Noch nicht nicht mehr
Neu bei Velbrück Wissenschaft: ein Mosaik von Günther Ortmann
Ein zunächst liederlich erscheinendes Geflecht aus bunten Fäden, vielen kleinen Stücken aus dem Alltag und aus der Literatur – von Heraklit bis Pooh der Bär, von Derrida bis Friederike Mayröcker, von Goffman bis Luhmann -, die sich aber zu einem eigentümlichen Webmuster zusammenfügen: zu der Figur des notwendig versäumten Augenblicks. Notwendig, weil ein Noch Nicht unvermittelt, aber unvermeidlich in ein Nicht Mehr umschlägt, ohne ein erlösendes »Jetzt aber!« dazwischen. Was Günther Ortmann – kommentierend, zuordnend, fast poetisch, zuspitzend und überaus vergnüglich – vorführt, sind Virtuosen und Opfer des versäumten Augenblicks, einer notwendigen Vergeblichkeit …
»Occasio, die Göttin der Gelegenheit, hat in mittelalterlichen Beschreibungen ›einen nach vorne fallenden Haarschopf, an dem man sie zu ergreifen hat; wer diesen Augenblick verpasst, hat keine zweite Chance, denn von hinten ist die Dame kahl.‹ (Aleida Assmann). Die Dame war bei den alten Griechen ein Herr: Kairós, und auch der war bereits hinten kahl (und hatte geflügelte Füße). In seiner rechten Hand hielt er ein Messer, wie in ›auf des Messers Schneide‹. Der karge Haarwuchs am Hinterkopf des kairós und der Occasio, das ist die kahle Stelle zwischen Noch Nicht und Nicht Mehr.«
Christian Morgenstern
Gespräch einer Hausschnecke mit sich selbst
Soll i aus meim Hause raus?
Soll i aus meim Hause nit raus?
Einen Schritt raus?
Lieber nit raus?
Hausenitraus
Hauseraus
Hauseritraus
Hausenaus
Rauserauserauserause ...
(hier gelesen von Gert Fröbe)
Leseprobe aus: Günther Ortmann: Noch nicht/Nicht mehr. Wir Virtuosen des versäumten Augenblicks.
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