Geschrieben am 1. Oktober 2020 von für Allgemein, Crimemag, CrimeMag Oktober 2020

Markus Pohlmeyer: Corona-Zyklus (V) – #Covid-19-Gedichte

Corona-Gedichte 4

(corona, lat.: Kranz, Zuhörer)

1
Flut und Ebbe zerreiben
Den Mond
Wie einen Kieselstein
Im Bach der Nacht

Diese seltsame Affenhand
Die den Stundenzeiger 
Der Jahreszeiten
Digitalisiert und berechnet
Wie viel Profit bestimmte
Waffen denn brächten 
Die für ihre tödliche Siege sich
Kränze aufsetzt und sich 
Von einer Corona beklatschen lässt
Die das Hier
Zerstört um es in virtuellen
Paradiesen neu zu erlügen
Die sich im 
Spiegel sieht und  
Sich Sinn erbettelt
Von ihren gespiegelten Göttern
Oder sei es nur von einer
Noch so bescheuerten
Verschwörungstheorie.

Flut und Ebbe zerreiben
Den Mond
Wie einen Kieselstein
Im Bach der Nacht.

2
„Lug und Trug!“
Schimpft eine Elster
Über uns Dädalus-Menschen.
Doch sie selbst ist eine Meisterin des
Täuschens. Lauernd trägt sie
Nämlich in sich die gefiederte
Erinnerung an einen Raubsaurier,
Der sie einst war.

3
Erinnerung an Marc Aurel

Mein ist die Gegenwart.
Wie wird morgen die Pandemie wüten?
Die Pest kannte ich bisher nur aus Geschichten.
Wer würde sich meiner erinnert haben?

4
Septembermorgen.
Die Bäume sterben 
Keineswegs.
Ihre Farben ziehen nur um:
Nach Innen. Schlaf.
Wie mutig, auf den Tod
Zu antworten mit Traum
Und Selbstvergessenheit.

5
Tagundnachtgleiche:
Die Zeit in der Waage. Geheimnisvoll.

Die ersten gelben Blätter:
Gold, das verwelkt. Wunderschön.

Mond und Träume:
Silberne Schalen der Nacht. Tröstend.

6
Ich packe  
Die letzten Habseligkeiten
Des Sommers zusammen, 
Es wird Herbst.
Die Kränze auf 
Den Gräbern welken. 

Nun die Angst 
Vor der Angst,
Verborgen lauernd in 
Möglichkeiten: Winter und 
Dass auf einem 
Stein eingeritzt auch 
Mein Name stünde.

7
Das blinde Monster bleibt. 
Wird wohnen unter uns.  
Wem mag gehören dieses 
Haus? Dem anderen Monster,
Das Mammut, Moa
Und Gletscher fraß?

8
Nö, echt jetzt? Ja,
Am liebsten würde ich eine Flaschenpost
Ins Weltall schleudern: Holt uns hier raus,
Die ihr intelligenter seid! oder Kommt bloß
Nicht hierher! Nein, ich schalte das Radio
Ein, das Internet usw.: die Mordmaschine 
Mensch fegt weiter wie eine Seuche 
Über seinesgleichen dahin.

9
Manchmal fühle ich 
Mich wie ein vergessener 
Brief in einem rostenden 
Kasten. Einsame, blinde 
Nächte. Zwar geschützt vor 
Wind, Sturm und Schnee, 
Aber niemand liest …

10
Philosophie des Alltags

Seit zwei Wochen das Licht im Bad kaputt.
(Wie kann Licht kaputt sein? Egal …)
Darum Kunstinstallation Marcus Lumen 1
(Mit Taschenlampen und Sich-vor-Tasten.)
Dann endlich ein Elektriker:
Es wurde wieder Licht! 
(Gott muss auch so ein
Tüftler gewesen sein …) 
Kurz darauf wegen Bauarbeiten 
Stromabschaltung.
Nö, echt jetzt?
Gut, es ging ja auch nur um die Lampe
An sich. Oder irgendwie um Dialektik.
Als dann der Morgenhegel, pardon:
-nebel entschwand und es aufklärte,
Kam auch mehr Helle in meine Wohnung.
Als ich aber später wegen der Baustelle
Vor dem Haus auch noch gestürzt bin, 
Nein, das lag nicht daran, dass ich mich 
Irgendwie mit Kierkegaard
Und Sokrates festgelabert hätte — blöde
Geworfenheit ins Dasein. Buddha sagt,
Komm, hör mir auf … Und um die
Ecke kichern dämonisch Corona
Und ein Trampeltier hinter ihren Masken.

