Kommentar: EU-Exodus?

100 Jahre nach dem gegenseitigen europäischen Schlachten bei Verdun, angezettelt vom Tod, der wiederholt ein „Meister aus Deutschland“ war, scheidet Großbritannien, das uns Deutsche zweimal im 20. Jahrhundert von unseren selbst gewählten diktatorischen Regimes befreit hat, aus der EU aus. Aus einer Friedensordnung, die man zurecht kritisieren kann, weil sie eine kapitalistische und vielfach unsoziale ist.

Doch dass die EU zwar Frieden, aber nicht Gerechtigkeit über Europa brachte, war nicht das Argument für die Brexit-Befürworter. Eher „splendid isolation“, ein Politikverständnis, dass die Insel immer mal wieder pflegte – heuer wieder.

Jubel kommt logisch von den von Storchs, Petrys, Le Pens und all den Nationalistinnen, die immer gegen Europa und für die Kleinstaaterei der angeblichen „Regionen“ hetzten. Faschisten-Pack allesamt. Gegen das war auch eine fehlerhafte, nach wie vor neoliberale, anti-soziale EU das geringere Übel. Letzteres ist durch den Brexit erheblich geschwächt. Weitere selbsteingeschätzte Verlierer in der EU werden folgen, der EU-Exodus droht.

Von einem sozialen, gerechten Weltstaat, geschweige einer sozialistischen Weltrevolution sind wir weiter als je entfernt. Dennoch bleibt die Überlegung, ob nicht Institutionen wie die EU dahin zumindest zielführend wären, wenn sie nicht an ihrem eigenen Bürokratismus zerbröselten.

Es bleibt zu hoffen, dass der ewige Kapitalismus inklusive seiner Erhaltungskräfte der Briten Austritt aus der EU an den Börsen entsprechend abstraft. Für Linke ist das eine Frage von Taktik und Strategie – wiedermal. Die sich zuspitzenden Verhältnisse, wenn sie zum Tanz kommen, können einer Revolution, so fern sie scheinen mag, nur zuspielen.

Hier aber, in einem System wie der EU, die gerade wieder den Kalten Krieg gegen Russland neu eröffnet, nachdem sie mit ihrer imperialistischen Interessenpolitik in der Ukraine scheiterte, könnte das Sprengkräfte nicht nur nach innen, sondern auch nach außen eröffnen – 100 Jahre nach Verdun und 75 Jahre nach dem Überfall Nazi-Deutschlands auf die Sowjetunion. Nur ein Zufall der runden Daten oder Vorschau auf neue Schlächtereien in Europa und des Rumpf-Europas in der ganzen Welt?

Man kann sicher sein, dass die Briten auch ohne EU, aber noch in der NATO, dabei mitmachen werden, denn es nützt ihnen wie allen kapitalistisch-imperialistischen Staaten. Nur müssen sie diesen Nutzen noch lernen, nachdem sie die halbwegs Friedensordnung der EU leichtfertig und rechten Populisten folgend verlassen haben.

(geschrieben für LinX – Sozialistische Zeitung für Kiel)

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Bach – Kantaten (48)

Bach-Kantaten zum kommenden Kirchensonntag:
(5. Sonntag nach Trinitatis)

Epistel: 1. Petr. 3,8-15 (Heiliger Christum in euren Herzen)
Evangelium: Luk. 5,1-11 (Der große Fischzug des Petrus)

„Wer nur den lieben Gott läßt walten“ (BWV 93)

(@ Wikipedia)

„Siehe, ich will viel Fischer aussenden“ (BWV 88)

(@ Wikipedia)

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ja, tapfer sein

„ja, ich will, ja!“ (molly bloom, „ulysses“)

ja, ich bin tapfer, will es immer sein,
und ausgezehrt dann, wenn es nötig ist.
ich werde meine mädchen(männer) abseits frei’n,
in not und tod und dichterischer list.

ja, ich bin samisdat, in dem gericht
das ende allen anfangs, euch verzicht,
werd’ ich euch üben und auch ewig sein.
ich bleib’ euch groß und dicht und dazu klein.

ja, wär’ ich das, was ihr mir anvermutet,
ich würde schreiben euch hinein den reim,
der sich in das geheuer heim verblutet.

ja, wo ich bin euch, was als trautes sein
erschiene, bin ich fremd und so begutet
als dichter, der euch schoss die verse rein.

