Statt ein vollständiges Buch zu schreiben, von jenem vollkommenen Buch zu träumen, das bisher nur Schlegel und Mallarmé mißlang, und jedes Wort in seiner Verbindung zum nächsten als das anzuerkennen, was es folglich nur sein kann: Etappe, Fragment. Das geträumte Buch ist das vollkommene Buch und es ist ein Buch, in dem alles wandelbar bleibt, ein ewiger Strom gesagter und nichtgesagter Dinge. Alle Gegensätze heben sich folglich darin auf und trennen sich darum um so schärfer und klarer, zeichnen sich kristallklar ab für einen verschwindend kleinen Moment, der nicht zu messen ist.
Nein, wenn wir Bücher schreiben, schreiben wir keine vollständigen Bücher, wir reißen nur ein Stück aus der Ewigkeit heraus.
Wir haben bereits erlebt, daß die Avantgarde in Form kleinerer und größerer Feuer die Ordnungshüter und Traditionalisten in helle Aufregung versetzte.
Die Feuer verzehrten sich selbst oder wurden von den aufgeschreckten Bürgern erstickt. Vorher hatten sich jedoch manche an diesen Feuern gewärmt und am Spiel der Flammen erfreut, hatten miterlebt, daß verfestigte Strukturen aufgebrochen werden können, und hatten die zurückgebliebene Asche als Nährboden für Schreibweisen entdeckt, die sich immer weniger an literarische Traditionen gebunden fühlten. Künstler sein, das heißt ja nicht erst seit kurzem gegen jede Art von traditioneller Kunst zu Felde zu ziehen, weil es in der Welt, so wie sie ist, nichts Nachahmenswertes gibt.
Die Allmacht des Bewußtseins wird durch die Aufwertung des Traums und des Unbewußten in Frage gestellt, die religiösen, sozialen und sexuellen Tabus werden durch ein von den Instinkten gelenktes spontanes Handeln durchbrochen. Folgt der Schriftsteller dem magischen Diktat des Unterbewußten, so besteht Aussicht, den poetischen Urzustand des Menschen wiederzugewinnen. Der avantgardistische Dichter wird so zum Demiurgen, der aus dem Unbewußten neue Welten schafft. Es geht also weniger um die Übernahme bestimmter Inhalte und Ausdrucksformen als darum, daß der Drang nach völliger Erneuerung ansteckend wird in einer radikalen Abkehr von allem Überkommenen und dem bedingungslosen Einsatz für eine völlig neue Welt, einen völlig neuen Menschen und folglich eine völlig neue Kunst.
Autoren und Leser sollen aus Worten neue Welten schaffen, und wer Welten schafft, nimmt dadurch göttliche Züge an. Von Huidobro stammt der Satz: Der Dichter ist ein kleiner Gott.
An die Stelle einer logischen tritt eine magisch-assoziative Verknüpfung, die das Gesetz des Widerspruchs ebenso außer Kraft setzt wie das von Ursache und Wirkung, eine Verknüpfung, die räumlich und zeitlich Getrenntes, Elemente des Mikro- und Makrokosmos, Konkretes und Abstraktes, Natur und Technik in eins setzt. Wenn wir das tun, haben wir in der Vorstellung eines Vogels mit ausgebreiteten Schwingen gleichzeitig ein Flugzeugs und ein Kreuz. Wir können von dem Tier als biologisches Attribut, als Symbol (Amsel, Rabe, Nachtigall) oder als Nachfahre der Flugechsen sprechen, vom Flugzeug als Transportmittel, dem Traum des Menschen, fliegen zu können, vom Kreuz als religiöses Zeichen, als geometrische Figur, und schließlich wieder als Vogelscheuche.
Wenden wir uns vom abstrakten Vogel des Beispiels zum konkreten Raben, können wir gar eine Sprache schaffen, in der die Wörter ihren Status als arbiträre Zeichen zugunsten einer engeren Verbindung zwischen „Bezeichnendem“ und „Bezeichnetem“ aufgeben. Das funktioniert folgendermaßen:
Für Morpheme gilt die Semantik der Arbitrarität, der zufälligen, aber konventionalisierten Verbindung von Lautvorstellung und Objektvorstellung. Daß man Hunde Hunde nennt und nicht etwa Globen oder Teppiche, hat keinen anderen Grund als den, daß sich Hund durchgesetzt hat. Das Wort Hund hat nichts Hundiges an sich. Daß man Jagdhunde Jagdhunde nennt, hat dagegen System: Das Wort erweitert die Bedeutung von Hund um die Bedeutung von Jagd. Hier greift das Prinzip der Kompositionalität.
