Jahrbuch der Lyrik 2015
Das Buch legt sich quer
Vernichtendes Urteil von Heike Kunert heute in der ZEIT:
„Es mag sein, dass die Lyrikleser aussterben. Indes schreiben ziemlich viele Leute Gedichte. Für das aktuelle Jahrbuch der Lyrik mussten 7.000 eingereichte Texte gesichtet werden. Das lässt doch erst einmal aufatmen. Liest man dann aber die ausgewählten 149 Gedichte, verfällt man schnell in eine von Langeweile und Empörung angetriebene Schnappatmung.
Nach den ersten 50 flüchtet man zu Gottfried Benn; nach weiteren 30 zu Thomas Brasch und Paul Celan, und hat man die Fibel der Lyrik endlich ausgelesen, so begibt man sich unter die Fittiche von Joseph Brodsky. Dieser hat in seiner Rede zur Verleihung des Literaturnobelpreises gesagt, dass es drei Arten der Erkenntnis gäbe: die analytische, die intuitive und das, was von den biblischen Propheten als Offenbarung bezeichnet werde. Die Poesie, so Brodsky, benutze alle drei Erkenntnisarten.
Im Jahrbuch der Lyrik ist keine einzige zu finden.“
Christoph Buchwald, Nora Gomringer (Hrg.): Jahrbuch der Lyrik 2015. DVA
Die Mitgenommenen
Kommentare
Vergleichsgrößen
Wer sich über zeitgenössische Poesie hermacht und mit dem Gestus der vehement blutigen Laienhaftigkeit fordert: Hier müsse mehr Schmerz, Schicksal und Taschentucht (sic, Eindringer) rein und weniger flippige Individualität her; Unverständlichkeit und Kompliziertheit und ethisch-ästhetische Spleens (Kleinschrift, Hermetik) seien der Untergang der Sparte; ... und wer obendrein einer notorisch koketten Spoken-Word-Diva das Nachwort (von der besten aller möglichen Auswahlen fürs JbdL 2015) unkritisch nachbetet, dem (der) wird das auch noch honoriert.
Wer vom Rocknroll leisere Töne erwartet und von moderner Bildkunst mehr Figürlichkeit fordert, gilt als Banause und Spießer - zurecht.
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