vom eise und der finsternis #3

es fliegen die schwarzen,
die krächzenden krähen
am schlimm’ren, den karzern,
vorbei in des himmels verwehen

an diesem novembrigen morgen.
es trinken die trunk’nen
und lüst’ren, in solchem verborgen,
ihr letztendlich glas, so versunken.

kein leuchtturm am schelf,
blinder sein aug’ an der küste.
kein traum kann befeuern sich selbst,
nur den schlaf: wenn der wüsste …

so lag ich an solchem gestade
und tränen, die froren mir
zu eis in meinem gefrage:
was wär’ ich, als solches, noch dir?

es flogen die vögel,
ihr schwarzes gefieder erwärmte
die dürreren knochen, vermöge
des seins, das sich ihrer verschwärmte.

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vom eise und der finsternis #2

(ein hassgedicht den hassern)

„we have absolutely no option but to move forward“ (Ice-T)

i am the ice, motherfuckin’ T
i can’t put any care on the product.
in dieses eises zeit bin ich der sinn vom nie
und seiner symphony der fünfte akt.

act one: wir ringen auf uns zu dem pol und pool,
wir sind das eis in euren kalten herzen,
in euren drinks die older school
und reimen schlicht das heiß auf schmerzen.

act two: ihr seid das ungeschlacht
der populisten, strunzdumm ist dieses volk,
das uns einstmals bewacht,
in das gefängnis uns verfolgt.

act three: da ist der wendepunkt,
den ihr so hässlich schafftet
der mauer und der’n sturm, gefunkt,
wie ihr seither im ost wie westen fucktet –

act four: das völkchen neu gebor’n:
doch seid gewiss, dass wir nicht folgen
dem teutschen volk und sein’m gestorm,
doch werden’s lassend euch besorgen!

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vom eise und der finsternis #1

vom eis befreit ist nicht der frühling,
allein die finsternis.
MEPHISTO ist auch nur ein findling,
fels in der brandung GOETH’scher licks.

eh’r SCOTT, der dann am pol,
nah südlichst’ end’ der welt, verendete.
im zelt noch und „fahr wohl!“
schrieb in sein tagebuch, verwendete

das pathos noch des lichtverwaisten,
wo also schwärzer ist die tinte
im kartenweiß, wohin sie reisten,
auf dass man neue eise finde.

’s ist AMUNDSEN, der vorher war am pol,
hisst’ flagg’ des nordland wegens.
und ARMSTRONG trat vor ALDRINs goal
dem mond ins staubig tor – vergebens.

denn wir entdecken welt
als ewig zweite garde.
wir dichten drittens nach am schelf,
sind viertens nachklangs schöner barde.

vom eis befreit sind eisig
auch uns’re letzten worte.
wir sind das laub und dürrer reisig,
wenn wir erzähl’n vom fernen orte.

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epithel.epitaph

und wenn ich, schiene es noch,
senkte ins grab mein gedichtet gebein,
dann spräche aus knoch’
immerdar mein geweintes wie wein,

den man öffnet (so rot wie mein blut)
und ATMEN lässt, bevor du ihn trinkst.
denn was reimte ich? – hier ist es gut,
weil einst du mit mir darinnen versinkst.

und wenn ich, läse ich’s laut,
an solchem endlich verstürbe,
in das ich tief wie in gläser geschaut,
blieben uns würde – und bürde.

denn was ich geschrieben, bleibt länger
liegen in netzen und auf dem papier,
als wäre noch, denen ich schwänger
den leib, ihr geboren allhier.

so leb’ ich in solchem,
das ich GEWORTET,
verschenke den molchen
nicht meine zunge, verortet

in euren, die ihr dann zitiertet
das dürreste meines geverset:
gedenket mir nicht, doch wiehret
wie jenes TIER, wenn es gefährdet.