Nehmen wir uns jetzt einmal den Raben vor. Jeder weiß, was ein Rabe ist, zumindest weiß jeder, daß dies irgendein Vogel ist. Wir können nun die jeweils bekannten Schöpfungen nehmen: Rabenschwarz, Rabennacht, Rabenmutter, und gehen über in die Kühnheiten: Rabhalla, Rabhaarig, Rabmystisch; warum nicht sogar Rabelais?
Moderne Poesie hat mit dem Irrealen und der Magie in Verbindung zu stehen, mit Reinheit, Lust, Gewalt, Freiheit, Leben und Tod. Die eigentliche Bestimmung des Menschen ist das Unterbewußte, wo die Dichtung die Verbindung zwischen dem Leben und Phänomenen wie Traum, Hellsehen und Wahnsinn aufzeigen soll. Es ist nicht neu, daß sich manche avantgardistische Bewegungen hierzu bestimmter poetischer Mittel, wie des Delirium, des unkontrollierten Sprechens, der Liebe, des Zufalls oder des Verbrechens bedienten – also all dessen, woran juristische, medizinische oder religiöse Normen den Menschen zu hindern suchen. Wir dürfen niemals vergessen: Die Dichtung ist der höchste Ausdruck der Freiheit, da sie allein in der Lage ist, alle sozialen, moralischen und mentalen Fesseln zu sprengen.
Der Dichter kann sich seiner Überlegenheit gegenüber Politik, Philosophie und Geschichte gewiß sein, er repräsentiert die Menschheit, keine anderer ist Mensch wie er. Das Poetische gründet sich auf ein Spannungsgefüge aus Rhythmus, Bild und Analogie, das, im Gegensatz zum segmentierenden, rationalistischen Denken und der teleologischen Auffassung von Geschichte, prinzipiell subversiv ist. In der poetischen Inspiration manifestiert sich die Ontologie der Andersheit. Das erotische Begehren und die Grenzerfahrung werden mit dem Hier und Jetzt der körperlichen Erfahrung verbunden, wodurch sich die Selbstbehauptung des Poetischen gegen die Diskurse der Gesellschaft und der Politik artikulieren soll.
Posts mit dem Label die sprache der geister werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label die sprache der geister werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
24.09.17
17.09.17
Nymphentag 74
Die Erkenntnis wurde erfunden = sie ist kein Bestandteil der menschlichen Natur, nicht der älteste Trieb des Menschen; sie ist nicht keimhaft in ihrem Verhalten, ihrem Streben und Trieb. Die Erkenntnis ist das Ergebnis der Konfrontation und der Verbindung des Kampfes und des Kompromisses zwischen den Trieben. Weil die Triebe aufeinander stoßen, miteinander kämpfen und schließlich zu einem Kompromiß gelangen, entsteht etwas. Und dieses Etwas ist die Erkenntnis. Sie gleicht dem Funken zwischen zwei Schwertern, der ja auch selbst nicht aus Eisen ist. Es gibt keine vorgängige Übereinstimmung oder Affinität zwischen der Erkenntnis und den zu erkennenden Dingen. Das ist der große Bruch mit der Tradition der abendländischen Philosophie. Der Gesamtcharakter der Welt ist Chaos, nicht im Sinne einer fehlenden Notwendigkeit, sondern der fehlenden Ordnung, Gliederung, Form, Schönheit, Weisheit. Die Welt versucht keineswegs, den Menschen nachzuahmen; sie kennt keinerlei Gesetz. Die Erkenntnis hat mit dieser Welt zu kämpfen. Für die Natur ist es keineswegs natürlich, erkannt zu werden. Erkenntnis kann den zu erkennenden Dingen nur Gewalt antun.
Zeit ist der Träger der Qualität eines Ereignisses im Raum. Raum entsteht erst durch Zeit, und wenn man eines Tages ihre Dimensionen anerkennt, wird das Modell eines Raums nicht mehr benötigt. Synchronizität ist nicht durch Dimensionsausweichung des Raumes zu erklären, zumindest nicht befriedigend. Die Koexistenz von Raum und Zeit, ihre gegenseitige Bedingung (etwa durch eine Raumzeit) ist eine weitere Illusion. Ein zeitloser Raum ist undenkbar. Eine raumlose Zeit nicht.
