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Magazin für Verrisse aller Art    Aktuell

Herausgegeben von Hans Dieter Eberhard

   



AUSGABE 12


POPULISMUS

Randbemerkung zum Mehrheitskonsens


Seltsam, wie heute jeder, der mit dem Bestehenden, dem Großen und Ganzen im allgemeinen, dem Mehrheitlichen des Denkens und Meinens, sich nicht einverstanden zeigt, unweigerlich als Populist und Sonderling demarkiert wird. Wer etwa die Art und Weise, wie seit langem die europäischen Belange verwaltet und betrieben werden, mit kritischer Sorge, begründeter Ablehnung oder Abscheu, wenn nicht Verachtung bedenkt, wird augenblicks in die Ecke gestellt und gleichgeschaltet mit Obskuranten, Nörglern, ewig unzufriedenen Querulanten, notorischen Besserwissern, Oberlehrertypen, geistigen Hooligans, Radikalisten oder Minderbemittelten, kurz mit einem Bodensatz, dem man das Recht zur Mitsprache nicht einräumt, weil er im Chorus der Mehrheit als dissonante Stimme stört.

Einem wie Botho Strauss, der vor keiner sprachlichen Verschrobenheit zurückschreckt, um seinen Status als Abgesonderter und Einzelgänger nicht zu gefährden, gewährt man immerhin den Bonus der dichterischen Narrenfreiheit und nimmt ihn gelegentlich sogar ernst, doch nur, um ihn im gleichen Atemzug in seine uckermärkische Abgeschiedenheit zu verweisen, wo er für den störungsfreien Gang des Öffentlichen keine wirkliche Gefahr mehr ist.

Die anderen fallen als verquere Sonderlinge und falsche Propheten der Verachtung und dem Haß des Gängigen, des amtlich Genehmigten zum Opfer, man spricht ihnen jegliche Eignung, etwas Wahres rational zu erkennen und auf ziemliche Weise mitzuteilen, apriori ab, indem man sie Populisten schilt, haßverzerrte Stammtischgesellen, spießige Wutbürger, ewig Gestrige.

Nun gibt es solche tatsächlich in großer Zahl, auch wenn sie zumeist unterhalb des öffentlichen Meinungsbrausens sich noch still verhalten. Jene italienische Bewegung der Grillini (Anhänger des Komödianten Beppe Grillo und seiner Gruppe Cinque stelle) sind sicher zum großen Teil von dieser Art und zeigen, wozu die Enttäuschten und Frustrierten fähig wären, rafften sie sich einmal auf, doch am Ende scheitern sie in der praktischen Politik an dem Widerspruch, daß die Abgesonderten und die Einzelgänger nicht gemeinschaftsfähig sind, oder teamfähig, wie es heißt, und auch nicht sein wollen. Für die grundsätzlich affirmative Tätigkeit des Politischen, sofern es Sorge für das Gemeinwohl trägt, sind sie ihrer Art nach nicht geeignet. Dennoch sind ihre tieferen Antriebsgründe nicht falsch, sie passen bloß nicht zum System. Sie bringen die schrillen Ungereimtheiten, das ganze Ungeheuerliche des Betrugs im politischen Betrieb nur zum Ausdruck, der z.B. durch die feudalfaschistische Gestalt eines Berlusconi 20 Jahre lang ungestört eine ganze Kultur vernichten durfte, dabei munter vom Mehrheitswillen befördert, also einerseits populistisch, andererseits auch nicht, sondern parlamentarisch abgesichert, ganz öffentlich und mit dem institutionellen System eines Staates in bestem Einklang mitten im europäischen Raum.

Nun gibt es in Deutschland derart krasse zirzensische Dauerentgleisungen bis jetzt noch nicht. Einer skurrilen Bewegung wie den Piraten fehlen, außer sinnstiftenden Ideen, agitatorisch begabte Köpfe, die Fähigkeit zur Demagogie und zum Machiavellismus, und natürlich jede Art von Witz (der schlimmste Mangel deutschen Politikertums), um ihr eigentliches Anliegen, wie man sagt, falls sie eines haben, überhaupt verständlich, geschweige denn mehrheitsfähig machen zu können.
In der Alternative für Deutschland agiert ein komplementäres Personal, fachkompetente Professorengestalten, die das Zeug zum Volkstribun von Natur aus nicht haben, und nun großen Applaus aus unerwünschten Ecken ernten, mit dem sie nicht fertig werden.
Populistisch sind sie in ihrem Denken jedoch nicht.

Populistisch sind allen voran jene Gestalten im eigentlichen Sinn, die als gewählte Amtsträger die politischen Tagesgeschäfte verrichten. Von ihnen fühlt man sich täglich veralbert, folgt man einmal nur jener Sprache des Nichtssagens, die sie mit schauderhafter Routine zu jeder Gelegenheit sprechen, ernsthaft.

Demgegenüber ist aus Gründen der Selbstachtung nur die Haltung einer splendid isolation möglich, die dann von den medialen Helfern des Politiksystems als populistisch beschrieen wird. Es gibt eben Verhältnisse, da müßte man zum Hammer greifen, aber man tut es nicht, man ist dazu sich selbst wohl doch zu schade.

Der Vorwurf des Populismus ist also durchaus zwiespältig und fällt auf jene zurück, die ihn erheben.

Tabea Dorsalis






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