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Bach – Kantaten (47)

Bach-Kantaten zum kommenden Kirchensonntag:
(4. Sonntag nach Trinitatis)

Epistel: Röm. 8,18-23 (Alle Kreatur sehnt sich mit uns nach der Offenbarung der Kinder Gottes)
Evangelium: Luk. 6,36-42 (Aus der Bergpredigt: Übt Barmherzigkeit, richtet nicht)

„Barmherziges Herze der ewigen Liebe“ (BWV 185)

(@ Wikipedia)

„Ein ungefärbt Gemüte“ (BWV 24)

(@ Wikipedia)

„Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ“ (BWV 177)

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Bach – Kantaten (46)

Bach-Kantaten zum heutigen Kirchensonntag:
(3. Sonntag nach Trinitatis)

Epistel: 1. Petr. 5,6-10 (Alle eure Sorge werfet auf ihn, denn er sorget für euch)
Evangelium: Luk. 15,1-10 (Gleichnisse vom verlorenen Schaf und verlorenen Groschen)

„… dass er meines angesichtes hülfe und mein GOtt ist …“

„Ich hatte viel Bekümmernis“ (BWV 21)

(@ Wikipedia)

„Ach Herr, mich armen Sünder“ (BWV 135)

(@ Wikipedia)

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Bach – Kantaten (45)

Bach-Kantaten zum kommenden Kirchensonntag:
(2. Sonntag nach Trinitatis)

Epistel: 1. Joh., 3,13-18 (Wer nicht liebet, der bleibet im Tode)
Evangelium: Luk. 14,16-24 (Gleichnis vom großen Abendmahl)

„Die Himmel erzählen die Ehre Gottes“ (BWV 76)

(@ Wikipedia)

„Ach Gott, vom Himmel sieh darein“ (BWV 2)

(@ Wikipedia)

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Die Monstren sind unter uns

Ausstellung im Antiquariat DIDEROT: „MERz.Monstrum“ – Foto-Collage-Cutup-Roman von ögyr

„Vor 100 Jahren hat Kierkegaard als Theolog’ davon gesprochen, dass dort, wo einmal der furchtbare Abgrund gähnte, nun eine Eisenbahnbrücke gespannt sei, von der die Reisenden behaglich in die Tiefe hinunter blicken.“ (Theodor W. Adorno: „Das Altern der Neuen Musik“, 1955)

Das Kieler Antiquariat DIDEROT (Inh. Jasmin Fritz) zeigt vom 10. Juni bis 22. Juli 2016 die Original-Collagen aus dem Foto-Collage-Cutup-Roman „MERz.Monstrum“ des Kieler Autors ögyr.

Zur Vernissage am Freitag, 10. Juni 2016, 18 Uhr, stellt ögyr das in den Wendezeiten 1990 begonnene und bis heute immer wieder in verschiedenen Medien überarbeitete Werk vor und liest zusammen mit dem Kieler Autor Stefan Schwarck Texte daraus.

„MERz.Monstrum“ entstand in der (bewusst epigonalen) Tradition von DADA, Kurt Schwitters und John Heartfield zwischen 1990 und 1993 – zunächst als noch „klassisch“ mit Schere und Klebstoff aus Fotomaterial von Illustrierten und Zeitungen montierte „Comic-Collage“. Parallel beziehungsweise als Vorläufer entstanden Cutup-Texte, die in die Collage eingearbeitet wurden.

