vermutlich unbewusst
verwenden kollegen den daktylus,
dies DAM.da.da.DAM,
betont auf der eins und dann
zwei unbetonte
silben, kulminierend in
doch noch betonter.
so fließen poeme der, ach, mir vertrauten,
und wär’ ich der einzige, lesend ihr maß,
wär ich auch jener, der ihren rauten
bereitet und reimen den quirligen spaß.
wann aber habt ihr, die frag’ sei erlaubt,
in büchern gelesen, wie man es reimt?
oder macht ihr’s einfach
heraus aus dem fühlen?
müsst theorie’n ja nicht erst noch durchwühlen,
wo fließt euch aus füllern
der vers schon auto- und -matisch.
denn singen die dichter auch ihren, den frauen,
verhindert kein maß ihr brünstiges brüllen,
werden sie nicht nach dem schema schauen
und leerschritt fröhlichst auffüllen.
wo aber habt ihr, kollegen, das her?
aus welchem traum flüsterte selbiges ein?
habt ihr’s gehört oder längst schon gesprochen
in jenem rüttelgemüs’, das wir rhythmus geheißen?
aus solchem verwurscht, der pellen poetik,
dem zwirbligen netz des gewortens,
das sprache bewusster beschädigt?
bewusst oder nicht, ihr wurmtet in unsere ohren.
im paarreim haben wir euch das geschworen:
dass das gedicht ist immer ein gegen und an –
so geh’n wir wie ihr an den rhythmus noch ran.
ich habe zweifel an gewählter form,
sonett ist alt, ist gestrig. überhaupt:
warum die strenge hier im teenie.dorm,
wenn alten bäumen fällt ihr nacktes laub?
ja, hab’ erkenntnis, wenn ich solches dichte,
wie die kastanien fall’n aus ihrer frucht.
denn mein gewinn ist, wessen ich verzichte,
begeb’ ich mich in solcher silben flucht.
beschränkung setze etwas frei wie dampf,
lehr’n mich, die vormals selbiges versuchten.
mir scheint es manchmal nur wie zitternd kampf,
wenn verse mir gelingen unter krusten
und blätter werden nach dem schreiben grau,
wie stein gesandt der adressierten frau.
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noch einmal sixteen, dieses junge alter,
wo man noch sprach ins ungereimt vereinte.
es war der pop, der rock, der jazz und punk,
ein unverzagen, das mir längst abhanden.
jetzt bin ich meiner texte hausverwalter,
ein dichter, der archive nachts beweinte.
mein blog verzeichnet skizzen anverwandt,
weiß um die lyrics und ihr so zu schanden.
doch leer bleibt solche form und wie die blätter
fall’n sie zu früh, ach ja, wie jedes jahr
und in dem unberechenbaren wetter.
ich suche nach dem letzten reim – ja klar –
und finde ihn, das ist gewiss, in not.
und weiß doch: er ist der gedichtet’ tod.
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erwähnten, den kastanien, sagt man nach,
dass ihre stund’ zu früh gekommen sei:
sie welken neuerdings im sommerschlaf,
und winter wird sie nicht erwecken. blei
sei’n sie, ein abgestürbnis wie der text,
den hingestorb’ne dichter auf sie dichten.
und weil es reimt, es ist doch wie verhext,
wenn letzte früchte fall’n in schoß solch’ wichten.
dass dichten sich auf wichte reimte, ist
hier allbekannt, ein sich verzehrend’ groove.
es fräge sich nur, wessen ich du bist.
sei’s, was dich küssend wort aus sich erschuf
od’ nur, wo fröhlich wissenschaft sich breitet.
doch wie auch immer: wort ist dir bereitet.
wie babylon gestürzt, die herrschend türme,
sah ich das einst vor 15 dieser jahren.
es war, als wär’ das ende der gewürme
aus himmlischem der heere finstrest scharen.
ich war damals auf seiten attentäter,
dem letzen allah.ruf, dem sehr verbunden.
doch wusste ich, als davon vielmehr später
die nachricht sich verdichtet und bekunden
war „ground zero“, wie ich ihn erdichtet,
ein schmerz, verheerung und das schlimme grauen.
ich wusste, wo ein schwarzes sich belichtet,
und war in babylon, im turm, vertrauen,
dass sich ein sturz und ebenso erhebt,
was stirbt, sich umso grausamst wied’ erlebt.
Ein Gott vermags. Wie aber, sag mir, soll
ein Mann ihm folgen durch die schmale Leier?
Sein Sinn ist Zwiespalt. An der Kreuzung zweier
Herzwege steht kein Tempel für Apoll.
Gesang, wie du ihn lehrst, ist nicht Begehr,
nicht Werbung um ein endlich noch Erreichtes;
Gesang ist Dasein. Für den Gott ein Leichtes.
Wann aber sind wir? Und wann wendet er
an unser Sein die Erde und die Sterne?