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nur ein wink

nur ein wink aus deinen händen,
nur ein wort auf deinen lippen
macht mich stark: aus allen ländern,
allen küsten, deren rippen

brach gelegen, jetzt ein port
gemacht, von dem wir aufgebrochen.
auch das skelett an fleisches ort,
wo’s klappert, dem wir anverflochten

als mensch und menschen einverstanden,
dass einer nicht des and’ren wolf,
doch sei ein hilf’ dem angelanden
an förden, buchten oder golf.

und ist’s auch, dass sie uns benennen
und hämen uns als gutgemensch:
es bleibt ein rest in dem bekennen:
ein kuss ist’s jenseits ihrer schänd’,

ein anvertrauen jeden tag
und auch in nacht, die schlimm verschlafen,
wo manchen noch am herzen lag,
was tickt durch facebooks telegrafen

nur als ein „like“. doch solches „like“
müsst’ allen sein, verwundeten,
den totgesagten, dass nicht schweigt
ein jeder so bekundeten

an eig’nen leidesliedern nur.
dass vielmehr wir und all’ versehrte
die hand uns reichten zu dem schwur:
WIR SIND, DIE KÄMPFEN UMS BEGEHRTE!

das ist der wink, den uns der wind,
geschicht’ und gegenwart … die hand
gereicht, dass wir sind taub und blind
nicht mehr für dieses NEUE LAND.

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wovon ich nicht weiß …

… weiß ich doch, wenn ich ehrlich bin.
was aber hieße „ehrlich“, weiß ich nicht.
ich spür’s, das über aller vers’ gewinn,
und welches darob mir die pflicht

den menschen bei mir ist: sie nicht verletzen,
sie hören an in ihr’m und also mein’m
zerwürfnis mit uns selbst, der welt. geheim
soll solches mir nicht sein. zu schätzen

ist das geschenk des wirklich lebens
fern der und mehr in meiner kunst.
die beiden waren nah gedacht, verwegens,
doch reimen sich nur als der schwund:

die zecherin die eine, jeden krug geleert,
der auf ihr wortzerlos’nes lipplein kam.
das andere, das spür’ ich, so beschwert,
ist von geburt am tode dran.

und deshalb mehr zu achten
als jeder kunst geworte und geschlängel:
dass meiner worte manche lachten;
kaum weniger als sündiges getändel.

wovon ich nicht weiß, jetzt gewusst,
mög’ euch und mir verständnis weiten.
nicht dass ich hätt’ am dichten lust,
nur das: es mög’ euch lieb’ bereiten.

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Aulike & Meyer lasen: Von der Zeit (Audio-Mitschnitt)

Der Vorleser Nils Aulike und der Autor Jörg Meyer (ögyr) lasen am 1.11.2016 im Kieler Künstlercafé Godot eigene und fremde Texte von der Zeit.

(Foto: Michael Kaniecki)

(Foto: Michael Kaniecki)

Was sie sei, mit dieser Frage beschäftigten sich seit Jahrhunderten Theologen und Philosophen. Ungreifbar und individuell, quälend langsam oder wie im Flug, ist die Zeit ein ganz eigener Weltenraum, in Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft, aber auch in der Erinnerung.

Aulike & Meyer nutzen den dehnbaren Begriff der Zeit für eine Reise durch die bestimmendste und zugleich flüchtigste Dimension der Welt. Oder, wie es der 2009 verstorbene Kieler Dichter Klavki formulierte: „Der Tod hat ein Datum. Das Leben nicht.“

Auf vielfachen Wunsch hier der Audio-Mitschnitt der Lesung:

Teil 1 (48 Min.):

Teil 2 (37 Min.):

Und hier Links zu den dabei gelesenen Original-Texten von ögyr:

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nacht.zeit

als noch sekunde
sich reimte auf die stunde,
war die zeit.

auf was indes, reimt sich minute?
und was auf tag und jahr,
die woch’, den monat gar?

erinnert ist die gute,
die schlecht’ nicht minder,
beider sind wir ihr erfinder

und zeiger, dreigefaltig,
auf der uhr zur ewigkeit,
die vorher schon das nachher zeigt.

mal langsam und nicht gleich
so große worte vergewaltigt,
wenn das vergangene sich eicht

auf gegenwart zu früh
und jederzeit verspätet,
bevor ein rechen gräber jätet.

denn zeit hat müh’
bei ihr’m vergehen,
weht nicht in dem verwehen,

ist allenfalls ein hauch
und selten nur ein sturm.
der nachbarliche glockenturm

schlägt treulich mir die stunde,
gewissenhaft der uhren lauf,
doch schweiget still zur nacht.

wo manche ohne kunde
verschlafen sie zuhauf,
bin ich in ihr noch wach

und schau erst morgen
wieder auf die uhr,
bin jetzt in ihr geborgen,

vertrau’ auf ihren schwur,
dass lang noch ist’s
bis zu dem tode, der gewiss.