1999 – noch in den Frühzeiten des Internet – entwickelte ögyr aus diesem hier erstmals als Original-Collagen ausgestellten „Comic“ einen vielfach zwischen Bild-, Video- und Text-Collage verlinkten Hypertext auf seiner Website schwungkunst.de. Mit diesem „cut.up.pic/dia.rrhoe.dub“ „MERz.Monstrum 2.1“ (www.schwungkunst.de/merz21) gewann ögyr im Dezember 2001 den mit 4000 DM dotierten 1. Preis des vom damaligen kulturnetz-sh.de ausgeschriebenen Wettbewerbs für künstlerische Multimedia-Projekte.

ögyr über Inhalt und Entstehung von „MERz.Monstrum“

Ausschnitt aus dem Foto-Collage-Roman „MERz.Monstrum“ (Foto: ögyr)

Ausschnitt aus dem Foto-Collage-Roman „MERz.Monstrum“ (Foto: ögyr)

In Wendezeiten, an persönlichen oder historischen Nahtstellen, stellen sich die Grundfragen des Seins und damit auch der Kunst vehement und unausweichlich. So auch mir, einem in den frühen 80ern kleinbildungsbürgerlich „links“ Sozialisierten aus dem geburtenstärksten Jahrgang 1964, mit verwandschaftlichen Wurzeln in der Ex-DDR und daher, (wie ich damals offensiv und provo-punkig behauptete) „meinem Vaterland“. Die alte, meine Jugend begleitende, relativ stabil erscheinende Ordnung des Kalten Krieges und zweier konkurrierender, aber ebenbürtiger Gesellschaftsentwürfe kollabierte am 9. November 1989 (ausgerechnet wieder der 9. November). Nach (zu langem) Physikstudium begann ich da gerade meine Diplomarbeit, verwirrt und zugleich „geteast“ von beidem (ich war in meiner Biografie an der Wende von der Naturwissenschaft zu Philologie, -sophie und Kunst). Wie auch von Wendezeiten vorher: 1916, vor 100 Jahren, als in Zürich DADA die Kunst revolutionierte, weil die Welt aus den Fugen war. Und nachher, als am 11.9.2001 (immer wieder die teuflische 9 und das Werthersche „nach Eilfe“ im Datum …) die sich turbokapitalistisch, imperialistisch globalisierende Welt von zu blindem Terror Verzweifelten aus den Angeln gehoben wurde.

Nahtstellen, an denen sich die uralten Fragen nach Gut vs. Böse stellen – nicht nur dem Künstler. Wenn Gesellschaften sich neu formieren, geht es immer auch um (alte und neue) Schuld, deren Verantwortung und Verarbeitung: 1918, 1945, 1977 („Deutscher Herbst“), 1989, 2001 – 2016? 1987, beim Geiseldrama von Gladbeck, verloren die so genannten Medien, für die ich damals gerade begonnen hatte zu arbeiten, ihre Unschuld. Die „Sensation“ von „Monstern“ wurde mir bewusst – und vielleicht schon da entstand der Plan für „MERz.Monstrum“. Als der „Rosa Riese“ in den Wendejahren als „Die Bestie von Beelitz“ durch die nicht blühenden, sondern menschlich verdorrenden Landschaften seine frauenmordende Spur zog, hatte ich den Stoff für meinen Comic-Roman: Wolfgang Schmidt heißt in „MERz.Monstrum“ Volker Merz.

Denn wir brauchen die Monstren, um uns vor dem eigenen Bösen in weichen Fernseh- oder Zeitungslesersesseln zu gruseln. Sie nehmen von uns die Schuld, indem wir sie zur Projektionsfläche unserer unbewussten Schuld machen – den Sündenbock zum Gärtner unserer Seelenkleingärten, abgegrenzt vom vorstädtischen, längst nicht mehr sicheren Jägerzaun.

