kino – sei die, dass es eindrucksvolle Charaktere brauche. Solche, die sich in die Erinnerung brennen, egal ob Außenseiter, Chauvinisten, Serienkiller oder Betrüger, überzeugend müssten sie sein. Je tiefer und reichhaltiger solch ein Charakter sei, desto mehr an Geschichte ergäbe sich aus ihm. „Deine Figur muss immer etwas wollen, dem muss etwas oder jemand im Wege stehen. Das kann Liebe sein oder ein besserer Job, die Aufklärung eines Verbrechens oder der Versuch, jemanden herumzukriegen. Konflikt ist es, was die Bühne macht – und wie deine Figur das löst. 80 Prozent der Anziehung eines Buches kommt von den Charakteren. Wie ein Autor mit seinen Figuren umgeht, das ist es, was Leser zu ihm zurückkehren lässt, noch Jahre nachdem sie Geschichte ihres Lieblingsbuchs vergessen haben. Es ist die Tiefe der Charaktere, die ihnen in Erinnerung bleibt. Es sind die Charaktere, die du als Autor hegen musst.“

Marnie und Marnie

Überflüssig zu erwähnen, dass Joe O’Loughlin und Vincent Ruiz solche starken Charaktere sind. Die beiden haben mit ebenfalls interessanten Personen zu tun. In „Erlöse mich“ ist das Marnie Logan, deren Mann vor Jahren verschwand, ist das ihre Tochter Zoe, ist das ein Beobachter im Schatten, der sich die wichtigste Person in Marnies Leben findet, obwohl sie ihn (noch) gar nicht kennt. Mich hat es gefröstelt. „Ich habe mich verliebt, und ich bin ihr gefolgt, mehr müsst ihr nicht wissen“, lautet der erste Satz des 444-Seiten-Romans.

Marnies Ehemann hinterließ Schulden, nun wird sie erpresst, als Escort zu arbeiten. Ihr dritter Klient, so steigt die Geschichte ein, will nicht, dass sie sich auszieht. Er will nur reden – und hat Selbstmordpläne, wie Marnie zufällig herausfindet. Mit wenigen Strichen entwickelt Robotham eine beklemmende Exposition, sie ist nur die erste Schicht einer Wirklichkeit. Robothams Marnie ist ihrer filmischen Cousine mindestens ebenbürtig, ein Vergleich mit Hitchcocks gleichnamigem Film von 1964 wäre reizvoll, wobei Robotham tiefer als in den 1960ern erlaubt in Obsessionen gräbt und schürft – es sollte aber nun hier nicht der Eindruck entstehen, als ob Robotham Hitchcock variieren wollte, dazu liegen die plots zu weit auseinander und ist seine Heroine am Ende weit stärker.

„Mach dich schön, Weib, und überlass das Denken mir“

Stramm wie Klavierdraht zieht Robotham seine Handlungsstränge, verschränkt Stimmen und Figuren. Da ist in „Erlöse mich“ das Journal jenes Wächters im Schatten, der sich in Marnie verliebt hat, da ist ihre Tochter Zoe, da ist der Erpresser Hennessy, da sind Joe und Ruiz. Robotham hat es zur Meisterschaft entwickelt, Nebenfiguren im Vorbeigehen plastisch werden zu lassen. Etwa Marnies Schwiegereltern aus Australien, die ohne sich zu verabschieden abreisen und es nicht glauben können, dass ihr Mustersohn solche Schulden anhäufte. Norman redet seine Frau nur selten mit Vornamen an, „stattdessen nannte er sie ‚Frau‘ oder ‚Weib‘ und putzte sie herunter, wenn sie eine Meinung äußerte, die nicht mit seiner übereinstimmte. ‚Was weißt du schon, Frau?‘, sagte er dann oder: ‚Du redest Unsinn, Frau.‘ Oder Marnies Lieblingsspruch: ‚Mach dich schön, Weib, und überlass das Denken mir.‘“

