Lit-Ex Literaturmagazin




aktuelle Ausgabe (... work in progress)
archivierte Ausgaben
InhaltsŸbersicht aller Artikel







 

Magazin für Verrisse aller Art    Archiv

Herausgegeben von Hans Dieter Eberhard

   



AUSGABE 10


RESTMÜLL UND VERBLÖDUNG

zu Stieg Larsson: Verblendung


Zeiten gibt's, da braucht man mal ein Buch zur bloßen Zerstreuung, zum sogenannten Zeitvertreib. Da mag es dann geschehen, daß man Pech hat und an ein Buch gerät wie Verblendung von Stieg Larsson (Heyne Verlag). Natürlich gerät man nicht durch Zufall an dieses Buch, ward es doch landauf landab von führenden Qualitätsrezensenten dergestalt gehypt worden, daß sich die Balken bogen. Seit Jahren schon stopfen uns diese skandinavischen Autoren, von denen einer miserabler als der andere ist, mit den Ausquetschungen ihrer gestörten Phantasie voll. Henning Mankell war noch der erträglichste, weil er bei der Darstellung seines Oberhauptkommissars Wallander narrative Qualitäten zeigte, die den anderen, allen voran Stieg Larsson, gänzlich unbekannt sind. Dennoch nervten schon bei Mankell die absurd wirklichkeitsfremden, hemmungslos ausgeklügelten Gewaltverbrechen, die noch dazu in einer durch und durch dösig-friedfertigen Gegend in Südschweden in einer sehr umschriebenen Region sich ereignet haben sollten.
Muß man annehmen, daß hier stellvertretend für den schwedischen Mann, der europaweit als depressives Weichei verschrien ist, einmal so richtig die Sau herausgelassen wird? Ist etwa exzessiver Sadomasochismus das geheime Komplement zum aggressionsgehemmten nordischen Durchschnittsdemokraten?

Abgründe öffneten sich da, aber das sind Fragen, mit denen man die intellektuelle Bescheidenheit des Larssonschen Werks massiv überfordert, und wir haben nicht die geringste Lust, über die ungewöhnlich dämliche, ja schwerdebile Handlung dieses Buch ein weiteres Wort zu verlieren.
Larssons Geschreibsel zeichnet sich vor allem durch eine penetrante Logorrhoe und eine von keiner Lektorenhand gebremste Redundanz aus. Das Buch wirkt wie eine ins Aschgraue aufgeblähte Reportage eines schäbigen Enthüllungsreporters, der für ein Boulevardblatt arbeitet und keiner Sprache mächtig ist. Selten waren Beschreibungen unbeholfener und holpriger als in diesem freudlosen Buch, selten ballten sich abgedroschenste Klischees und Stilblüten so haldenartig wie hier. Wir dürfen kurz zitieren:

Sie waren sich einig, dass es bei ihrer Beziehung um Sex ging . . . und Mikael hatte sich oft gefragt, ob er für eine andere Frau je so eine wahnsinnige Begierde empfinden könne wie für Erika. Sie funktionierten einfach perfekt miteinander. Sie hatten ein Verhältnis, das nicht weniger abhängig machte als Heroin . . . Doch so wie der Alkoholiker nach einer abstinenten Phase stets wieder loszieht und sich neuen Schnaps besorgt, kehrten auch die beiden immer wieder zueinander zurück, um sich eine neue Dosis zu holen (S. 78) . . . und innerhalb von ein paar Wochen waren alle Vorsätze den Bach runtergegangen, und eines abends hatten sie heftigen Sex auf ihrem Schreibtisch gehabt (S. 79) . . . Bjurman war ein serious pain in the ass oder, wie ihr dämmerte, auf dem besten Wege sich zu einem major problem zu entwickeln (S. 242) . . . Doch sobald sie in ihrem Schlafzimmer waren, kannte ihre Leidenschaft keine Grenzen (S. 283) . . . Es war ein warmer sonniger Maitag. Mittlerweile war wirklich fast alles grün geworden, und Mikael ertappte sich dabei, wie er ein Frühlingsliedchen summte. (S. 339) . . . Dann warf er sich in den Schützengraben und zerbrach sich fast alle Knochen, als er auf seiner Schulter landete (S.487)

Nein, das sind keine Ausrutscher, auch nicht das Frühlingsliedchen, das ist der gängige Duktus der Sätze in diesem Buch, also das was man so Stil nennen könnte, falls es sich denn um Stil handelte. (Manches geht sicher auf das Konto der Übersetzerin, einer Dame namens Wibke Kuhn, aber das wäre eine faule Ausrede, darum muß man das nicht weiter kommentieren.)
Larsson kann weder eine Situation anschaulich beschreiben, noch Dialoge oder erlebte Rede gestalten, er besitzt nicht einmal die Fähigkeit, seine Personen irgendwie sinnlich erahnbar zu machen. Selbst die Protagonisten Mikael Blomqvist und Lisbeth Salander kommen über das Niveau gesichtsloser Schaufensterpuppen nicht hinaus.

Wohlgemerkt, wir haben hier keine riesigen Ansprüche, von einem Kriminalroman erwarten wir einfach ein bißchen Spannung und Unterhaltung, und dazu genügt ein nicht allzu hoher Standard handwerklichen Könnens, siehe z.B. Mankell.
Stieg Larsson erfüllt nicht einmal diesen Mindestanspruch, er ist einfach ein hypertropher Provinzreporter, der zuviel geschrieben hat.

Eigentlich wäre das der Erwähnung nicht wert, denn Bücher dieser Art gibt es in rauhen Mengen, aber immerhin bekommen wir hier wieder einmal eine sehr starke Ahnung von der völligen Sinnlosigkeit, Romane zu schreiben, die zur Kategorie des Abbildungsrealismus gehören, und dafür könnte man durchaus dankbar sein.
Merkwürdigerweise ist der Film, der nach diesem Buch gedreht wurde, gar nicht mal so übel, die Filmleute haben einfach den ganzen Müll aus dem Buch abgeräumt und den Handlungsschwachsinn etwas zurechtgebogen, das reichte dann.
Stieg Larssen hat davon nichts mehr mitbekommen, denn er starb, wie man las, bereits 2004 an den Folgen eines Herzinfarktes. Rein menschlich bedauern wir das.

Pater Ralph de Fricassee






AUSGABE 10     INHALT