Das von mir angezettelte und ge-cut-upte „MERz.Monstrum“ begleitet mich also seit über 25 Jahren durch mein Schaffen. Es kündet in all seiner und meiner eigenen Verworfen- und Verworrenheit von der verzweifelten Sehnsucht nach etwas Gutem im Menschen – nach Liebe, nach persönlicher und Welt-Revolution, sei es auch nur in der Kunst. Ab- oder Vorgesang einer Utopie?

Ausstellung: 10.6. bis 22.7.2016 im Antiquariat DIDEROT (Gutenbergstr. 5, 24116 Kiel). Vernissage: Fr, 10.6.2016, 18 Uhr – mit einer Lesung von ögyr und Stefan Schwarck. Öffnungszeiten: Mo, Di, Mi, Fr: 10-13 und 14-18 Uhr; jeden 1. Samstag im Monat: 10-14 Uhr; sowie nach telefonischer Vereinbarung. Die Original-Collagen stehen auch zum Verkauf.

Web-Links:

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Bach – Kantaten (44)

Bach-Kantaten zum kommenden Kirchensonntag:
(1. Sonntag nach Trinitatis)

Epistel: 1. Joh., 4,16-21 (Gott ist Liebe)
Evangelium: Luk. 16,19-31 (Gleichnis vom reichen Mann und vom armen Lazarus)

„Die Elenden sollen essen“ (BWV 75)

(@ Wikipedia)

„O Ewigkeit, du Donnerwort“ (BWV 20)

(@ Wikipedia)

„Brich dem Hungrigen dein Brot“ (BWV 39)

(@ Wikipedia)

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Bach – Kantaten (43)

Bach-Kantaten zum kommenden Kirchensonntag:
(Trinitatis)

Epistel: Röm. 11,33-36 (Welch eine Tiefe des Reichtums der Weisheit und Erkenntnis Gottes)
Evangelium: Joh. 3,1-15 (Gespräch Jesu mit Nikodemus)

„O heilges Geist- und Wasserbad“ (BWV 165)

(@ Wikipedia)

„Es ist ein trotzig und verzagt Ding“ (BWV 176)

(@ Wikipedia)

„Gelobet sei der Herr, mein Gott“ (BWV 129)

(@ Wikipedia)

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blau ergraute stunde

„glik, du bist gekommen a bissl speit ze mir“ (vivian kanner)

wieder hakst du mich ein | ich wandere darob züchtiger, schüchterner, verhärmter. | und an den wassern, grau, wird der himmel wieder blau | und die halbe stunde ist – ganz genau – so ein bisschen im nichts.

ich habe einen gebratenen butt spielvergnügt zwischen skelett, seele und fleisch zerlegt.

und die tochter geht auf nackten füßen auf dem dreckigen linoleum.

und dass ich dreck bin, gewinnend, hört man mich sprechen – und dichten.

grau_horizont

und dass ich mich anerbietig mache, die tür zum bad belausche, aber die nicht öffne, brötchen im ofen.

denn die blaugraugrüne stunde ist, wo wir verregnen, wo das blau so schön grau ist.

und hinterher, nachts, das blauen und schweigeminuten, dies angeheim sein | und du sagest, nun werdest du – so – zu bett gehen.

blau_horizont

und als ihr gegangen, ich noch winkte, ungesehen am flurigen fenster, weinte ich, der dichter, wissend, er werde noch dichten | schlich die paar werther in | gewohnte einsamkeit | schenkte sich einen ein.

aber er dichtet nicht | nur protokoll von den jeweiligen fußduftnoten, bekannten wie unbekannten | während die jungs auf see waren | und wir ihr ufern wie seemannsweiber ersehnten.

blau_bett

deine eile, als anruf von baldiger ankunft kam | am kai | und ich kaffee kochte.

und wie du redetest von den filmen | und ich | beider verschlafen und geträumt | während im balkon.screen die tauben | nur von mir im augenwinkelzug bemerkt | fickten.

und es war blau unter den himmeln | und halbwegs sommer (der schwieg von weit).

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