Kahn, Ballack, Lehmann, Magath, sogar Wörns: Nach der Niederlage gegen Italien beschwört die deutsche Fußballgesellschaft wieder die alten Zeiten und fordert "Persönlichkeiten". Vor allem Bastian Schweinsteiger und Philipp Lahm verfolgt die Führungsspieler-Debatte unerbittlich. Es ist ein respektloses Schauspiel.
Ehemalige Spieler ziehen ihre Fazits: Oliver Kahn (Champions-League-Sieger 2001) bemängelt das Fehlen von Zweikampfhärte, Wille, Leidenschaft, Einsatz. Die flache Hierarchie in der Mannschaft verhindere, dass jemand Verantwortung übernehme, wenn es schlecht läuft.

Bastian Schweinsteiger und Philipp Lahm hadern nach dem Spiel gegen Italien mit der Niederlage. (© Getty Images)
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Felix Magath (Europapokalsieger der Landesmeister 1983) vermisst den Kampfgeist und kritisiert ein "nahezu körperloses" Spiel gegen Italien. Für Günter Netzer (Europameister 1972 und Weltmeister 1974) ist Bastian Schweinsteiger "einfach keine Führungsnatur". Jens Lehmann, (Uefa-Cup-Sieger 1997) fehlen die "Persönlichkeiten", Michael Ballack (2002 von der Uefa als bester Mittelfeldspieler ausgezeichnet) die "Typen" und Christian Wörns (nun ja) sagt: "Wir haben zurzeit keine Effenbergs, Sammers oder Kahns."
Nach einer Niederlage neigt die deutsche Fußballgesellschaft dazu, die alten Zeiten zu beschwören. Darin regiert der Mythos des Führungsspielers, der Persönlichkeiten, der Typen.
Fritz Walter war noch der nette Kerl aus der Pfalz, der Helmut Rahn gut zuredete. Franz Beckenbauer bestimmte nach der ersten Niederlage schon über die Aufstellung und schmiss ein paar Leute raus. Paul Breitner einigte sich 1982 informell mit den Österreichern auf die Schande von Gijón und verhinderte mitnichten, dass Mitspieler Wasserbomben auf protestierende Fans vor dem Hotel warfen. Der grimmig-entschlossene Führungsspieler-Typ wurde in den 1990ern von Matthias Sammer, Stefan Effenberg und Oliver Kahn vertreten.
Die Debatte um den Führungsspieler verfolgt Kapitän Philipp Lahm und Ersatzkapitän Bastian Schweinsteiger unerbittlich. Nach diesem 1:2 gegen Italien im EM-Halbfinale heißt es wieder: Sie können ihre Mannschaften nicht mitreißen, in schwierigen Situationen übernehmen sie keine Verantwortung. Die gewinnen nie was!
Letzteres ist nach diesem schlimmen Jahr für die Bayern-Spieler nicht mehr auszuschließen. Die Generation "Lahmsteiger" hat auf die dramatischte Weise ein Champions-League-Finale im eigenen Stadion verloren und sich nun von den Italienern vorführen lassen. Wenn es drauf ankommt, schießt Schweinsteiger eben an den Pfosten oder fliegt ein langer Pass über Philipp Lahm hinweg zu Mario Balotelli.
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Danke Wildpig, Deutscher Größenwahn, das trifft es richtig. Das Internet als Forum für Zukurzgekommene.
Der Druck von dem Sie reden - sowohl vor dem Champions-League-Finale wie vor dem Halbfinale bei der Euro gegen Italien, der vielleicht zu einer Verkrampfung bei dem einen oder anderen Spieler geführt haben mag, ist sicherlich nicht durch das jeweilige Trainer-Team verursacht worden, sondern eher durch die überhebliche und respektlose Handhabe mit einem möglichen Sieg im äußeren Umfeld. In beiden Fällen wurde nicht geäußert, dass Bayern bzw. die Deutsche Nationalmannschaft den Titel gewinnen könne, dass sie gute Chancen habe, sondern: Die Mannschaft ist Favorit, also MUSS sie den Titel gewinnen, alles andere wäre gefühlt die größte Blamage in der Geschichte des Fußballs. D.h. im Grunde gab es für die beiden Mannschaften nichts mehr zu gewinnen - den jeweiligen Titel hatte man ihr ja bereits als Gewicht ans Rever geheftet und jede Form der Lockerheit im Keim erstickt (der Kicker, das selbsternannte Fachmagazin, ist wenn es um solche Forderungen geht, immer ganz ganz groß mit dabei).