Zeit ist der Träger der Qualität eines Ereignisses im Raum. Raum entsteht erst durch Zeit, und wenn man eines Tages ihre Dimensionen anerkennt, wird das Modell eines Raums nicht mehr benötigt. Synchronizität ist nicht durch Dimensionsausweichung des Raumes zu erklären, zumindest nicht befriedigend. Die Koexistenz von Raum und Zeit, ihre gegenseitige Bedingung (etwa durch eine Raumzeit) ist eine weitere Illusion. Ein zeitloser Raum ist undenkbar. Eine raumlose Zeit nicht.
10.09.17
Nymphentag 67
denn die Poetik der Sprache, eine Poetik der Sprache, eine Dichtung der Sprache bricht mit den Annahmen der Mainstream-Dichtung. Statt die Poesie als Bühne für Schöpfung und den Ausdruck einer authentischen Stimme und Persönlichkeit zu betrachten, entsteht die Sprach-Dichtung aus einem explodierenden Selbst, verändert und verschiebt Genregrenzen und sucht kollaborative Beziehungen zwischen Leser und Dichter. Kein Obersatz, kein Untersatz darf in erster Linie zu einer Konklusion führen. Wiederholung von Symbolen und Parallelstrukturen, vielfältige Zeitformen (Zeit ist ein Spielplatz), die Kapazität von Leerzeichen sind zu erforschen. Kammern allesamt, umschwebt von Brüchen des Bildmaterials. Das Ich ist eine Konstruktion, Kulturen sind eine Konstruktion, eine Trennung von Subjekt und Objekt ist nicht haltbar, es gibt keine natürliche, sondern ausschließlich eine artifizielle Sprechweise, es gibt
09.09.17
Nymphentag 66
als ich dann anfing zu singen, dachte ich, daß ich singe, um Sänger zu werden, daß ich auf die Uhr fünf nach acht sah, das Morgenlied in der dritten Klasse, ein hohes Gezwitscher, fast wie Farinelli, der Kastrat, die Glocken noch nicht in Betrieb, aber dann sackte mir der Kehlkopf eine halbe Oktave ab, die Stimmlippen gedehnt & ich sang nicht mehr, ich gurgelte nur noch, bis ich meinen Bariton fand, natürlich den hohen Bariton. Man könnte doch Geisterhymnen singen, sang ich Geisterhymnen. Man könnte doch Moorleichen besingen, besang ich Moorleichen, denen man die Brustwarzen in Scheiben geschnitten hatte, auf daß sie keine Könige mehr seien, aber tanzten.
Zwar bekam ich das nicht, um ihnen die Prozession der toten Clowns zu singen, aber weit von der Vokation war ich nicht entfernt.
Der Phänomenbereich: Sprache als Struktur, nicht als Äußerung einer kommunikativen Handlung. Um die écriture nicht körperlos zu lassen, muß ich sprechen vor allem dann, wenn ich die kommunikative Sprache hinter mir lasse; da winde ich mich aus dem Wandler - das ist wie Geistsein, neue Substanz ohne mich, die Quelle, neuer Körper allüberall, Ton ist Berührung, Händeschütteln, mehr
Zwar bekam ich das nicht, um ihnen die Prozession der toten Clowns zu singen, aber weit von der Vokation war ich nicht entfernt.
Der Phänomenbereich: Sprache als Struktur, nicht als Äußerung einer kommunikativen Handlung. Um die écriture nicht körperlos zu lassen, muß ich sprechen vor allem dann, wenn ich die kommunikative Sprache hinter mir lasse; da winde ich mich aus dem Wandler - das ist wie Geistsein, neue Substanz ohne mich, die Quelle, neuer Körper allüberall, Ton ist Berührung, Händeschütteln, mehr
08.09.17
Nymphentag 65
im Vordergrund bin ich mit dem Ton GrammaTaus beschäftigt, diesem Hineintasten in die große Dunkelheit menschlicher Wahrnehmung, überhaupt geht es mir um diese Wahrnehmung, die so unklar gestaltet ist, dringe in Bereiche vor, wo noch nie ein Dichter gewesen ist, bleibe hier aber am Rand stehen und bröckle, doch nur oberflächlich; innerflächlich datiere ich die Ewigkeit, ich gehe fremd=chronologisch vor, bearbeite eine Vielzahl an Einschlägen, in die ich dann steigen muß, um Proben zu nehmen, ob noch eine strukturelle Semantik vorhanden sei, ob noch eine Prototypensemantik im Gestein liegt, und ob beide unter den neuen Bedingungen gehalten werden können. Mein Wort lautet deshalb diffus. Diffusion, um im Nebel zu existieren, um eine Bildstörung zu beheben, die überall ersichtlich ist. Wo man winkt, verschwindet die Hand hinter einer Wankelbewegung, diesen Ton