Eine der Freuden, vertrauten Charakteren wie Joe und Ruiz wieder zu begegnen, liegt darin, ihr Altern zu beobachten und die gegenseitigen Neckereien zu verfolgen. „Zwei Töchter – du arme Sau“, sagt Ruiz. Joe lebt alleine und in Unordnung, verteidigt sich: „Auch J.D. Salinger hat alleine gelebt.“ Ruiz kontert: „Genau wie der Unabomber.“ Robothams Figuren sind aus Fleisch und Blut, oft mit einem Trotz dem Leben gegenüber. Ruiz erinnert sich irgendwann, wie er bei einer ziemlich schalen Abschiedsparty mit seinem alten Chef zusammensaß, der das große Loch auf sich zukommen sah: „Es kommt mir vor, als wäre ich durchs Leben gerannt und hätte versucht, Zeit zu sparen, und jetzt habe ich zu viel davon. Ich möchte sie zurückgeben, es noch einmal von vorne machen, nur langsamer. „ Er sah Ruiz an. „Vergiss das nicht, mein Sohn. Die Tage eines Menschen bilden zusammengenommen irgendwann einen Kreis, keine Summe. Und wenn alles vorbei ist und man wieder dort ist, wo man angefangen hat, wünscht man sich, man hätte langsamer gemacht.“

Michael_Robotham_Erlöse Mich_Ray Bradbury

Ray Bradbury 1975

Bradburys legitimer Sohn

In seinem Geheimnis-Text erzählt Robotham eine anrührende Geschichte. Nämlich wie er, der später in London arbeitete und als Ghostwriter für Popstars, Soldaten, Abenteurer, Schauspieler 15 Autobiografien schrieb, zwölf von ihnen Bestseller, wie er als Junge in einer kleinen Stadt in Australien die Kurzgeschichten Ray Bradburys entdeckte, mit großen Augen den Anfang von Radburys „The Illustrated Man“ las: Zwei Fremde an einem Lagerfeuer, der eine öffnet sein Hemd, hat Dutzende Tätowierungen auf der Haut, im flackernden Licht beginnen sie zu atmen und sich zu regen, erzählen je ihre Geschichte. Robotham besorgte sich alles von Bradbury, dessen er habhaft werden konnte, aber es blieben Fehlstellen. Also schrieb er an 1221 Avenue of the Americas , New York, weil diese Adresse in den Büchern stand. Monate vergingen. Als er aufgegeben hatte, auf eine Antwort zu hoffen, kam ein Paket. Die Mutter musste es vom Postamt holen.

Der Inhalt: jene fünf Bücher, die es in Australien nicht gab – und ein Brief von Bradbury selbst, in dem er schrieb, wie es ihn freue, einen so leidenschaftlichen jungen Leser am anderen Ende der Welt zu haben. Robotham erinnert sich, wie jener Moment sein Leben veränderte, wie er von nun an selbst ein Schriftsteller werden wollte. Anfang 2012 beschrieb er diese Episode in einem Artikel und benannte Ray Bradbury als seinen literarischen Vater. Einige Wochen später erhielt er eine Mail von Bradburys Tochter Alexandra: „Ich bin gerade fertig damit, meinem Dad aus Ihrem Artikel vorzulesen, Er hat mich gebeten, mit Ihnen Kontakt aufzunehmen und Ihnen auszurichten, wie schön er Ihren Text findet. Er hat geweint beim Zuhören und ich soll Ihnen sagen, dass sie sich als seinen Sohn ehrenhalber betrachten sollen.“

Michael Robotham (ed): If I Tell You … I’ll Have to Kill You. Australia’s Leading Crime Writers Reveal Their Secrets. Mit Beiträgen von Shane Maloney, Marele Day, Peter Corris, Lenny Bartulin, Liz Porter, Garry Disher, Malla Nun, Kerry Greenwood, Geofrrey McGeachin, Angela Savage, Leigh Redhead, Barry Maitland, Tara Moss, Adrian Hyland, Leah Giarratano, Michael Robotham, Katherine Howell, Lindy Cameron, Gabriele Lord, Lindsay Simpson, Peter Larance (ja, Peter Temple fehlt). Allen & Unwin, 320 Seiten, Sydney 2013.

Alf Mayer

Michael Robotham: Erlöse mich (Watching You, 2013). Roman. Aus dem Englischen von Kristian Lutze. München: Goldmann 2014. 445 Seiten. 14,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch und zur Website des Autors. Mehr zu Robotham bei uns gibt es hier, hier und hier.

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