act one: wir ringen auf uns zu dem pol und pool,
wir sind das eis in euren kalten herzen,
in euren drinks die older school
und reimen schlicht das heiß auf schmerzen.
act two: ihr seid das ungeschlacht
der populisten, strunzdumm ist dieses volk,
das uns einstmals bewacht,
in das gefängnis uns verfolgt.
act three: da ist der wendepunkt,
den ihr so hässlich schafftet der mauer und der’n sturm, gefunkt,
wie ihr seither im ost wie westen fucktet –
act four: das völkchen neu gebor’n:
doch seid gewiss, dass wir nicht folgen
dem teutschen volk und sein’m gestorm,
doch werden’s lassend euch besorgen!
und wenn ich, schiene es noch,
senkte ins grab mein gedichtet gebein,
dann spräche aus knoch’
immerdar mein geweintes wie wein,
den man öffnet (so rot wie mein blut)
und ATMEN lässt, bevor du ihn trinkst.
denn was reimte ich? – hier ist es gut,
weil einst du mit mir darinnen versinkst.
und wenn ich, läse ich’s laut,
an solchem endlich verstürbe,
in das ich tief wie in gläser geschaut,
blieben uns würde – und bürde.
denn was ich geschrieben, bleibt länger
liegen in netzen und auf dem papier,
als wäre noch, denen ich schwänger
den leib, ihr geboren allhier.
so leb’ ich in solchem,
das ich GEWORTET,
verschenke den molchen
nicht meine zunge, verortet
in euren, die ihr dann zitiertet
das dürreste meines geverset:
gedenket mir nicht, doch wiehret
wie jenes TIER, wenn es gefährdet.
… weiß ich doch, wenn ich ehrlich bin.
was aber hieße „ehrlich“, weiß ich nicht.
ich spür’s, das über aller vers’ gewinn,
und welches darob mir die pflicht
den menschen bei mir ist: sie nicht verletzen,
sie hören an in ihr’m und also mein’m
zerwürfnis mit uns selbst, der welt. geheim
soll solches mir nicht sein. zu schätzen
ist das geschenk des wirklich lebens
fern der und mehr in meiner kunst.
die beiden waren nah gedacht, verwegens,
doch reimen sich nur als der schwund:
die zecherin die eine, jeden krug geleert,
der auf ihr wortzerlos’nes lipplein kam.
das andere, das spür’ ich, so beschwert,
ist von geburt am tode dran.
und deshalb mehr zu achten
als jeder kunst geworte und geschlängel:
dass meiner worte manche lachten;
kaum weniger als sündiges getändel.
wovon ich nicht weiß, jetzt gewusst,
mög’ euch und mir verständnis weiten.
nicht dass ich hätt’ am dichten lust,
nur das: es mög’ euch lieb’ bereiten.
Der Vorleser Nils Aulike und der Autor Jörg Meyer (ögyr) lasen am 1.11.2016 im Kieler Künstlercafé Godot eigene und fremde Texte von der Zeit.
(Foto: Michael Kaniecki)
Was sie sei, mit dieser Frage beschäftigten sich seit Jahrhunderten Theologen und Philosophen. Ungreifbar und individuell, quälend langsam oder wie im Flug, ist die Zeit ein ganz eigener Weltenraum, in Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft, aber auch in der Erinnerung.
Aulike & Meyer nutzen den dehnbaren Begriff der Zeit für eine Reise durch die bestimmendste und zugleich flüchtigste Dimension der Welt. Oder, wie es der 2009 verstorbene Kieler Dichter Klavki formulierte: „Der Tod hat ein Datum. Das Leben nicht.“
Auf vielfachen Wunsch hier der Audio-Mitschnitt der Lesung:
Teil 1 (48 Min.):
Teil 2 (37 Min.):
Und hier Links zu den dabei gelesenen Original-Texten von ögyr:
ach, nach vier woch’n fällt das laub jetzt wirklich,
liegt leichenbunt auf allen meinen straßen,
da bin ich – solchem einerlei – versprech’ mich
und schau mich an im spiegel meiner strafen.
die leg’ ich selbst mir auf und an, gewand
der nacht, in t-shirt und der unterhose
am schreibtisch, wo mich tasten wiederfand
im denken, schreiben, fühlen, wichsen – lose.
nocheinmal diese strenge form, korsett,
verweigernd, feiert hier doch das sonett
im reimgeschwind sein fröhlich urgeständ.
als könnt’s nicht anders, leibt es noch als schaf
und hat noch vor ein zehnfach sich verschwend’,
bevor ich drüber buchgestäbe brach.
5
es muss sich so vollenden: noch die fünfte
sonettensymphonie. denn während ich
bekifft saß auf der party gestern, hüpfte
ein seifenfläschchen in die zeilenpflicht.
aus rosen wie der liebe unverstand
war es erblüht. und wie ich’s daraus goss
in meine scribble-scrabbelnd dichterhand,
war’s duftend, was aus solchem ich genoss.
es war auf der toilette eines weibchens,
wo sitzen muss der mann und nicht versprüht,
was aus ihm rinnt, dies trüb vergilbte schleichen,
das schwarz bis licht und weiß an ihr verglüht.
ich wasch’ mich, bärig bärtig in der maske,
ich weiß, dass ich bei ihr nicht lange raste.
6
am folgetag nach dieser nacht-imago
entschlüpf’ ich dem kokon als blätterfalter.
ich flüg’le kurz, dann brennend wie schiwago
an seiner lara schwerster brand-verwalter:
ein omar und sharif der antipowa.
ich träumte scharf und „om!“ von hollywoods,
von kriegen, frieden, russland und der shoa,
denn es war herbst und alle ohne schutz –
ein deutscher herbst wie sieben und auch siebzig,
ein fall wie im november neu und achtzig,
und ein vergehen wie das welke blatt,
das über straßen weht und keine ampel,
nicht ihre farben kennt, nur das gehampel,
das jedes wort, das ich gedichtet, hat.
7
auf halbzeit nun und in die blaue pause
schreibt reimend immer noch mein ich – und wischt
die wohlgefall’nen verse in die jause,
in eichenlaub und derb geschnitzten tisch.
denn ich erlaube mir noch einmal laub,
gefallenes nach frühling zu besingen.
in den gewinden meiner schrägen schraub’,
zieh’ ich register allen orgelklingens.
es wird absurd, wie das so nette kettet
den einen an den and’ren heimend vers.
es muss ein abschied sein, und der verzettelt:
hier ist der alt verweg’nen form ein herbst.
ich geb’ ihm meine blätter zum verwelken,
reim’ längst schon nicht mehr rein in solche kälten.