11
Das Haus
Gegenüber 
Zerfällt. Dort 
Lebte jemand.
Schmerz in
Jenen Räumen,
Irgendwo, 
Gezähmt auf einer 
Leinwand.
Ab und zu 
Betrachtet dich 
Dieses Bild wie 
Einen Fremden, 
Der sein
Schreien mit 
Stille stört.

Oh, sieh,
Das Bild 
Bewegt sich. Die 
Zuschauer, gerührt, 
Applaudieren.

12
An Gott mailen.

Nach dem Drücken vieler Zahlen
Auf meinem Telefon
Und nach dem Erleiden automatischer
Ansagen: Wegen Überlastung möge
Ich doch bitte eine Mail schreiben. 
Gespräch, das keines war,
Automatisch beendet. Zackbumm.
Tüüüüüüüüt. 
Ich warte nur auf die Ansage schlechthin:
Drücken Sie bitte π. Nach wie
Viel Stellen wäre dann 
Aufzuhören? Nach Millionen? 
Oder: Bitte wählen Sie 
i für Gott. Hä? (Aber:
Gott dürfen noch wir
Drücken und knuddeln – 
Keine Abstandsregel!
Nicht zu unterschätzen in
Solchen Zeiten imaginäre
Freunde.)

13
Gedanken zu einer Wiese in Dänemark

Ein grünes Meer, wie angehalten die Zeit,
Wogt über die sanften Hügel, fließt und steht.
Im Spätsommer tummeln sich hier summend Bienen.
Sehr zu empfehlen, zum Genießen sehr: 
Vanille-Eis mit süßem Honig.
Gigantische Wolken ballen sich zu schwarzen
Gewittern. Wo finden Schmetterlinge Schutz?
Der Geruch verbrannter Herbstfeuer
In der Luft. Dazu Abendnebel: Die Moorfrau
Braut nun Bier, sagen sie hier.
Eine unbekannte weiße Pflanze 
Blüht spät noch dort, aber Schönheit 
Fragt nicht nach dem Woher. 
Morgens Netze aus Tautropfen auf den
Gräsern: glitzernd gefrorene 
Stunden, die in einer fahlen Sonne 
Zerfließen, deren Aufgehen wie 
Sterben und Hoffen zugleich.

(Für die Dauer dieses Gedichtes konnte ich 
Den Horror vergessen …)

14
Erkenntnisse, tiefsinnig

Verbrannte Wälder. Holz 
Kann brennen! Sinkende
Küsten. Wasser kann 
Steigen! Die Erde ist 
Rund. Mann kann 
Nicht wegrennen! 

15
Wir alle nun
Sklaven 
(Käufer wie Verkaufte)
Unter dem 
Kranz einer Pandemie. 
Woher kommt 
Der nächste 
Pantokrator?
Aus Amazonien?
Aus einem Labor?
Wieder aus China?
Glückwunsch, 
Globalisiertes
Anthropozän!

16
Oh, du all-tötendes Raubtier,
Im Fell von 
Religion, Politik, Kapital!
Verse und Symphonien?
Mona Lisa weint
Um ihre Kinder.

Markus Pohlmeyer, der in der letzten Ausgabe seinen hundersten Beitrag bei uns vorlegt, bei uns hier.

Sein (bisheriger) Corona-Zyklus: Teil 1Teil 2Teil 3, Teil 4. Seine Shut Down Haikus hier.

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