AUSGABE 12
INTERVIEW
Kees van de Verschredderen im Gespräch mit Max Naso
Früher Nachmittag, Neujahr, in der Lounge des Atlantikhotels in Hamburg. Max Naso, sehr korpulent, trägt einen bräunlichen Knickerbockeranzug, Pfeffer und Salz, mit Weste, weinrote Schleife, schulterlanges, graumeliertes Haar, nach Art einer Allongeperücke frisiert, graurot karierte Strümpfe, kakaobraune Budapester Schuhe, gewienert, raucht eine Monte Christo Nr. 2, bartloser, gelblich-bräunlicher Teint, prominente, leicht gerötete Nase.
Lit-eX: Möchten Sie vielleicht was trinken, Maestro?
Naso: (legt die Zigarre ab) Später bitte, wir haben gestern.... (stöhnt)
LiT-eX: Dann war die Premiere ein Erfolg?
Naso: Das können Sie laut sagen, die Hamburger sind ein kriminell dankbares Publikum, keine retardierten Arschgesichter, absolut phänomenal, immer gewesen, fast wie die Londoner.
LiT-eX: Und wie läuft es sonst in Deutschland?
Naso: Lausig.... Köln zieht noch ganz gut mit, da haben sie jede Menge Homos mit Sinn für Stil und Form, aber sonst.... Berlin mumifiziert bis ins Mark, alles Boulette wie üblich, in München natürlich kapitale Flaute.
LiT-eX: Wie erklären Sie sich das?
Naso: Überhaupt nicht, in Berlin politischer Stumpfsinn bis zur Hirnverkäsung, in München kultureller Stumpfsinn bis zur Frühverwesung, komplett schizo, ich sage nur Rosenkavalier.
LiT-eX: Rosenkavalier?
Naso: Mehr Moderne verträgt der Münchner nicht.
LiT-eX: Finden Sie Richard Strauss etwa modern, Maestro?
Naso: Genau das meine ich, diese musikalischen Gauleitertypen.
LiT-eX: Aber sie sind doch selber nicht der Modernste, Ihre Sujets, Ihre Musik....
Naso: Das Sujet spielt keine Rolle, das Publikum muß durch die Musik begreifen, warum es geht, die Musik muß radikal enthemmt sein, radikal sinnlich, bloß keine Theorie, keine Ansprüche, ich mache Musicals, bitte sehr, nichts für intellektuelle Schmalbrüstler, aber mein Aktaion läuft seit drei Jahren kannibalisch gut, und das ist ein unheimlich antiker Stoff, wie Sie wissen.... muß man den Leuten nur passend hinleimen.
LiT-eX: Aber Ihre Musik ist doch trotzdem.... sagen wir, anspruchsvoll.
Naso: Gute Musik ist immer anspruchsvoll, Hauptsache, sie unterhält, je unerhaltender, desto anspruchsvoller, aber damit muß sich nur der Komponist herumärgern, die Leute merken das gar nicht, die dürfen das nicht merken, wenn die das merken, können Sie Ihren Laden dicht machen.... die Leute sollen denken, das klingt wie Händel oder Telemann oder Nat King Cole, Brahms, Presley, Mozart, Bully Buhlan, und dann doch irgendwie anders, andere Rhythmen, andere Harmonien, andere Tonfolgen, andere Stimmen, es gibt Instrumente, die sie sonst nicht so kennen, Oboe d'amore, Cembalo, Theorbe, aber es gibt auch Saxophone, elektrische Gitarre, Hammondorgel, es ist immer alles möglich und es muß immer überraschend sein, manchmal altmodisch, manchmal kreischend atonal, merkt auch keiner.... aber wie gesagt, die Leute lieben das, auch die Jugend, gerade die, Jugend hat ein kapitales Bedürfnis nach aufregenden Rhythmen, die liefere ich, bei Bedarf haue ich jede Menge Romantikschwulst rein, die ganze Latte rauf und runter, jeder Effekt muß sitzen, da steckt die Musikgeschichte drin von Pontius bis Pilatus, und alles ist fundamental anders, genau das finden die Leute gut, und ich auch.
LiT-eX: Sind Sie nicht selbst ein bißchen altmodisch?
Naso: Meinen Sie vielleicht wegen der Knickerbocker.... in England ist das hundertprozent anders, da mache ich einen auf Klasse, ich bin Klasse, und Klasse heißt, es wird was erwartet, und diesen Erwartungen genüge ich. In Deutschland heute gibt es keine Mode mehr, die was aussagt, Deutschland ist durch und durch Klassengesellschaft, aber niemand will das zugeben, die Leute sehen alle gleich abgemixt und schäbig aus, kollektive Verwahrlosung halten sie für Demokratie, ein Jammer.... ja, ich bin gnadenlos konservativ, wenn Sie das meinen.
LiT-eX: Glauben Sie, das Musiktheater hat eine Zukunft?
Naso: An mir soll's nicht liegen. Persönlich glaube ich, daß die Zukunft selbst Musiktheater sein wird.... die größte Operette, die derzeit läuft, man könnte auch von Zarzuela sprechen, und zwar auf allen Bühnen, heißt Europa.
LiT-eX: Nun ja.... schön, daß sie selber drauf kommen, darüber wollten wir ja vor allem sprechen, wie es dazu kam, daß Sie für unser Magazin über europäische Fragen und den Zustand der europäischen Gemeinschaft schreiben wollen. Haben Sie unseren Lesern überhaupt etwas mitzuteilen?