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sweet herbst sixteen (4-7/14)

(14 (letzte) sonette)

4

ach, nach vier woch’n fällt das laub jetzt wirklich,
liegt leichenbunt auf allen meinen straßen,
da bin ich – solchem einerlei – versprech’ mich
und schau mich an im spiegel meiner strafen.

die leg’ ich selbst mir auf und an, gewand
der nacht, in t-shirt und der unterhose
am schreibtisch, wo mich tasten wiederfand
im denken, schreiben, fühlen, wichsen – lose.

nocheinmal diese strenge form, korsett,
verweigernd, feiert hier doch das sonett
im reimgeschwind sein fröhlich urgeständ.

als könnt’s nicht anders, leibt es noch als schaf
und hat noch vor ein zehnfach sich verschwend’,
bevor ich drüber buchgestäbe brach.

5

es muss sich so vollenden: noch die fünfte
sonettensymphonie. denn während ich
bekifft saß auf der party gestern, hüpfte
ein seifenfläschchen in die zeilenpflicht.

aus rosen wie der liebe unverstand
war es erblüht. und wie ich’s daraus goss
in meine scribble-scrabbelnd dichterhand,
war’s duftend, was aus solchem ich genoss.

sonett_handseife_rose_web

es war auf der toilette eines weibchens,
wo sitzen muss der mann und nicht versprüht,
was aus ihm rinnt, dies trüb vergilbte schleichen,

das schwarz bis licht und weiß an ihr verglüht.
ich wasch’ mich, bärig bärtig in der maske,
ich weiß, dass ich bei ihr nicht lange raste.

6

am folgetag nach dieser nacht-imago
entschlüpf’ ich dem kokon als blätterfalter.
ich flüg’le kurz, dann brennend wie schiwago
an seiner lara schwerster brand-verwalter:

ein omar und sharif der antipowa.
ich träumte scharf und „om!“ von hollywoods,
von kriegen, frieden, russland und der shoa,
denn es war herbst und alle ohne schutz –

ein deutscher herbst wie sieben und auch siebzig,
ein fall wie im november neu und achtzig,
und ein vergehen wie das welke blatt,

das über straßen weht und keine ampel,
nicht ihre farben kennt, nur das gehampel,
das jedes wort, das ich gedichtet, hat.

7

auf halbzeit nun und in die blaue pause
schreibt reimend immer noch mein ich – und wischt
die wohlgefall’nen verse in die jause,
in eichenlaub und derb geschnitzten tisch.

denn ich erlaube mir noch einmal laub,
gefallenes nach frühling zu besingen.
in den gewinden meiner schrägen schraub’,
zieh’ ich register allen orgelklingens.

es wird absurd, wie das so nette kettet
den einen an den and’ren heimend vers.
es muss ein abschied sein, und der verzettelt:

hier ist der alt verweg’nen form ein herbst.
ich geb’ ihm meine blätter zum verwelken,
reim’ längst schon nicht mehr rein in solche kälten.

← 1-3

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oldschool erinnert sich …

„sucht und ordnung!“ (herzog)

… an, wie ich war 17 jahr’
an meinen radioapparaten,
aber erstmals verliebt
und erstes gedicht:

war gar nicht schlecht,
normal und nice das geflücht’,
doch in erinn’rung spricht’s
nur die odd school.

die erinnert sich, wie
wir im regen stehen,
ein junger und ein alter mann,
ein bisschen verwe[g/h]en;

doch auch von der newschool her
wird noch in quartetten gedichtet,
und – ich hab’s versprochen – nie mehr
gereimt auf „verzichtet“.

ich müsste lieder schreiben,
nicht mehr in sonetten,
aber will den reim noch ausweiden,
mich mit solchem verketten.

du aber, seh’ ich, bist 17,
verheert ein bisschen wie ich.
„ein wenig wirr“, fällt mir ein,
dem reimen entronnen,

aber noch nicht vieren von versen.
dabei hören wir und finden’s „normal“,
wie die da tanzen, die deppen.
doch wär’ ich gern, wie du

noch einmal 17, zweimal auch,
34 wär’ kaum noch schlimmer
als 51 zuletzt
auf die drei hinters komma gehetzt.

[deine oldschool von jetzt
ist meine zwei gene davor.
und ja, immer noch verletzt,
bin ich seventeen d’accord.]

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