06.09.17
Nymphentag 63
dabei wird es erforderlich sein, notwendig und wichtig, die Sprache von jedem Zweck fernzuhalten, von jeder Vereinnahmung, von jedem Ziel, von jeder Gesellschaftsfähigkeit; Sprache nämlich ist nichts über ihren Zauber hinaus, nichts außer die Magie unserer Existenz (wenn wir diese annehmen, was nicht ganz klar ist); wenn kein Körper mehr ist (wie auf einer Fotografie ist der Körper nur simuliert), bleibt eine Form bestehen, die "rein" ist, vollkommen ungeometrisch zwar; in GrammaTau bringe ich Kunde von der Wirklichkeit, die verschwiegen wird (teils und häufig sogar aus Unkenntnis), weil sonst kein System sich mehr Sklaven generieren könnte. Es gibt durchaus einen Kampf, der hauptsächlich aus der Säuberung all dessen besteht, was unverständlich scheint, weil es nicht dem Dogma des Informationsgehalts dient, weil es dieses Dogma nicht nur umgehen will, sondern die völlige Vernichtung dieser Maschine anstrebt, weil
31.08.17
Nymphentag 57
Nur die Lyrik ist dazu imstande, uns zu befreien. Daß wir überhaupt befreit werden müssen, daran ist ein Phänomen schuld, das wir "modern" nennen. In Wirklichkeit meinen wir jedes Mal, wenn wir dieses Wort benutzen "Entfremdung", und doch läßt sich mit dieser Entfremdung hervorragend arbeiten, vor allem, wenn wir akzeptieren, daß wir niemals irgendwohin zurückkehren können. Wir alle sind den Orten unserer Vergangenheit fremd. Indem wir über Vergangenes nachdenken, verfremden wir die Vergangenheit, bedienen uns eines Stilmittels, das im Gedicht sein Königreich erfährt. Das ist ein Vorgang der Evokation, unser Gedächtnis ist ein Schuttgedächtnis, und wir rufen uns in Erinnerung, was wir längst nicht mehr parat haben, das aber unsere Träume beeinflußt, die wiederum ein Gefühl in uns zurücklassen, als hätten wir etwas Bedeutsames vergessen. Wir erinnern uns an die Lücken des Gewesenen, treffen also mit der Gabel nie das Fleisch, das uns stets entwischt, obwohl der Teller endlich scheint. Natürlich: auch das ist immer nur Schein. Wir preschen in die Spuren, die wir selbst nicht angelegt haben.
29.08.17
Nymphentag 55
„Wenn nun ein höherer Mensch über das geheime Wirken und Walten der Natur eine Ahnung und Einsicht gewinnt, so reicht seine ihm überlieferte Sprache nicht hin, um ein solches von menschlichen Dingen durchaus Fernliegendes auszudrücken. Es müßte ihm die Sprache der Geister zu Gebote stehen ...“ (Goethe)
Als ich ansetzen wollte zu einem Hohelied der Geistersprache, gerate ich an Heinz Schlaffers ebenso benanntes Buch, 2012 bei Hanser, gerate dann wieder in die Situation, erst einmal widersprechen zu wollen, mäßige mich aber, weil dem Lyriker bewußt sein muß, daß er sich einer archaischen und vollkommen autonomen Form anheimgibt, indem er auf Kommunikation mit seiner Umwelt pfeift und pfeifen muß, indem er davon profitiert, was ein jahrhundertelanger Kampf war, Herr (und Dame) über sein Kunstwerk zu sein, zum ersten Mal wirklich frei (nun jetzt schon etwas länger), aber auch nicht zu lang, wo messen wir schließlich, wir messen 1 am Kosmos, wir messen 2 dann erst am pille-palle-existierenden Menschen(ge)schlecht. & wenn die Götter das hören, werden sie dachsteufelslustig, denn sie haben’s ja schon immer gesagt, wo sind denn ihre Schamanen hin, ihr Joghurtesser und Baumhöhlenbewohner, wo sind die denn hin in ihren Betongsiedlungen. & wem hören sie da zu. & wollen zu allem Abfluß auch noch gelesen werden. Das Sangesfeuer ist die Inspiration, Begeisterung hört sich da nicht schön an, Besessenheit ist besser, herausgefallen aus dem Geniekult, der aber im Kleinen weiterschlüpft, herausschlüpft aus dem Kescher, dämonisches Werden, ganz anders sein, weil da zu trennen ist zwischen dem wie ich sein könnte und dem wie ich werde. Befreiung von Zweck, aufatmen : sooooog; ausatmen : faaaach!
Abonnieren
Posts (Atom)