Dies ists nicht, Jüngling, daß du liebst, wenn auch
die Stimme dann den Mund dir aufstößt, – lerne
vergessen, daß du aufsangst. Das verrinnt.
In Wahrheit singen, ist ein andrer Hauch.
Ein Hauch um nichts. Ein Wehn im Gott. Ein Wind.
ögyr: orfeo.ritornell.1
auf suche nach all meinen euridiken
folg ich dir, orpheus, in die samtnen schatten,
ins fundament der welt, es zu erblicken –
und wegzuschauen gleich, denn solch ermatten
der sehnsucht lässt selbst unterwelt verschwinden,
und uns verdammt ins oben, wo gestalten
wir wieder sind des mythos vom beginnen,
wo doch das enden wollten wir verwalten
als letzte sänger, zu zerschlagen leier
wie rockstars die gitarr am end der feier:
autodafé sollts seien, doch wir singen
euch nach, euridices, dass wir verrinnen
im tod entgegen weltgeschäften neu –
nur sind wir dem gesang statt euren treu.
Rilke: Sonett 18
Hörst du das Neue, Herr,
dröhnen und beben?
Kommen Verkündiger,
die es erheben.
Zwar ist kein Hören heil
in dem Durchtobtsein.
doch der Maschinenteil
will jetzt gelobt sein.
Sieh, die Maschine:
wie sie sich wälzt und rächt
und uns entstellt und schwächt.
Hat sie aus uns auch Kraft,
sie, ohne Leidenschaft,
treibe und diene.
ögyr: orfeo.ritornell.2
l’orfeo, du bist da, wo ich dich google,
du geisterst durch natur und netzes harfen.
du singst mit mir das alte lied als double
und weißt wie ich, wohin uns götter warfen.
der mythos bleibt so ungebrochen, setzt
sich fort und ewig retroproduziert,
was sänger ehedem wie einst verletzt:
ihr sein nur im gedicht, und nicht zu viert
im paar und beiderleier liebeslieder.
denn eins zu eins ist – war auch niemals zwei
im himmel und schon gar nicht unter erden.
dort bleiben wir, die kommen immer wieder
herauf, zu spielen ihre litanei,
auf dass sie derweil stumm und schatten werden.
Rilke: Sonett 26
Du aber, Göttlicher, du, bis zuletzt noch Ertöner,
da ihn der Schwarm der verschmähten Mänaden befiel,
hast ihr Geschrei übertönt mit Ordnung, du Schöner,
aus den Zerstörenden stieg dein erbauendes Spiel.
Keine war da, daß sie Haupt dir und Leier zerstör.
Wie sie auch rangen und rasten, und alle die scharfen
Steine, die sie nach deinem Herzen warfen,
wurden zu Sanften an dir und begabt mit Gehör.
Schließlich zerschlugen sie dich, von der Rache gehetzt,
während dein Klang noch in Löwen und Felsen verweilte
und in den Bäumen und Vögeln. Dort singst du noch jetzt.
O du verlorener Gott! Du unendliche Spur!
Nur weil dich reißend zuletzt die Feindschaft verteilte,
sind wir die Hörenden jetzt und ein Mund der Natur.
text:
rilke: „sonette an orpheus“ – sonett 3
ögyr: orfeo.ritornell.1
rilke: „sonette an orpheus“ – sonett 18
ögyr: orfeo.ritornell.2
rilke: „sonette an orpheus“ – sonett 26
musik:
claudio monteverdi: „l’orfeo“, jordi savall, la capella reial de catalunya @ gran teatro del liceo de barcelona, 2002
Bach-Kantaten zum kommenden Kirchensonntag:
(13. Sonntag nach Trinitatis)
Epistel: Gal. 3,15-22 (Gesetz und Verheißung)
Evangelium: Luk. 10,23-37 (Gleichnis vom barmherzigen Samariter)
Mit diesen drei Kantaten zum 13. Sonntag nach Trinitatis schließt sich der Jahreskreis und endet dieses kleine Projekt mit Bach-Kantaten zum jeweils kommenden Kirchensonntag, das ich am 1. September 2015 mit den Kantaten zum 14. Sonntag nach Trinitatis begann. Den Jahreskreis neu beginnen kann der/die geneigte HörerIn unter diesem Link.
So spricht die Revolution: „Ich war, ich bin, ich werde sein.“ (Rosa Luxemburg, Januar 1919.) Ich bin in Bielefeld, das als provinziell gilt. Es gibt aber hier Bethel. Darin ein Betreuter von Julija, die soeben, in meiner filmenden Abwesenheit, einen Ring erworben hat, den sie jetzt am Finger trägt. Der Betreute, er ist medikamentös ruhig gestellt, sieht ihn nicht. Ich aber. Und wie ihr Finger leise zuckt, während der Betreute aus Bethel wachträumt. Dies sind die gegenwärtigen Zustände der Revolution.