Vielleicht zwei Beispiele für solche Respektlosigkeiten im äußeren Umfeld:
Bayern: Paul Breitner, bekanntermaßen beim FC Bayern München beschäftigt, konnte es sich vor dem CL-Finale nicht verkneifen den Pokal, den ins Stadion zu bringen seine Rolle war, dem Publikum wie eine bereits gewonnene Trophäe zu zeigen.
Nationalmannschaft: Jogi Löw wurde in der DFB-Pressekonferenz vor dem Halbfinale ernsthaft von einer Reporterin gefragt, ob denn schon ein Empfang (nach dem gewonnenen Finale) geplant sei! Kein Wunder, dass die spanische Presse von deutscher Arroganz gesprochen hat! Aber: Weder die Spieler noch die Trainer bei Bayern und auch nicht der DFB haben behauptet, dass sie den Titel ohne Wenn und Aber holen werden. Sie haben allerhöchstens gesagt, dass sie ihn holen WOLLEN, dass dies ihr Ziel ist. Aber das sagen auch die Italiener, die Spanier etc., und das ist vollkommen legitim.
Ich halte solcherlei kategorischen Forderungen für fatal und keinesfalls für hilfreich. Kein Wunder, wenn die Spieler verkrampfen. Aber noch mal, ich glaube kaum, dass die Trainer in dieser Hinsicht die Hauptverantwortung tragen (das haben auch zumindest die Trainer der Nationalmannschaft die ganze Zeit deutlich gemacht in ihren Interviews - wers nicht glaubt, soll sich noch mal die Pressekonferenzen und Interviews auf der Seite des DFB anschauen...)
@Tomandcherry
Sie meinen die gute alte Zeit? Also zwischen '82 und '88, wo man zwei Finale und ein Halbfinale verloren hatte?
Ach, '90 kam es dann doch noch zu einem Titel? Na dann wollen wir doch einfach mal ein wenig mehr Geduld aufbringen. (Der Titel kam übrigens NICHT nach einem Trainerwechsel.)
@Gedankenaustausch
Für Sie als angehenden Bundestrainer gilt dasselbe. "zurecht gefürchtet" - vorm Rumpelfußball vielleicht, aber nicht wegen des Erfolges, siehe oben. Übrigens ist und bleibt Fußball kein Kampfsport. Dafür gibt es nämlich zurecht gelb oder rot.
Leute, bitte romantisiert nicht rum! Bringt mal lieber ein wenig mehr Respekt auf vor den Leistungen von Herrn Löw, den Spielern, und vor allem dem Gegner. Diese Besserwisserei und Hybris hier ist einfach nur peinlich.
Ich erinnere mich nur noch all zu gut an die EM 2000 in Belgien und Niederlande. Meiner Meinung nach war dies der ultimative Tiefpunkt des deutschen Fußballs. Während dieses "Events" war für mich sogar die Stadtauswahl von Liechtenstein ein unüberwindbares Hindernis.
Unter Löw stehen dem Turniersiege gegen Argentinien, Holland, Portugal und England gegenüber. Und dies noch mit begeisterndem Angriffsfußball. Titel sind nicht alles. Persönlich habe ich nichts davon wenn Deutschland mit dem alten Rumpelkick Titel hamstert. Außer einem Knick in der Optik.
Fußball ist letztendlich ganz einfach: Deutschland spielt gut, Deutschland feiert Parties auf Fanmeilen. Und irgendwann kommen unsere Italiener und machen das Licht aus.
Danke für Ihren Beitrag. Besser kann man es nicht auf den Punkt (bzw. die Punkte ;-)) bringen.
Paging