AUSGABE 12
BLAU IST EINE WARME FARBE
oder Leben im falschen Film (La vie d'Adèle)
Goldene Palme plus Kritikerjubel una voce, da wird man mißtrauisch. Die Rede ist von einem tief bewegenden Film, der die Liebe neu erfindet, einem unerhört schönen Film, einer herzzerreißenden Liebesgeschichte, einem Kinowunder, erotischen Visionen, einem Bildungsroman des Herzens uswusf.
All diese Rezensionen sind schwülstig kolossaler Kitsch, ebenso wie der Film eine Form von Kitsch abbildet: allein der agressive Absolutismus des Vordergrundes, das totalitäre Hinhalten von Gesichtern und Körperteilen an der äußersten Grenze zwischen Leinwand und Empirie, ohne Gespür für Distanz, ohne die es keine Nähe gibt, ja, mit einer Distanzlosigkeit, die schon die bloße Denkbarkeit von Nähe apriori vernichtet.
Die Choreographie der Hometrainererotik, sogenannter Sexszenen, die albern-hilflosen Bodenturnübungen gleichen, ist der üblichen Internetpornographie abgeschaut und ward fürs öffentlich-rechtliche Kinowesen dann passend hindressiert, damit gewisse rote Linien des Zeigens nicht überschritten werden, die Sitte lauert überall. Mit einer Wirklichkeit gleichgeschlechtlicher Erotik haben sie nichts gemein, es handelt sich um Männerphantasien à la mode. Weil sie jedoch, dem Konzept des Regisseurs folgend, eben dies gerade nicht sein sollen, sondern hundert pro authentisch, sind sie doppelt erlogen.
In der gemeinen Pornographie gilt immer ein stilles Einverständnis der Simulation zwischen Usern und Produzenten, beide wissen, was sie wollen, ohne Worte; hier aber mischt sich hanebüchen Kunstwollen ein. Simulation soll allen Ernstes metaphysisch aufgehubert werden, und eben dieses Kunstwollen macht das vermeintlich Lasterhafte für den domestizierten Bildungsbürger erst goutierbar. Regelmäßig, wenn Tabus scheinbar gebrochen werden, tritt dieser Kunstanspruch rammdösig auf den Plan, das war immer (man denke an die Skandale um Schnitzlers Reigen, Bergmanns Schweigen und Anderes mehr), und die Welt ist wieder in Ordnung.
Jenes Kunstseinwollen, vulgo Mief der Künstlichkeit, treibt dem Geschehen Leidenschaft, Erotik, Lust, also das, was immer Ewigkeit will, porentief aus, maximal bleibt kalte Verzweiflung. Sinnlichkeit wird gehechelt, Nacktheit heißt Entblößung, aber nicht: machen Sie sich frei, und entblößt wird hier immer ein Alptraum an Vergeblichkeit, wie denn allem bloß Körperlichen Verweslichkeit naturgemäß innewohnt, ernüchterndes Gefühl von stumpfsinniger Endlichkeit. Das in aalglatte Äußerlichkeit transponierte Intime zerfällt, wie Lust von einer Sekunde auf die andere zu eisiger Gleichgültigkeit und Selbsthaß erstarren kann, sobald sie ins Bewußtsein penetriert.
Das Wesen dieser in den Vordergrund gezwungenen Hintergründigkeit ist Schamlosigkeit: th'expense of spirit in a waste of shame is lust in action, aus ihr resultiert das Nichts, grauenerregende Leere. Doch die Shakespearsche Dopppelbödigkeit zwischen Himmel und Hölle des erotischen Verfallenseins soll hier gerade nicht gezeigt werden. Hier soll in aller Naivität Liebe biedere Wirklichkeit werden, verursacht durch die fatalen Verirrungen eines tobsüchtigen Regisseurs (Abdellatif Kechiche), der seine Schauspieler, wie man hört, gerne bis zur Hirnerweichung malträtiert; doch auch nach 100 Takes bleibt das Nichts ein Nichts, Bilderfracking aus untauglichem Material, eingebettet ins sprachlose Wohnküchenmilieu einer klassenlosen Gesellschaft, denn das Kunstgeschwätz der Bessersituierten ist bloß eine andere Form von Sprachlosigkeit, schäbig-liebenswürdige Niedertracht, hier wie da waltet nur eine Ebene des Seins, die schmatzend, schlürfend, stöhnend vor allem sich selbst genügt.
Die eindimensional in den Vordergrund der Filmleinwand genagelten Gesichter sind das eigentlich Obszöne, das zutiefst, ja wesenhaft Pornographische dieses Films. Doch ist dies nicht so sehr dem Film selber anzukreiden, als sehr viel mehr den obszönen Bedingungen der Alltagswelt, aus denen sein Regisseur sich entbunden hat, den Widrigkeiten der real existierenden Gegenwärtigkeit, wo die Simulation der Simulation die gesellschaftlichen Vorgänge bis in die letzte Zuckung des Enddarms beherrscht.
Nun könnte man denken, das wäre immerhin eine Art Lehre, eine Erkenntnis, die aus dem Film zu schöpfen wäre, wenn es so wäre, aber ich fürchte, so ist es nicht. Ich fürchte, dieser Regisseur, der in einigen Interviews, unverständlich Abgehobenes von sich gegeben hat, weiß tatsächlich nicht, was er will, und was er anrichtet, und meint alles bodenlos ernst.
La vie d'Adèle ist bei weitem nicht der einzige Film, der in letzter Zeit beim Thema l'amour sich selbst massakriert hat. Kurz davor lief, ebenso markenthemmt bejubelt, Jung und schön von François Ozon: Die 17-jährige Isabelle dient sich alten Männern in Hotels als Prostituierte an, dann erfährt die Familie davon und ist entsetzt, aber bald landet alles in der großen sozialen Kitchen-aid-Maschine aus Psychotherapie, Bananenshakes und vielen vielen guten Menschen. Alles nicht so tragisch, wird schon wieder. Françoise Sagan läßt grüßen, und Françoise Hardy trällert bei.
Gleichgeschlechtliche und käufliche Liebe, an sich menschheitsbegleitende Kardinalthemen von höchster Brisanz, wieder mal bedauerlich vergeigt, unglaublich eigentlich. Der französische Film hat seine alte Deutungshoheit in Sachen Erotik endgültig verfehlt. Sollte sich lieber auf seine andere Kernkompetenz konzentrieren, den Krimi, da könnte noch was gehen.
Kees van de Verschredderen
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