Naso: Keine Ahnung. Ihr geschätzter Herausgeber Mr Adelphi hat mich kürzlich mal gefragt, wir hatten uns in London bei der Uraufführung meines neuen Musicals Halkyonische Tage getroffen, ob ich sowas machen könnte, ob ich Lust hätte, er suchte jemand, der garantiert nicht vom Fach ist, ich meine, historisch-politisch-soziologisch und was sonst noch, das konnte ich sofort komplett garantieren.
LiT-eX: Ich nehme an, Sie sprechen von Herrn Adelphi? Woher kennen Sie ihn?
Naso: Wir kennen uns seit tausend Jahren, haben uns ja zusammen in Limburg durchs Gymnasium gefrettet.
LiT-eX: Limburg.... meinen Sie Limburg an der Lahn, wo kürzlich dieser Bischof... ?
Naso: Bitte nichts über den Bischof.... dieser Tebartz ist ein phänomenal kluger, integerer Mann, der einiges von Kunst und Musik versteht, ein echter Kenner, das geht natürlich kilometerweit über den Horizont dieser Kleinstadtprinten hinaus.
LiT-eX: Haben Sie nicht auch einen Roman über ihre Jugend in Limburg geschrieben?
Naso: Habe ich, kam aber bei den Leuten so gut an wie ein kalter Pup beim Hochamt. Die Limburger wollten mich allemachen damals, teeren und federn, die waren so richtig satt, da hab ich rüber nach London gemacht.
LiT-eX: Von mir aus, lassen wir das.... kommen wir zu Europa zurück, was werden Sie dem Leser mitteilen können, wenn Sie, wie Sie sagen, von der Sache nichts verstehen?
Naso: Niemand versteht was von der Sache, darum geht's nicht. Das alte Europa war keine Sache des Verstehens, es war ein astreines Gefühl, wenn man dabei war, und zwar hoch drei. Das neue Europa ist Dünnpfiff, Hühnerkacke, da gibt's kein europäisches Gefühl, keine gemeinsame Sprache, alles nur Papier, absolut grell, meiner Meinung nach Vollstuß.
LiT-eX: Hauen Sie nicht etwas zu saftig auf die Pauke, Maestro?
Naso: Sehen Sie's mal so: ich bin 68 und habe genug gelebt. Ich könnte jederzeit abtreten, ich muß nichts mehr erreichen, ich kann abdrücken, was ich will. Also betrachte ich die Dinge mit bombiger Gelassenheit. Fremder Ärsche Meinung geht mir am Dings vorbei. Ist nicht mit abgedroschener Milde zu verwechseln, bitte sehr, so vergreist bin ich noch nicht. Ich kann sagen, was ich will, auch wenn mir das Gesagte Nachteile einfährt, interessiert mich einen Fliegenschiß. Übrigens war das auch vorher schon so. Ich nehme keine Rücksicht, jede Menge Saftschrate hassen mich wie die Hölle. Gut so, da kommt Freude auf. Ich würde gerne mal was zu den europäischen Verhältnissen sagen, aber nur in meiner eigenen Sprache, denn es ist extrem schmerzlich für mich zu sehen, wie dieser sogenannte Kontinent nur noch von Volkswirten, Finanzjongleuren und anderen Bürokrüppeln abgelaust wird, und das ganze extrem kranke knackdämliche Wirtschaftsdenken hängt genauso in diesen nicht gerade maßlos interessanten Politikerschrumpfköpfen drin, das macht mich jeck, und dann diese banale bis schwerdebile Sprache, dieser ganze feudale Klischeeschwulst, den die uns pausenlos hinbügeln. Alles Sackgesichter und Blockwarttypen, keine Entscheidungsinstanzen, kein souveränes Handeln, bestenfalls Kungelei und Gemauschel, lutschen sich da gegenseitig sensationell madige Kompromisse in den Hinterzimmern der Eurobordelle ab, mutuelle Onanie nennt man das. Ich bin Komponist, ich spreche die Sprache der Musik, und zwar volles Rohr, ohne Summs und Schmus....
LiT-eX: Klingt reichlich populistisch.
Naso: Wieso nicht, ich bin eben populär.
LiT-eX: Möchten sie jetzt nicht doch was zu trinken, Maestro?
Naso: Könnte passen, dreifachen Wodka, wenn's geht, aber bitte arschkalt, und nennen Sie mich nicht dauernd Maestro, das macht mich rund, Herr.... ?
LiT-eX: Van de Verschredderen bitte.... (winkt dem Ober, bestellt) wie ich sehe, Maestro, ich meine, Herr Professor Naso, kommt Europa bei Ihnen nicht wirklich gut weg?
Naso: Nicht wirklich.... gut beobachtet.
LiT-eX: Dann liegen Sie ja voll auf der Linie unseres Magazins, aber, ich meine, was wollen Sie damit sagen.... ich spreche die Sprache der Musik, werden Sie was komponieren für uns, oder wie soll das gehen?
Naso: Ich greife meine Stoffe am liebsten aus der Antike ab, vor allem Ovid, Metamorphosen, da steckt das komplette Europa schon drin, muß man nur richtig hinbiegen, dann wird das schon, und wenn nicht, war's ein Schuß in den Ofen.
LiT-eX: Verehrter Maestro, Ihr Wodka kommt, haben Sie noch eine Botschaft für unsere Leser?
Naso: Laßt euch nicht verscheißern, und wenn ihr mal wieder in London seid, kommt ins Vaudeville Theatre, London Westminster, The Strand.
LiT-eX: Herr Professor Naso, wir danken für das Gespräch und fühlen uns zutiefst onduliert.
Kees van de Verschredderen geht nach rechts ab. Max Naso sackt tiefer in die Polster, steckt sich die Monte Christo wieder an, greift zum Wodka.
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